Heut vor 50 Jahren starb einer der wichtigsten und eindringlichsten Dichter der Nachkriegszeit: Paul Celan. Wie ein dunkles Band zogen sich die Gräueltaten der Nationalsozialisten durch die Lyrik dieses Autors, der stets versucht war, sie der Sprache zu unterwerfen.
Mai, 1952. In einem kleinen Örtchen Namens Niendorf trifft sich eine Gruppe von Autorinnen und Autoren, um ihre Werke zu präsentieren. Unter ihnen befinden sich sowohl bereits bekannte und gefeierte Dichter*innen, wie die damals 26-Jährige Ingeborg Bachmann, als auch unbekannte Autoren*innen, die ihre Prosa und Lyrik hier zum allerersten Mal vor einer breiteren, literarischen Öffentlichkeit preisgeben. Es ist eine Tagung der Gruppe 47. Mit diesem Namen wird man später einmal Schriftsteller wie Heinrich Böll, Günter Grass, Peter Handke und Wolfgang Köppen verbinden. Sie wird als wichtigste Vereinigung der Nachkriegszeit in die deutsche Literaturgeschichte eingehen. Auf Empfehlung der bereits genannten Ingeborg Bachmann wird in diesem Frühsommer 1952 ein Neuling lesen, der heut zu den wichtigsten Lyrikern des 20. Jahrhunderts zählt: Paul Celan.
"Der liest ja wie Goebbels"
Das Gedicht, welches er an diesem Abend vor den zumeist mit NS-Vergangenheit behafteten Autoren vorträgt, trägt den Titel "Todesfuge". Thema des Textes, der mit den eindringlichen Worten "Schwarze Milch der Frühe..." beginnt, ist die nationalsozialistische Judenvernichtung. Er wird Weltgeschichte schreiben. Der Name seines Autors wird später wie der eines Heilgen in Schriftsteller-Kreisen kursieren. Hier aber, vor der Gruppe 47, scheitert Celan.
"Das kann doch kaum jemand hören..." schreit einer dazwischen, ein anderer brüllt "Der liest ja wie Goebbels!" Auch der Initiator der Gruppe, Hans Werner Richter, wird später spöttisch behaupten, Celan hätte "in einem Singsang vorgelesen wie in einer Synagoge" und den jungen Autor von sich weisen. Verletzt schreibt Celan später in einem Brief an seine Frau: "Jene also, die die Poesie nicht mögen - sie waren in der Mehrzahl - lehnten sich auf".
Kaum vorstellbar, wie sehr der aus einer deutschsprachigen jüdischen Familie stammende Celan, dessen Eltern dem Terrorregime der Nationalsozialisten zum Opfer fielen, unter der Zurückweisung an jenem Tag gelitten haben muss. Die Mörder seiner Eltern schienen - wie ein Schatten - selbst jene Kanäle belegt haben, die er nun für seine eigene Verarbeitung benötigte. Fortan schreibt er sich frei, versucht stand zu halten und die furchtbaren letzten Jahre der Sprache unterzuordnen. Vergeblich. Am 20. April 1970 bricht er unter dem enormen Druck zusammen, geht ins Wasser und stirbt.
Sprache der Sprachlosen
Celan´s Lyrik ist eine Nacht voller Lichtpunkte. Eine Dichtung, die es schafft, das Unaussprechliche zwischen den Wörtern und im Rhythmus der Sprache anzudeuten. Viele seiner Gedichte entziehen sich einer logischen Deutung, die dargestellten Bilder sind nicht mit dem hermeneutischen Besteck der Realisten zu dechiffrieren, und gerade aus diesem Grund stieß er an jenem Tag vor der Gruppe 47 auf Unverständnis. Celan versuchte mittels der Sprache einem Thema beizukommen, welches sich der Versprachlichung widersetzt. Denn welch ein Satz könnte dem Grauen des Genozids gerecht werden? Celan war sich dessen Bewusstsein, doch war ihm zugleich auch klar, dass die Sprachlosigkeit keine Alternative sein kann. Unmöglich genügend zu schreiben; unmöglich zu schweigen. Zwischen diesen beiden Fronten siedelt sich Celan´s Lyrik an. Eine Sprache der Sprachlosen.
"Dichter ist, wer menschlich spricht", so lautet der Titel einer Dokumentation, die den großen Poeten vorstellt und an die heut noch einmal erinnern werden soll. Natürlich ersetzt dieses Film-Portrait keineswegs die Lektüre. Doch sie ist ein wunderbarer Einstieg in das Schaffen eines welt-wichtigen Dichters.
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