Rezension "Über Liebe und Magie" von John Burnside: Eine große Hoffnung

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John Burnside ist einer der größten Erzähler unserer Tage. In "Über Liebe und Musik" blickt er schonungslos auf seine Kindheit zurück. Foto: Penguin Verlag

Der Roman "Über Liebe und Magie - I put a Spell on You" des schottischen Schriftstellers John Burnside führt die SWR-Bestenliste an. Auch auf der Spiegel-Bestsellerliste ist das Buch zu verorten. Zu Recht! Burnside erzählt vom hellen und dunklen Zauber der kleinen und großen Lebensmomente. Ein radikales und ergreifendes Buch.

Ein großes Problem der Gegenwartsliteratur ist es ja, dass ein nicht unerheblicher Teil der Autor*innen über existenzielle Themen so schreiben, als wäre das Leiden des Individuums eine ausgedachte Geschichte. Man könnte den bösen Verdacht hegen, es gäbe in diesen Fällen überhaut keine eigenen, tiefgreifenden Lebenserfahrungen, die aufgeschrieben und also verarbeitet werden müssen, sondern lediglich kleinere Wehwehchen, die, wenn mal aufgetreten, sofort zur Grundlage ganzer Romane rekrutiert werden. Ja, es ist weitreichend von unglücklichen oder letzlich gescheiterten Liebesbeziehungen die Rede, von einer uns überfordernden Zeit, vom Zwang, sich umorientieren zu müssen. Kneipentischgespräche, die zu "Literatur" gemacht werden, als wäre Literatur nicht mehr als das: Aus dem Alltag heraus aufgeschrieben, Buch draus machen, fertig...

Radikale Inspektion

Doch gibt es auch immer wieder Hoffnungsträger, wirkliche Literaten, bei deren Lektüre man das Gefühl hat, das Leben dieser Menschen biete mehr Stoff, als sie aufschreiben könnten. Einer von ihnen ist John Burnside. In seinem autobiografischen Roman - es ist nunmehr die dritte Selbstanalyse - "Über Liebe und Magie - I put a Spell on You" beschreibt der schottische Autor ein Leben unter einem gewalttätigen, trinkenden Vater, in welchem es kaum Lichtblicke, aber immer einen Funken Hoffnung gibt. Burnside schildert hier gnadenlos seinen Herkunftsort, einer Bergarbeiterstadt unweit von Edinburgh, in der er unter der Gewalt seines Vaters aufwuchs. Die Liebe zur Mutter, die sich dort setzt, wo die triste Umgebung eine weite Leere hinterlässt; ein Groß-Werden in Schweigsamkeit, abgeschieden und von angstbesetzt.

Hier, auf dieses Plateau der Ausweglosigkeit, projiziert Burnside nun seine Reflexionen und Recherchen, schreibt unverhohlen von seinem Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik, vom Drogenkonsum, von seiner Entscheidung, Schriftsteller zu werden. Es sind dies kompensatorische Momente, die unmittelbar an seinem Herkunftsort, an der Wut des Vaters, an der Liebe zur Mutter, an der Leere der Umgebung gekettet sind.

Angst vor der Liebe

Er schildert das Heranwachsen, schildert den jugendlichen Jungen, der er einmal war, und der in aller Brutalität auf die Liebe, auf das Verliebt-Sein stößt, ohne - wer könnte es? - etwas davon zu verstehen. Partys, Kneipennächte, Sexphantasien, und doch auch die innige Liebe zur Musik, die dem "Mann-werden" als sensibles Moment gewissermaßen gegenübersteht. Kann der junge Mann die Liebe zu anderen Menschen nicht zulassen, so spürt er sie doch im musikalischen Klang. Gerade hier entsteht eine Zerrissenheit, die sich in mehreren Aspekten durch das gesamte Buch zieht.

Gerade hier, wenn der junge Burnside eine Geliebte zurückweist, eben weil er sie so unbedingt will, entfaltet sich das existenzielle und schizophrene Dilemma. Gerade hieraus, aus dieser aufrichtigen und rücksichtslosen Selbstbetrachtung, aus diesem Ausschürfen der eigenen Existenz, können Auto*innen lernen. Die Liebe, dass ist mehr als die zweckungebundene Bekanntschaft, dass sind nicht nur die 300 nass geweinten Taschentücher der Berliner Single-Nächte, das ist mehr als ungeduldig auf eine Nachricht warten. Die Liebe, mehr noch das Verliebt sein, ist eine Katastrophe. Burnside zeigt uns dies in seinem Buch. Nicht nur im Bezug auf andere Individuen, sondern auch vor dem Radio sitzend und der Musik lauschend.


John Burnside - "Über Liebe und Magie - I put a Spell on You", Penguin Verlag, 2019, 284 Seiten, 20 Euro




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