Thea Dorn - "Trost. Briefe an Max" Schmerz, Tod, Wut: Ein Virus weckt subversive Kräfte

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In ihrem aktuellen Roman "Trost" zeigt Thea Dorn, dass wir die Wut als Produktivkraft nicht verlieren dürfen, sollte uns daran gelegen sein, das Menschliche zu feiern. Foto: Penguin Verlag

Die Schriftstellerin Thea Dorn ist längst zu einer intellektuellen Größe geworden, die sich, im Gegensatz zu vielen ihrer Autorenkollegen, der ironischen und satirischen Verkürzung widersetzt. Dorn, die gegenwärtig auch das "Literarische Quartett" leitet, befragt stets aus verschiedenen Perspektiven, verwehrt sich dem vorschnellen Urteilen und hat, wie ihr jüngstes Buch zeigt, keine Angst vor der Wut. Um dieses Gefühl der Wut geht es nämlich in ihrem Roman "Trost", der sich mit dem schmerzhaften Verlust geliebter Menschen in Zeiten von Corona auseinandersetzt.

"Trost. Briefe an Max", so lautet der Titel des aktuellen Romans der Schriftstellerin, Philosophin und TV-Moderatorin Thea Dorn. Das Buch beschäftigt sich mit der uns seit einem Jahr beherrschenden Corona-Pandemie, mit der Sterblichkeit und dem Verlust geliebter Personen, bisweilen mit der eigenen Ohnmacht und dem gewaltigen Gefühl, hier einer unsichtbaren Macht (Naturterrorismus, wie der Philosoph Peter Sloterdijk sagte) ausgeliefert zu sein. Aus dem emotionalen Überdruss geht vor allem aber auch ein Gefühl hervor: Wut. Die Wut aber, die Dorn in ihrem Roman durch ihre Figur Johanna hindurchwirken lässt, ist nicht etwa jene, die Menschenmassen maskenlos in Regierungsgebäude eindringen lässt. Vielmehr handelt es sich um eine existenzielle Wut, ein inneres Entflammen. Und um den Versuch der Verarbeitung.

Die gelassene Kälte in emotionalen Zeiten

Wir befinden uns im Frühjahr 2020. Johanna, die Heldin des Romans, hat ihre Mutter an Covid-19 verloren, ohne sich von ihr verabschieden zu können. Ihre Trauer und ihren Zorn kanalisiert sie in mehreren Briefen, die sie dem Philosophen Max schreibt. Briefe, in denen sie die "archaischen Wucht" (Thea Dorn) zu verarbeiten versucht, die aus dem Zusammentreffen von vernünftigen Entscheidungen und unmenschlichen Folgen hervorgeht.

Johannas sich anstauende Wut trifft auf die stoische Gelassenheit des Philosophen Max, der ihre von Verzweiflung durchzogenen Briefe oft mit nur einem Satz beantwortet. Hier lesen wir einen wunderbaren Seitenhieb auf all jene, die sich in hochemotionalen Zeiten hinter parareligiösen Weisheiten verstecken; zugleich aber auch einen Angriff auf die ironische und satirische Weltbetrachtung, die sich bekanntlich ebenfalls mit verkürzten Betrachtungen zufriedengibt, und anstelle der Analyse die Pointe setzt. Max´ verkürzte Antworten feuern Johannas Wut weiter an, hat sie doch das Gefühl, auf einen Körper einzureden, der ebenso kalt ist wie der ihrer Mutter.

Ein politischer Roman

Wie viel Johanna steckt in Thea Dorn? Auf diese Frage antwortet die Schriftstellerin in einem Gespräch bei Deutschlandfunk Kultur: „Dieser Roman war für mich das große Glück, eine Figur zu erfinden, die extreme Gefühlslagen hat, die ich auch beschreiben und denen ich mich überlassen darf. Johanna ist durchaus zornbegabt, aber auch teilweise – und deshalb mochte ich sie beim Schreiben sehr – wie ein Kind.“

Sicher, wie sich Ironiker und Komiker hinter eindimensionalen, pointengeleiteten Betrachtungen, wie sich Stoiker hinter gesetzten Weisheiten verstecken, versteckt sich Dorn hier hinter Johanna. Diese Figur Johanna aber - und dies scheint mir die politische Dimension des Buches zu sein - entwickelt ihre Gedankengänge aus einer Wunde heraus, so dass die Emotionalität an dieser Stelle die rationale Betrachtung verdrängt. Was Thea Dorn mit "Trost" verkündet ist nicht weniger als das: Es muss ein intellektuelles Anrecht auf Wut, Hass, Zorn und Verzweiflung geben. Die existenzielle Fehlbarkeit, das blinde Tasten am Abgrund, darf als Erkenntnisinstrument um keinen Preis verloren gehen. Das heißt auch, dass wir den Affekt nicht kampflos jenen überlassen sollten, die auf Grundlage plötzlicher Erregungen, repressive politische Maßnahmen durchsetzen wollen. Was durchaus als "konservative" Kritik an die Corona-Maßnahmen gelesen werden könnte (und sicher auch wird), ist im Grunde ein Kampf um die Zurückeroberung jener Kräfte, aus denen AutorInnen wie Edouard Louis, Ocean Vuong oder auch Toni Morrison schöpften, um ihre Bücher zu schreiben. Und was hätte Thomas Bernhard gemacht, gäbe es da nicht die immense Wut, ja den um sich greifenden Hass, der in all seinen Werken zum Ausdruck kommt, und letztlich die Außenseiterposition umreist.

Kritik an den Corona-Maßnahmen?

Wenn Dorn sagt: "Einerseits sagt der Verstand uns immer wieder: Jaja, das ist alles sinnvoll, was wir hier an Schutzmaßnahmen ergreifen. Und dann kommen diese Trotzdämonen, die sagen: Das kann doch alles nicht sein, dass wir hier jetzt seit einem Jahr so sitzen und uns alles verbieten sollen, was das Leben zu bieten hat.“, dann ist dies zunächst eine Beschreibung menschlicher Zwiespältigkeit, und nicht etwa eine Kritik an den Corona-Maßnahmen. Man stelle sich nur einmal den Maschinen-Menschen vor, der bei der Vernunft aufhört. Was sie mit ihrem Roman zeigen wollte, so Dorn, sei die Tatsache, dass man sich "so oder so" schuldig mache. In den gegenwärtigen Debatten komme zu kurz, dass die teils völlig berechtigten Maßnahmen auch Unrecht produzieren. Den daraus resultierenden Schmerz wollte sie aufzeigen. "Trost" - welch treffender Titel.


Thea Dorn - "Trost. Briefe an Max"; Penduin Verlag, 2021; 176 Seiten, 16, 50 Euro

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