Ocean Vuong - Auf Erden sind wir kurz grandios Das Suchen einer Sprache

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Die Buchhandlung Eures Vertrauens hat derzeit geschlossen? Wir versuchen zu helfen! Über die Ostertage hinweg empfehlen wir täglich zwei neue Buchtipps für groß und klein. Heute empfehlen für die älteren Leser*innen: Dostojewski: "Auf Erden sind wir kurz grandios" von Ocean Vuong.

In seinem Romandebüt "Auf Erden sind wir kurz grandios" erzählt Ocean Vuong von einer schwierigen Mutter-Sohn Beziehung, und von der Kraft der Sprache. Foto: Hanser Verlag

In seinem wortgewaltigen Romandebüt schreibt der US-Autor Ocean Vuong von klaffenden Wunden, von Migrations- und Identitätsproblemen und von der Suche nach einer passenden Sprache. Dieses Buch war eine der bahnbrechenden Veröffentlichen des Jahres 2019, durchweg wurde der erst 30-Jährige Autor für die poetischen und nicht selten brutalen Bilder gelobt. Eine neue, hoffnungsvolle Stimme am poetischen Horizont; eine Stimme, die es versteht, Schmerz Wort werden zu lassen.

Es geht dorthin, wo es nicht gelesen werden wird

"Auf Erden sind wir kurz grandios" ist ein langer Brief, geschrieben an die eigene Mutter, die Analphabetin ist. Der autobiografische Roman wird also dorthin adressiert, wo er niemals gelesen werden kann. Allein dieser nur scheinbare Widerspruch erklärt einiges über die Arbeitsweise Vuongs, denn sein Brief ist auch die Darstellung einer ewigen - wahrscheinlich zum Scheitern verurteilten - Suche nach einer Sprache, die dem gerecht werden kann, was er selbst erlebte.

Im Alter von zwei Jahren kommt Ocean Vuong mit seiner Familie in die USA. Seine Mutter, so erfahren wir, arbeitet Tag und Nacht in einem Nagelstudio, der amerikanischen Sprache ist sie kaum mächtig. Die Überforderung, die mit diesen prekären Verhältnissen einhergeht, entlädt sich nicht selten auf den Sohn, der betraft, geschlagen und in den Keller gesperrt wird. Aber auch Zuneigung zeigt die Mutter. Inmitten dieses Wechselspiels, zwischen Zuneigung und Gewalt, wächst der Poet heran. Und nun, ca. 20 Jahre später, beschreibt er eindringlich die Gesten seiner Mutter, die, wie es im Roman heißt, "aus der Sprache herausgefallen ist". Doch der Roman geht noch über diese Mutter-Kind-Beziehung hinaus. Er beschreibt auch eine Migrationsgeschichte, und in dieser die Suche nach Identität. Teils brutale Szenen beschreiben, wie Vuong diese Suche selbst erlebte:

"'Ey.' Der Junge mit den Hängebacken lehnte sich vor, sein Essigatem strich an meiner Wange entlang. 'Kannst du überhaupt sprechen? Kannst du Englisch?' Er packte meine Schulter und zerrte mich zu sich herum. 'Sieh mich an, wenn ich mit dir rede.'"

Fazit

Schläge, Tränen, Verzweifelung und Liebe. Ocean Vuongs Roman versammelt die Fragmente einer Vergangenheit. Der Autor weiß nur zu gut, dass eine solche nicht anders erzählt werden kann. Besonders für Leser*innen, die der Lyrik nahe stehen, ist dieses Buch eine unbedingt Empfehlung, denn Vuong nimmt die Sprache sehr ernst. Nicht zuletzt seine Verweise auf den Poststrukturalisten Roland Barthes machen das deutlich. Eines der besten Bücher der letzten Jahre.


Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios, Hanser Verlag, 2019, 237 Seiten, 22 Euro

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