Romeo muss sterben Romeo muss sterben - 3. Kapitel

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- 9 Seiten -

Die kommenden Tage weigerte sich Romana vehement ihrem Vater zu gehorchen und ihn wieder in Gestalt eines Knaben zu den Herrschaften Capulet zu begleiten. Ihr kam es schier unmöglich vor wieder Romeo zu werden und so vor Juliet zu stehen. Sie wollte diesem Verräter nicht noch einmal die Möglichkeit geben diesem für sie so besonderen Mädchen zu nah zu kommen. Sie kam sich wie ein Lügner vor. Ein mieser Scharlatan der mit der jungen Capulet spielte. Noch dazu fühlte sich Romana momentan einfach zu unwohl in ihrem eigenen Körper. Deshalb verließ sie ihr Bett auch nur dann wenn die Amme darauf bestand das sie ein Bad nehmen sollte. Selbst ihre Mahlzeiten nahm sie nur noch in ihren Gemächern zu sich. Zu schwach fühlte sich das arme Kind um sich dem tadelnden Blicken oder Ausrastern ihres Vaters zu stellen wenn sie als Tochter unter die Augen trat.

Und wann immer sie nach dem Baden nun vor dem großen Messingspiegel stand betrachtete sie stundenlang kritisch ihren nackten Körper. Ihr androgynes Gesicht wirkte müde und gezeichnet von den täglichen Anstrengungen. Selbst ihre sonst so strahlenden blauen Augen waren trüb. „Ungenügend“, kam ihr immer wieder in den Sinn wenn sie den Rest ihres schlanken Körpers begutachtete. Denn selbst unverhüllt wirkte er nicht wie der Körper eines Mädchens. Er besaß kaum bis kaum merkliche Rundungen. Weshalb sie sich auch nie die schmächtige Brust abbinden musste um knabenhaft zu wirken. Sie empfand diesen Anblick stets als ein Trauerspiel. Ein Witz der Natur. Ihr zarter Körper machte es ihrem Vater auch viel zu einfach aus ihr einen Jungen zu erschaffen. Vielleicht hätte er ha seine Tochter in ihr erkannt wenn er keine andere Wahl gehabt hätte und Romanas Körper feminin geworden wäre. Doch in diesem Stadium war sie kein echter Knabe aber auch keine wirkliche Dame. Sie war nur irgendetwas. Irgendetwas dazwischen. Etwas das nicht gut genug für das eine oder das andere war. Wie hätte ihr Vater da jemals eine Tochter darin sehen sollen? Manchmal konnte sie sich tagelang nicht im Spiegel ansehen wenn sie gezwungen war ununterbrochen Romeo zu sein. Sie ertrug ihr eigenes Spiegelbild dann nur noch weniger. Es war wie ein höhnisches Abbild eines Jungen der ihr alles stahl. Und gleichzeitig sah sie nur ein verwirrtes Wesen das nicht wusste was ihm geschah. Eine surreale Gestalt eines Künstlers der sich uneinig war wie er sie erschaffen sollte. Sie dachte an all die Zuneigung und bedingungslose Liebe die ihr Vater dem Knaben geschenkt hatte. Ihn regelrecht damit überschüttete. Wie stolz er ihn in die Gesellschaft eingeführt hatte. Ihm Jagen und Fechten beigebracht hatte. Umso schmerzhafter war die Erinnerung an die Wut des Vaters als seine Tochter bei einem Unfall mit dem Degen weinte. Von der tiefen Verletzung war nur noch eine blasse Narbe über ihrem Herzen zurück geblieben. Der alte Montague würdigte ihr eine Woche lang keines Blickes, denn laut ihm war weinen etwas weibisches und ein echter Knabe tat so etwas nicht. Einzig die Amme kümmerte sich wieder um das verletzte Kind und versorgte täglich die blutende Wunde. Oftmals beschleicht Romana der Gedanke das diese Narbe nun ein Mahnmal war. Ein Exempel für den Moment in dem ihr Vater das einstige Mädchen von seinem Sohn schnitt. Und manchmal würde sie ihren Nebenbuhler am liebsten umbringen, ein für alle Mal. Auch wen sie sich sicher war, dass sie damit auch ihren Vater verlieren würde. Selbst wenn sie manchmal hoffte er würde sie in Romeo erkennen wenn sich sein Gesicht erhellte und seinen Sohn betrachtete. Doch das war auch bloß einer ihrer andauernden Wunschgedanken und Tagträumen. Nichts das je stark genug wäre für die traurige Wirklichkeit. Wenn sie ehrlich war, dann wusste sie das ihre Familie am selben Tag starb wie ihre Mutter. Denn aus ihrem Tod wurde Romanas Vater ein Fremder und aus ihr wurde ein Sohn. Ein Abbild seiner selbst. Die ehemalige kleine, glückliche Familie lag schon viele Jahre tief unter der Erde. Im Grab ihrer Mutter waren sie wieder vereint. So wie es sein sollte: Mutter, Vater und die kleine Tochter. An einem Abend als der Vater von seiner Arbeit nach Hause kam rief er im ganzen Haus nach seinem Sohn. „Romeoist nicht hier, Vater.“, antwortete Romana zaghaft, wusste sie doch, dass er es missbilligte wenn sie nicht sein Sohn war. Er sah sie abwertend an. „Red keinen Stuss. Ich hab nach dir gesucht, Junge. Du wirst mich morgen wieder zu den Herrschaften begleiten. Das junge Fräulein hat mehrfach nach dir gefragt und erwartet morgen deinen Besuch.“, verkündigte er mit solch einem harten Tonfall, dass er keinerlei Widerworte duldete. „Jawohl, Vater.“, gab das eingeschüchterte Mädchen klein bei und schloss sich erneut in ihrem Zimmer ein, bevor sie sich, wie schon so oft in den letzten Nächten, wieder in den Schlaf weinte. Die Kälte ihres Vaters zeigte ihr immer wieder, dass er sie nicht um sich haben wollte und stets den Sohn in ihr sah.

Am nächsten Tag fiel es ihr sichtlich schwerer Romeo zu verkörpern und diese Fassade aufrecht zu halten. Hatte sie sich doch selbst geschworen nie wieder in diesem Aufzug vor der schönen Juliet zu stehen. Aber wie so oft ließ ihr der Vater keine andere Wahl als sich in dieses gezwungene Schicksal zu fügen. Die Freude Juliets Romeo wieder zu sehen und ihr warmes Lächeln, beruhigten den Sturm in Romanas Inneren. Auf die Frage, wo er die letzten Tage war, antwortete er ihr, dass er sich nicht wohl fühlte. Was so weit es nur ging an der Wahrheit entsprach. Romana ging es die letzten Tage wirklich elend und Juliet in dieser Zeit nicht sehen zu können tat ihr übriges. Doch solange sie sich weigerte Romeo zu sein, war das ein Übel, das sie in Kauf nehmen musste. Aber den ersten Minuten in Juliets Gesellschaft kam Romana nicht umhin sich ihre Freude einzugestehen die sie verspürte jetzt wo sie ihre Angebetete wiedersah. Glich ihre bloße Anwesenheit fast schon einem Balsam für die geschundene Seele. An diesem Nachmittag verbrachten beide in dem großen Garten, den Romana beim Fest vom Balkon aus gesehen hatte. Im Tageslicht wirkt er noch viel beeindruckender als in jener Nacht. So viel grün mischte sich mit den unzähligen Farben der unterschiedlichsten Blumen die überall gepflanzt waren und so wunderbar dufteten. Dieser idyllische Anblick brachte etwas von einer ganz eigenen Ruhe mit sich. Ein Ort der Erholung frei von allen Sorgen und Leid. Sie spazierten den langen Kiesweg entlang und unter einer großen Linde nahmen sie Platz. Juliets Amme beobachtete die beiden von einer Bank aus, die sich mit einer angemessenen Entfernung zu ihnen im Garten befand. Schließlich durfte eine junge Dame nicht mit einem Mann allein sein. Hier unter dem Baum verbrachten sie ein paar Stunden, sie redeten wieder und die junge Capulet erkundigte sich mehrfach nach dem Wohlergehen des Knaben. So sehr sorgte sie sich bereits um ihn nach dem er erwähnt hatte das er sich in den letzten Tagen unwohl fühlte. Später kam er ihrer Bitte nach ihr etwas aus ihrem Lieblingsbuch vorzulesen und sie lauschte seinen Worten. Es war etwas so einfach und doch wohnte dem eine besondere Art von Intimität Inne, dass es Romana in ihrem Versteck eifersüchtig machte. Denn wieder durfte ihr Konkurrent diesen Moment mit Juliet verbringen und nicht sie selbst. Als würden zwei Seelen in einem Körper leben. Nur das niemand Romana kannte und er stets die Oberhand hatte. Er erlebte jeden Augenblick in völliger Freiheit. Er lebte jeden Tag und sie war immer nur die schweigende Zuschauerin dieses traurigen Spektakels. Verborgen vor jedermanns Augen. Einfach nicht existent.



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