Romeo muss sterben Romeo muss sterben - 2. Kapitel

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- 9 Seiten -

Es war nicht der erste Ball auf dem Romana ihren Vater als Romeo begleiten musste. Vater nutzte diese Gelegenheiten sehr gern um neue Kontakte zu knüpfen oder mit seinem bisherigen Anstellungen anzugeben. Ein meinte immer, dass man nie genug davon besitzen konnte. Man wusste ja auch nie wann man sie mal gebrauchen könnte. Wenn Romana ehrlich war störte sie es nicht sich wie ein junger Mann auf solchen Feierlichkeiten kleiden zu müssen. Im Gegenteil. Sie empfand sich selbst als sehr stattlich in diesem schicken Anzug und mit dem Zylinder. Viel ansehnlicher als wenn sie ein Ballkleid getragen hätte. Dafür war ihr Körper viel zu schlank und besaß einfach nicht die notwendigen Rundungen um diese Art von Kleidungsstücke auszufüllen. Sie war sich sicher das sie darin aussehen würde, wie in einen Sack gehüllt. Das letzte Mal das das Mädchen ein Kleid trug war sie noch ganz jung. Die Amme hatte ihr eins ein Gemälde gezeigt, auf dem ihre Eltern und sie zu sehen waren. Das war wenige vor dem Tod ihrer Mutter. Auf dem Gemälde trug die kleine Romana ein Kleidchen, danach folgten nur noch Hosen. Und aus ihr wurde die jüngere und „bessere Variante“ ihres Vaters. Sie liebte das Ölportrait ihrer echten Familie. Am liebsten hätte sie es in ihrem Schlafgemach aufgehangen, doch das würde ihr Vater niemals erlauben. Darum hing es sicher versteckt auf dem Dachboden, den die junge Montague immer dann besuchte wenn sie ihre Familie und vor allem ihre Mutter vermisste. Sie war froh, dass die Amme das letzte Abbild ihres früheren Glückes vor dem Wahn des Hausherren bewahrt hatte. Manchmal wenn Romana das Gemälde betrachtete empfand sie sich ebenso hübsch wie ihre geliebte Mutter, selbst mit den kurzen Haaren. Sobald sie jedoch die Knabenkleidung trug und wieder zum Burschen wurde blieb davon nichts mehr übrig. Darum liebte ihr Vater seinen Sohn auch so sehr. Es war kein Funken seiner Tochter zu sehen geschweige denn die Ähnlichkeit zu seiner Verstorbenen Frau. Beide waren nicht mehr als eine wage Erinnerung an die er nie zurück denkt.

Wie es sich für einen jungen Mann und Gentleman gehörte stand Romeo bei den anderen Männern am Ende des Saales. Manchmal fragte sich das Mädchen hinter der burschenhaften Maske ob sie zwischen all den echten Jungen nicht doch mal auffallen würde. Würden sie jemals erkennen das er keiner von ihnen war? Doch egal wie oft sich Romana das auch fragte, am Ende eines Festes zeigte sich immer wieder wie perfekt ihr Schauspiel war. Sie war die geborene Schauspielerin in einem unfreiwilligem Theaterstück, das sich Leben nannte. Während der Knabe zwischen all den anderen stand und nicht aufzufallen schien war sein Vater wieder dabei neue Leute kennenzulernen. Alles potentielle neue Geschäftsbeziehungen. So ausgelassen wie er sich mit den Gästen unterhielt hatte er scheinbar auch wieder viel Erfolg damit. Ein korpulenter Mann, älter als Romeos Vater, der kaum noch Haare besaß und mit unzähligen goldenen Ringen geschmückt war, passte perfekt in das übliche Klientel des Händlers. Ein Klirren erklang und alle Augen richteten sich auf die große Treppe am anderen Ende des Ballsaals hin zu den Herrschaften Capulet. Nur halbherzig hörte Romeo zu, wie das stolze Elternpaar über ihr Töchterchen sprach. Sie erzählten ausschweifende Anekdoten aus dem Leben der jungen Capulet und erwähnten wieder wie sehr sie ihre Tochter doch liebten. Sie wirkten dabei so unglaublich glücklich und stolz. Erst als die Gastgeber den Namen des Ehrengastes nannten schenkte ihnen der junge Romeo dem Elternpaar am Ende des Saals seine Aufmerksamkeit. Denn keine Sekunde später schritt Juliet die üppig geschmückte Treppe herunter und ihm blieb fast das Herz stehen. Sie war in ihrem perlmuttfarbenem Ballkleid das Schönste und reinste das er je gesehen hatte. Auch wenn das Kleid im Gegensatz zu dem anderem pompösen Kitsch sehr schlicht wirkte, umschmeichelte der Stoff ihren zierlichen Körper und betonte ihre weiblichen Rundungen. Es war ihr wahrlich auf den schlanken Körper geschneidert. Und wieder wusste Romana im Inneren das sie niemals an diese natürliche Schönheit heran reichen würde und im Schatten dieser hübschen jungen Dame verblasste. Erst das applaudierende Volk brachte den jungen Montague wieder zurück in die Realität. Juliet bedankte sich mit zwei Küsschen auf die Wange bei ihren Eltern, bevor sie ihre melodische Stimme an die Menge richtete. Sie bedankte sich für das Kommen der Gäste und das ein jeder mit ihr ihren Geburtstag feierte. Danach war es an der Zeit um mit dem ersten Tanz diese Feierlichkeiten zu eröffnen. Juliet kam auf die Burschen am Ende des Saales zu. Es war fast als würden sie schweben, so elegant bewegte sie sich in diesem Kleid. Ein aufgeregtes und nervöses Raunen ging durch die Knaben als der Ehrengast sich ihnen nährte. Wie sie sofort stramm standen, mit stolz geschwellter Brust versuchten sie Eindruck zu schinden. Denn erste Tanz war etwas besonderes. Also verhielten sich die jungen Heeren wie ein Pfau auf Partnersuche der sein schönes Buntes Rad aufstellte um seiner auserwählten zu zeigen wie imposant und schön er war. Ein echtes Spektakel und doch so typisch bei diesen Feierlichkeiten. Mit jedem Schritt der schönen jungen Dame wurde auch Romeo nervöser, noch stärker als damals bei seinem allerersten Tanz. Doch diese Nervosität war neu. Auch das Mädchen hinter der knabenhaften Maske bebte hoffnungsvoll vor Aufregung. Noch nie spürten sie ihre Herzen derart stark gegen die Brust schlagen wie in diesem Augenblick und die Angst breitete sich spürbar in ihnen aus. Angst ein Jeder könnte dieses laute Trommeln wahrnehmen. Gleichzeitig erhoffte das Mädchen im Inneren das dieses Geräusch den Ehrengast zu ihr und Romeo führen würde.

Als die schöne Capulet tatsächlich vor ihm stehen blieb und mit einem Knicks aufforderte vergaß er fast zu atmen oder gar sich zu bewegen. Auch Romana war sprachlos und kam nicht umhin sie zu betrachten. Ganz wie von selbst verbeugte sich der Knabe und geleitete das hübsche Mädchen für den Tanz auf das große Parkett unter den prüfenden Augen aller anwesenden Gäste. Obwohl sich die Haut ihrer Hände durch Juliets Handschuhe nicht direkt berührten durchströmte Romeo eine Welle unbeschreiblicher Wärme. Als die Musik begann zu spielen bewegten sie sich wie von selbst. Der Knabe hatte schon oft mit jungen Frauen getanzt , schließlich gehörte das zum Anstand eines Gentleman und zu einer guten Feier. Dieses Mal fühlte es sich jedoch anders an. Wie es schien war mit Juliet alles anders. Sie schwebten übers Parkett und tanzten dabei so dicht, dass er Sorge hatte sie könnte Romana in seinen Augen erkennen. Denn es war das Mädchen im Inneren die sich in den blauen Seen Juliets unwiderruflich verlor. In ihr bereitete sich diese magische Wärme im ganzen Körper aus je länger sie sich so eng zur Musik bewegten. Sie betrachtete das Mädchen in seinen Armen, spürte ihr Herz so wild schlagen und kam nicht umhin diese Schönheit zu bewundern. Es wirkte wie eine Ewigkeit in der sie mit Juliet tanzte und es nur sie zwei gab. Dennoch wirkte es so als wäre dieser Moment so schnell vorbei wie ein Augenaufschlag. Erneut war es der Applaus der Romeo zurück in die Wirklich brachte und Romana tief in seinem Inneren verschwinden ließ. Er verbeugte sich vor seiner schönen Tanzpartnerin und verließ mit festem Schritt den großen Saal um etwas frische Luft zu schnappen. Die kühle Nachtluft und das silbergraue Licht brachten das versteckte Mädchen wieder zum Vorschein. Sie umklammerte das steinerne Geländer des Balkons und blickte auf die schemenhaften Umrisse des Gartens. Mit jedem tiefen Atemzug wurden ihre Gedanken klarer wie die Luft die sie umgab. Doch die Gefühle im Inneren glichen einem stürmischen Chaos. Noch nie hatte sie etwas vergleichbares gefühlt. Noch nie solch einen Moment mit einem Mädchen oder Irgendjemandem geteilt. Diese Nervosität und diese Aufregung. Diese unerschütterliche Hoffnung, dass Juliet sie zwischen all den echten Knaben auswählen sollte. Das wilde Herzklopfen als ihr innigster Wunsch Realität wurde und sie tanzten. So dicht bei einander als hätte es nur sie zwei gegeben in einem Zeitlosen Raum. Nie hätte Romana geglaubt so etwas jemals zu erleben. Hatte sie bisher doch nur davon gelesen. Über solche Gefühle und Augenblicke. Doch die Freude wich mit den nächsten Atemzügen und ihr wurde sich der traurigen Wahrheit bewusst. Nicht sie hatte diesen unbezahlbaren Moment mit dem Capulet Mädchen geteilt sondern Romeo. Er hielt sie in seinen Armen während sie tanzten. Ihm sah Juliet in die Augen. Ihn lächelte sie an und kürte ihn zu ihrem besonderen Tanzpartner. Wieder einmal war er es gewesen der all das erleben durfte und Romana nicht existierte. Sie war stets die unsichtbare Gestalt vor aller Augen. Tränen stiegen brennend in ihr auf. Ein großer Kloß im Hals machten das atmen schwer. Denn zum ersten Mal empfand sie tiefen Hass für den Jungen der alles besaß. Dieses Mal war er zu weit gegangen. Es war, als hätte er ihr das zerbrechliche Herz mit bloßen Händen aus der Brust gerissen. Ein Jeder kannte und liebte diesen Burschen. Vor allem Vater. Schenkte er ihm doch alles, von dem er glaubte das es ein junger Mann besitzen musste. Er lebte ein Leben das Romana nicht gestattet war. Er lebte Ihr Leben. Noch nie fühlte sie sich derart unwohl und falsch dabei Jemand anderes als sie selbst sein zu müssen wie in diesem Augenblick. Wie konnte ihr Vater so etwas nur von ihr verlangen? Natürlich gab es Vorteile ein Junge zu sein, besonders die vielen Freiheiten schätzte und liebte Romana. Doch gerade verabscheute sie es bis aufs Blut und hasste ihren Vater für die große Bürde mit der er sie jeden Tag seit dem Tod ihrer Mutter belastete. Aber gleichzeitig wurde dem verletzten Mädchen noch schmerzlicher bewusst, dass Juliet sie niemals auserwählt oder gar mit ihr getanzt hätte wen sie als Romana auf dem Ball erschienen wäre. Sie hätte ihr keines Blickes gewürdigt, zumindest nicht in dieser Art und Weise. Selbst dann wäre sie für das Capulet Mädchen unsichtbar gewesen.

Nach einer elendig langen Zeit, gefangen in ihren chaotischen Gedanken und Gefühlen gesellte sich das Geburtstagskind zum vermeintlichen Knaben Romeo. Es dauerte keine Sekunden da war das gebrochene Mädchen und ihre Tränen wieder Tief weggesperrt und der Knabe kam zum Vorschein. Manchmal erschreckte es Romana wie gut sie dieses Spiel doch beherrschte. Einen Schalter umzulegen und völlig zu verschwinden um einem anderen Platz zu machen. Zu lang schon war das ihr Alltag. Alles Gute zum Geburtstag, Fräulein.“, sprach er mit ruhiger Stimme und gab ihr einen leichten Handkuss auf den seidenen Handschuh. Er hatte dabei selbst nicht geglaubt, dass nach all den Tränen so viel Selbstbeherrschung möglich war. Juliet errötete leicht und bedankte sich mit einem herzlichen Lächeln, wobei sie sich eine lose Strähne ihres goldenes Haars hinters Ohr strich. Der Anblick beruhigte das aufgewühlte Mädchen hinter der Knabenmaske ein wenig und sie betrachtete die junge Capulet. Ihre Sommersprossen wirken in diesem Mondlicht wie Sterne die ihr Gesicht verzierten ebenso wie das Himmelszelt. Sie wirkte so zerbrechlich und mysteriös. Während Romana nicht aufhören konnte Juliet anzusehen, begann Romeo sich mit ihr zu unterhalten. Sie redeten über ihre Leben. Als er die vielen Städte erwähnte die er mit seinem Vater besucht oder bewohnt hatte hing sie fasziniert an seinen Lippen. Er malte ihr Bilder mit seinen Worten. Berichtete alles bis in kleinste Detail und schaffte es somit das sie seine Welt durch seine Augen sah. Er erzählte ihr von den vielen Sprachen die er beherrschte und sie hörte gespannt zu. Diese Zweisamkeit verging wie im Flug bis Juliets Amme sie bat wieder zu ihren restlichen Gästen zu gehen. Schweren Herzens verabschiedete sich Juliet mit einem sanften Kuss auf die Wange des Knaben und einem erneutem „Danke“, bevor sie ihn wieder mit seinen Gedanken allein ließ. Und Romana wurde das Herz ganz schwer zum einen vor Freude um diese Zeit und den Kuss und zum anderen vor Trauer, da es nicht ihr gegolten hatte.


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