Mit No Way Home legt T.C. Boyle einen neuen Roman vor, der in Deutschland 2025 als Erstveröffentlichung erscheint – noch vor der englischen Originalausgabe. Für einen US-Autor seiner Größe ist das ein bemerkenswerter Schritt, der zeigt, wie stark Boyle hierzulande rezipiert wird. Hanser bringt den Titel, Boyle selbst wird im Herbst auf Lesereise durch fünf deutsche Städte von Hamburg bis Düsseldorf gehen.
Doch was erwartet die Leserinnen und Leser? Wer auf einen großen Gesellschaftsroman im Stil von Blue Skies gehofft hatte, wird überrascht: No Way Home ist in erster Linie eine Dreiecksgeschichte – und zugleich eine Studie über Obsession, Verlust und toxische Männlichkeit.
Ausgangspunkt: Tod und Entwurzelung
Die Handlung setzt nicht mit der Dreiecksbeziehung ein, sondern mit einem radikal persönlichen Bruch: Terrence, Arzt in Los Angeles, verliert seine Mutter. Während er noch zwischen Klinikfluren, Notfällen und Herzstillständen pendelt, erreicht ihn die Nachricht ihres Todes. Boyle zeigt hier in seiner typischen Mischung aus Lakonie und Groteske, wie das Private das Professionelle unterläuft. Der Tod ist Routine, aber diesmal trifft er mitten ins eigene Leben.
Schon in diesen ersten Kapiteln deutet sich an, worum es im Kern geht: Kontrollverlust. Terrence, der als Arzt gelernt hat, mit präzisen Handgriffen Leben zu retten, scheitert an der Erfahrung, dass er den Verlust seiner Mutter nicht verhindern kann. Dieses Spannungsverhältnis – zwischen Kontrolle und Chaos – zieht sich durch den gesamten Roman.
Ein gefährliches Dreieck
In Boulder City, Nevada, erbt Terrence das Haus der Mutter – samt Hund Daisy. Dort trifft er Bethany, eine junge Frau, die sich ohne Einladung in sein Leben einquartiert. Gegen seinen Willen, aber nicht gegen sein Begehren, bleibt sie. Zwischen den beiden entsteht eine Affäre.
Doch Bethany bringt Vergangenheit mit: Jesse, ihr Ex-Freund, Biker, Trinker, Möchtegern-Schriftsteller. Jesse und Terrence sind, wie Boyle selbst sagt, „natürliche Antagonisten“. Was sie verbindet, ist einzig Bethany – oder besser gesagt: ihr Anspruch auf sie. Jesse warnt Terrence früh: „Sie ist Gift.“ Diese Drohung bestimmt das weitere Geschehen. Die beiden Männer begegnen einander mit wachsender Aggression, die in gefährlichen Situationen eskaliert – bis hin zu lebensbedrohlichen Stürzen und Gewaltakten.
Heimat, Liebe, toxische Männlichkeit
Boyle verwebt mehrere Motive. Heimat wird in No Way Home nicht als Idylle gezeigt, sondern als Zumutung. Die Wüste Nevadas beschreibt Terrence lakonisch als „mehr wie die Sohle eines alten Joggingschuhs: nichts als Dreck und abgewetztes Profil.“ Das Bild steht programmatisch für die Leere, die er empfindet.
Gleichzeitig entfaltet sich die Dreiecksgeschichte als Psychodrama über Liebe als unheimliche, chaotische Kraft. Bethany bleibt zwischen den beiden Männern gefangen, die sie weniger als eigenständige Person, sondern als Projektionsfläche sehen. Beide beanspruchen sie, beide missbrauchen ihre Macht über sie. So lässt sich No Way Home auch als Roman über toxische Männlichkeit lesen: eine Studie über Besitzansprüche, Gewalt, Rücksichtslosigkeit.
Allegorie oder Kammerspiel?
In Interviews deutet Boyle an, dass die Dreiecksgeschichte auch als Allegorie auf das politische Klima lesbar sei: Menschen, die sich an destruktive Kräfte binden, obwohl sie es besser wissen müssten. In Zeiten einer tief gespaltenen US-Gesellschaft liegt dieser Deutungsrahmen nahe. Ursprünglich wollte Boyle stärker Umweltthemen einbauen, etwa den Lake Mead und die Folgen des Hoover-Damm-Baus. Doch er selbst gesteht: Die Figuren haben ihn in eine andere Richtung geführt.
Das Resultat ist ambivalent. Einerseits bleibt No Way Home spannend, weil die Figuren konsequent in ihre Abgründe getrieben werden. Andererseits wirken Dialoge mitunter hölzern, Erotik oberflächlich, Alltagsdetails unfreiwillig komisch. Wenn Bethany sich zwischen Salat und Tacos entscheidet oder die beiden Kontrahenten von ihr nach einer Prügelei verarztet werden, dann kippt das Drama ins Groteske.
Boyles vertraute Muster
Deutsche Kritiken betonen genau diesen Zwiespalt. Einerseits gelingt Boyle ein packendes Psychodrama über Abhängigkeiten, Verlust und Gewalt. Andererseits scheinen viele Motive vertraut: ein Biker mit literarischen Ambitionen, ein Arzt, der zwischen Beruf und Privatleben zerrieben wird, eine Frau als Katalysator männlicher Konflikte. Die großen Amerika-Mythen, die Boyle früher oft ironisch befragt hat, tragen hier nicht mehr. Stattdessen wirkt der Roman wie ein Western ohne Mythen – eine Geschichte, der der große Überbau fehlt.
Kein Weg zurück
No Way Home ist weder reiner Liebesroman noch klassischer Gesellschaftsroman. Boyle hat ein Psychodrama geschrieben, das um Trauer, Obsession und toxische Männlichkeit kreist. Politische Untertöne sind da, aber sie treten hinter die chaotische Kraft der Figuren zurück. Was bleibt, ist die Studie einer Amour fou, in der Gewalt und Besitzansprüche jede Chance auf Nähe zerstören.
Der Titel ist programmatisch: „No way home“ – kein Heimweg, kein Zuhause, nur die Erfahrung von Verlust, Abhängigkeit und Abgründen. Große Literatur? Vielleicht. Sicher aber ein Roman, der Boyles Leserschaft spaltet – zwischen denen, die die Intensität seiner Figuren schätzen, und jenen, die hier nur abgenutzte Klischees sehen.
Über den Autor: T. C. Boyle
T. C. Boyle (*1948 in Peekskill, New York) gehört zu den bekanntesten amerikanischen Autoren der Gegenwart. Sein Lebensweg ist selbst eine kleine amerikanische Geschichte: vom notorischen Schulschwänzer und Rebell der Jugendjahre über kurze Stationen als Lehrer bis hin zur Promotion an der University of Iowa, wo er das renommierte „Iowa Writers’ Workshop“-Programm absolvierte.
Heute lebt Boyle mit seiner Frau und drei Kindern in Kalifornien. Bekannt ist er als Vielschreiber: Rund 20 Romane und zahlreiche Erzählbände stammen aus seiner Feder. Für sein Werk erhielt er internationale Auszeichnungen, darunter den Prix Médicis étranger. Zu seinen meistgelesenen Büchern zählen América, Dr. Sex und Talk Talk.
Boyle ist nicht nur Autor, sondern auch Lehrer: Als Dozent für Creative Writing hat er seine Erfahrungen an jüngere Schriftstellerinnen und Schriftsteller weitergegeben. Seine Literatur zeichnet sich durch große Themenvielfalt aus – von Umwelt und Politik über Geschichte bis hin zu menschlichen Abgründen und grotesken Liebesgeschichten.
Mit No Way Home knüpft Boyle an diese Tradition an: eine Erzählung zwischen Obsession, Verlust und Gewalt, die zugleich nah am Psychodrama und offen für gesellschaftliche Lesarten bleibt.
- Herausgeber : Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
- Erscheinungstermin : 16. September 2025
- Roman
-
Autor: T. C. Boyle
- Übersetzter: Dirk van Gunsteren