Werner Herzog: "Das Dämmern der Welt" Ewiger innerer Krieg

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In seinem dritten Buch "Das Dämmern der Welt" erzählt der Regisseur Werner Herzog die Geschichte eines Fanatikers, der sich obsessiv in den Kampf stürzt und für den der Zweite Weltkrieg erst am 9. März 1974 endete. Bild: Carl Hanser Verlag

In "Das Dämmern der Welt" erzählt der preisgekrönte Filmemacher Werner Herzog die Geschichte des japanischen Soldaten Leutnant Hiroo Onoda, der noch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs - bis 1974 - eine strategisch bedeutungslose Insel im Pazifik verteidigt hat. Das Buch zeigt die Metamorphose eines Fanatikers. In größter Abgeschiedenheit fragt Herzog nach dem Sinn und Unsinn der menschlichen Existenz.

In Werner Herzogs neuem Roman "Das Dämmern der Welt" geht es nicht um die Darstellung literarisch aufgearbeiteter Fakten. Dies macht der bayerische Regisseur gleich zu Beginn seines Buches klar. Viel mehr interessiert ihn der existenzielle Zugang zur Welt, die Frage, unter welchen Ausnahmesituationen sich ein Individuum wie manifestiert. Herzog selbst prägte dafür den Begriff der "ekstatischen Wahrheit", der all seine Werke - seien es nun literarische oder filmische Exponate - auf zuweilen radikale Weise vorantreibt und später durchdringt.

Immer schon zeigte sich dieser Ausnahme-Regisseur beeindruckt vom Archaischen, angezogen von Extremsituationen, in denen sich ein Ich - nackt und auf sich gestellt - zur Welt verhalten muss. So auch in diesem Werk. Ein namenloser Ich-Erzähler will in Japan eine traditionelle Oper inszenieren. Zu seiner Überraschung bekommt er das Angebot, den japanischen Kaiser zu treffen; zur Überraschung nahezu aller Beteiligten, lehnt er dieses Treffen jedoch ab. Stattdessen, erklärt der Erzähler, würde er gerne mit einem anderen Mann sprechen: Mit Leutnant Hirō Onoda, dessen Geschichte zum Herzstück des Romans wird.

Ein Dämon, ein Geist im Wald der Bauern tötet

Während des Zweiten Weltkriegs erhielt Leutnant Hirō Onoda die Anordnung, im Dschungel der philippinischen Insel Lubang Sabotageakte zu verüben, um so das Vorrücken der alliierten Truppen zu stören. Nahezu obsessiv stürzte sich Onada in die ihm erteilte Aufgabe hinein, so obsessiv sogar, dass er das Ende des Krieges nicht mitbekamt und tatsächlich bis 1974 im Dschungel ausharrte. Der Guerillakampf, Onoda´s Lebensaufgabe, wird in Form von Tagebucheinträgen nachvollzogen. Hierbei legt Herzog das Gewicht in erster Linie auf die inneren Zustände seiner Protagonisten. Er beschreibt, wie sich Onoda und seine Kameraden unter dem Diktat der Natur, des Dschungels, verändern. Eine Metamorphose, die auch das Verhältnis zur Welt nicht unangetastet lässt. Dass mit diesem Begriff "Welt" stets nur ein Ausschnitt dessen gemeint sein kann, was dieser Begriff im Grunde umfasst, wird in diesem Buch wunderbar deutlich. Dieser allzu große Begriff "Welt" bedeutet hier eine konkrete Aufgabe, ein Ziel, welches fanatisch verfolgt wird. In dieser radikalen Fokussierung aufs Wesentliche, ist auch ein Gegenentwurf zur westlichen Welt herauszulesen, die in unzähligen Nebenaufgaben und mannigfaltigen Entscheidungsmöglichkeiten zerfällt.

Herzog bricht die Perspektive, wenn er uns Leutnant Onoda aus den Augen der philippinischen Bewohner Lubangs sehen lässt. Für diese ist der Fanatiker ein bösartiges, mystisches Wesen, welches Nahrung stielt und Bauern angreift. "Von ihm wird nur im Flüsterton gesprochen", heißt es an einer Stelle. Er ist die "dauernde Erinnerung an die Unfähigkeit", zugleich jedoch spricht man von ihm "... mit der Zuneigung, die man einem Maskottchen zukommen lässt"

In Fanatiker vernarrt

Werner Herzog selbst ist Fanatiker. Er ist vernarrt in exzentrische Figuren. Nichts scheint ihm so widerwärtig wie das Mittelmaß, die unterfordernde Unterhaltung. Es wäre unterkomplex, in diesem Falle allein seine langjährige Zusammenarbeit - und wohl auch Faszination - mit Klaus Kinski ins Feld zu führen. Denn auch das leise Extrem interessiert ihn, auch die radikale Indifferenz, die gesamte Klaviatur der "ekstatischen Wirklichkeit" eben. In "Das Dämmern der Welt" ist es ein Ehrencodex, der niemals geschrieben aber dem umso vehementer gefolgt wird. Es ist die Abgeschiedenheit, in der sich ein uns zuweilen befremdlich erscheinendes Selbst gründet. Aus westlicher Sicht eine emphatische, irre Selbstaufgabe; für Herzog vielleicht ein adäquat gefülltes Leben?


Werner Herzog: "Das Dämmern der Welt"; Hanser Verlag 2021, 127 Seiten, 19 Euro


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