Colson Whitehead - Die Nickel Boys Der Alptraum im "Weißen Haus"

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In seinem neuen Roman "Die Nickel Boys" erzählt der Pulitzerpreisträger Colson Whitehead von einer US-Strafanstalt, in der gefoltert und gemordet wird. Die real exisiterende "Arthur G. Dozier School for Boys", die hierzu Vorlage bot, wurde erst 2011 geschlossen.

In seinem neuen Roman "Die Nickel Boys" berichtet Colson Whitehead von einer Besserungsanstalt des Grauens, von Rassismus und Heterotopien. Foto: Hanser Verlag

Das "Nickel" ist eine in Florida gelegene "Besserungsanstalt" für Jugendliche. Eine "Besserungsanstalt", in der gefoltert und gemordet wird. Keine Spur von Resozialisationsbemühungen, kein pädagogisches Interesse, lediglich Hass und Zerstörungswu . Die öffentliche Lesart der Anstalt verspricht, die einsitzenden, auffällig gewordenen Jungen körperlich und geistig zu ertüchtigen. Jene Versprechungen aber, exisiteren nur auf dem Papier. Tatsächlich gehen die Jugendlichen hier durch die Hölle: "Das Schlimmste, was Elwood je erlebt hatte, geschah täglich: Er erwachte in diesem Loch."

Der sechzehnjährige Elwood kam aus einem unglücklichen Zufall hier her. Beim Trampen stieg er in den Wagen eines Autodiebes, und wurde im Zuge einer polizeilichen Kontrolle gleich mitverhaftet. Wir befinden uns in der Mitte der Sechszigerjahre, Rassentrennung ist Alltag, und Elwood, ein junger Schwarzer, wird umgehend ins "Nickel" verfrachtet. Eigentlich stand dem intelligenten, strebsamen Jungen eine Zukunft am Melvin Griggs Technical - College bevor. Die zunächst saubere Fassade der "Erziehungsanstalt" täuscht, verdeckt die hier stattfindenen Grausamkeit. Doch was Elwood und die anderen Jungs hier erleben werden, ist unvorstellbar.

Historische Grundlage

Wieder erzählt Colson Whitehead eine Geschichte, die auf historischen Grundlagen basiert. Für seinen Roman "Underground Railroad" (in dem es um ein Netzwerk zur Rettung von Sklaven ging) wurde er mit dem Pulitzerpreis und den Nationals Book Award ausgezeichnet. In "The Nickel Boys" bewegt sich der Schriftsteller nun noch ein Stück näher an die Realität heran, verzichtet nahezu auf fiktonalisierende Filter. Der Horror dieser Geschichte ist gerade dem Umstand geschuldet, dass sie tatsächlich stattfand.

Die hier beschriebene "Nickel" - Anstalt ist an der realen "Arthur G. Dozier School for Boys" angelehnt, die erst 2011 geschlossen wurde. Bereits 2009 meldeten sich mehrere Überlebende zu Wort, berichteten von den alptraumhafen Umständen, von Folter und Mord. 2014 dann der grausame Fund: Bei Ausgrabungsarbeiten entdeckten Archäologiestudierende die Leichen von insgesamt 43 Menschen. Knochen und Schädelbrüche. Manche der Körper mit Schrot durchsiebt.

Das Weiße Haus

Der Rassismus der Sechszigerjahre ist natürlich auch in der Anstalt zu spüren. Die schwarzen Jungs bekommen schlechteres Essen, bereits abgetragende Kleidung, werden härter bestraft als die weißen. Elwood versucht sich Hoffnung zu bewahren, indem er immer wieder Textzeilen und Sätze seines großen Vorbildes Martin Luther Kings rezitiert. Stoßgebete gegen die Kälte des Alltags, die rücksichtslos auf ihn einschlägt.

Die Folterkammer des Nickel´s ist das etwas abseits gelegene Weiße Haus, die "Eiscreme-Fabrik". Die mahlenden Geräuche in der Nacht - ausgehend von einem großen Ventilator - übertönen die Schreie der gefolterten Jungendlichen, in deren Fleisch sich der meterlange Riemen frisst. Die Windschmaschine ist beinahe jede Nacht in betrieb.

Einschlägige Kapitel

Whitehead gliedert seine Erzählung in drei Teile. Im ersten lernen wir Edwood als einen jungen aufgeweckten und mit großer Aufregung die Rassenunruhen verfolgenden Schüler kennen. Fragen bäumen sich in ihm auf: Wird er eine Zukunft erleben dürfen, in der er den gleichen Vergnügungen nachgehen kann wie die Weißen? Neben Martin Luther King dient ihm sein Leher - der sich als Bürgerrechtler engagiert - als Vorbild. Wir spüren die Kraft der Proteste, in denen die Hoffnung einer bessere Zukunft anklingt.

Die "Einlieferung" ins "Nickel" fungiert dann als eine Antithese, die jegliche Hoffnung in den Staub tritt. Der Riemen reißt Fleischstücke aus den jungen Körpern heraus - Hoffnungen werden Häppchenweise elemeniert, aufgelöst. So beschreibt das "Nickel" als Heterotopie die fortgeführten Unterdrückungsmechanismen einer rassistischen Gesellschaft. Willkür und Grausamkeit sind hier die Triebfedern des Alltags.

Im letzten Kapitel treffen wir Elwood als erwachsenen Mann in New York wieder. Er hat sich eine Existenz aufgebaut, besitzt eine eigene Umzugsfirma, ist in einer glücklichen Beziehung. Die schrecklichen Erfahrungen aber, die er im Nickel machen musste, werden ihn weiterhin begleiten, sind nicht auszuradieren. Denn auch wenn diese Erfahrungen "zig Jahre" zurückliegen, brennen sie immer wieder auf, etwas dann, wenn Elwood täglich Zeit damit verbringt, die "Sitten normaler Menschen zu dechiffrieren. Jener Leute, die eine glückliche Kindheit gehabt, drei Mahlzeiten pro Tag und einen Gutenachtkuss bekommen hatten."

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