Buchtipp zu Weihnachten Roger Willemsen: Musik, ein Lebensgefühl

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Roger Willemsen fehlt uns als öffentliche, intellektuelle Stimme in diesen Zeiten mehr denn je. Seine Liebe zum Diskurs, seine ebenso hoffnungsvollen wie kritischen Ansichten, sein Humanismus, seine tiefe Verbundenheit zur Sprache. Natürlich, zu jeder Jahreszeit könnte man immer alle Texte Willemsens empfehlen; hier aber, wollen wir noch einmal das Ende 2018 erschienene Buch "Musik! Über ein Lebensgefühl" ans Herz legen.

Kaum jemand hat seine Liebe zur Kunst so überzeugend in Worte fassen können, wie Roger Willemsen. Insbesondere die Musik war ihn eine lebenslange Begleiterin. Die in "Musik! Ein Lebensgefühl" versammelten Texte zeigen, wie Willemsen Musik sah. Foto: S. Fischer Verlag

Roger Willemsen. Der Schriftsteller, der auch Weltenbummler war; der öffentliche Intellektuelle, den man ebenso als überzeugenden Moderator aus Fernsehsendungen wie 0137 oder Willemsens Woche kennt; ein Menschenrechtler, der seine Humanitätsbestrebungen nicht zum Aushängeschild der eigenen Person machte. Mit Büchern wie Momentum, Der Knacks oder die Enden der Welt bewegte Willemsen seine Leserschaft nachhaltig. Seine Texte eröffnen neue Blickwinkel, erweitern die Perspektive und helfen also letztlich dabei, das eigene Leben über das vielleicht bis dato "Fremde" zu legen, und umgekehrt. Kommunikation, sagte Willemsen immer wieder, sei die Überwindung von Einsamkeit. Die Musik - insbesondere der Jazz - war bei diesen Überwindungsversuchen stets ein ausschlaggebender Faktor - sowohl als Antriebskraft und Motor, aber auch als glückselige Insel und Erholungsort. Früh schlug das Musikalische im Leben des Intellektuellen auf, und wurde schnell zur steten Begleiterin. Zwei Jahre nach seinem Tod erschien die Textsammlungen "Musik! Ein Lebensgefühlt", herausgegeben von Insa Wilke, bei Willemsens Hausverlag S. Fischer. Eine rund 500 Seiten starke Hommage, in der Willemsen das Diverse, das Kontemplative, das Rauschhafte verteidigt und ehrt. Texte, die einer täglich stärker überreizten Welt die überwältigende Kraft der Kunst entgegenstellen und verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Konzentration auf jene Dinge zu lenken, die uns als die Ergebnisse intensiver Auseinandersetzungen erscheinen.

Wie klingt ein Verlassen-Werden, wo hört man die Eifersucht?

Ja, Kontemplation. Die stille, ungebrochene Beobachtung; das Besinnen. Nichts hätten wir nötiger. Willemsens Texte über die Musik lassen sich, gerade im Hinblick auf die vielerorts verlorenen gegangene Fähigkeit der intensiveren Betrachtung, gewissermaßen als Verteidigungstexte lesen. Verteidigungstexte allerdings, denen nichts aggressives anhaftet. Wie bei jedem großen Schriftsteller geht es hier nicht darum, etwas niederzureißen, sondern um den Aufbau der besseren Alternative. Man kann in diesem Buch also durchaus anders beobachten und sehen lernen. Hinter die Kulissen schauen, über den Tellerrand. Durch das Musikstück in die Biografie. Beispielsweise dann, wenn Willemsen zu fragen beginnt, wie "Liebeskummer klingt", oder wie man "Abschiedsschmerz komponiert", merkt man, wie sehr Willemsen daran gelegen ist, Gegenstände zu durchdringen.

Eine lebenslange Sammlung

Die in Musik! Über ein Lebensgefühl versammelten Texten setzen sich aus vielerlei zusammen. Einige von ihnen sind bereits als Booklet-Texte erschienen, andere als Kolumnen, viele verharrten bis dato ungedruckt in Willemsens Notizbüchern. Hier erschienen sie zum ersten Mal gesammelt in Buchform. So lässt sich Musik! Über ein Lebensgefühl durchaus auch als eine Sammlung biografischer Augenblicke lesen, als eine fortlaufende Erregungsgeschichte.

Gerade ist unsere Welt ein klein wenig langsamer geworden. Und auch wenn diese Auszeit wie eine gezwungene erscheint, auch wenn sie durchaus zu existenziellen Krisen und Katastrophen führt, hilft es doch nichts, auf den Straßen ignorant und ungehemmt aus vollem Halse die ach so liebgewonnene Geschwindigkeit zurückzufordern. Wir sollten in der Behäbigkeit die Chance der genaueren Betrachtung erkennen. Wieder sehen können, was auf all zu schnellen Wegen vergessen wurde. Nicht zu denen werden, über die Roger Willemsen in einem seiner letzten Texte, der Zukunftsrede, schrieb:

"Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten."


Roger Willemsen: „Musik! Über ein Lebensgefühl.“; herausgegeben von Insa Wilke, S. Fischer Verlag Frankfurt am Main, 512 Seiten, 24 Euro






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