Das Thema Pandemie-Literatur treibt seit einigen Wochen sein Unwesen im literarischen Bereich. Viele Verlage fürchteten recht früh, dass ihre Lektoren-Tische mit Corona-Manuskripten überfüllt sein werden. Wie sieht es gegenwärtig aus? Was für Geschichten kommen auf uns zu? Und hat sich die Angst der Verlage bestätigt?
Also gut, die Angst vor einem enormen Schwall von Pandemie-Literatur ist mit Sicherheit berechtigt gewesen. Denn wie wir alle wissen, mutiert jeder Mensch, der täglich länger als drei Stunden Zeit zum nachdenken hat, urplötzlich zur Autorin oder zum Autor. Und auch das wissen wir: Jene Autorinnen und Autoren, die bereits mehr oder weniger fest im Literaturbetrieb verankert sind, schreiben nicht selten von der Oberfläche weg, will heißen, jede von außen her gelieferte Sensation ist sogleich auch potentieller Stoff für eine Geschichte. Kein Wunder also, dass viele Verlage regelrecht darum bettelten, nicht von Corona-Manuskripten überhäuft zu werden. Was aber steht fest, jetzt, wo einige Wochen ins Land gegangen sind? Wer schreibt was? Und hat sich die Angst der Verlage bestätigt?
Martin Meyers "Corona" erscheint im Juni
Wahrgenommen, hingesetzt, aufgeschrieben. Mitte Juni erscheint die erste Corona-Prosa auf im deutschsprachigen Buchmarkt. Geschrieben wurde sie von dem Schweizer Journalisten Martin Meyer, und man kann nur darauf hoffen, dass ihr Inhalt origineller sein wird als der Titel; der lautet nämlich ganz schlicht "Corona". Erscheinen wird das Buch im Schweizer Verlag Kein & Aber.
"Ein Buchhändler befindet sich in Quarantäne. Er ist erkrankt. Was tun? Er steuert zum Buchregal und nimmt sich Bücher zur Hand, die sich zu früheren Zeiten mit Seuchen befasst haben. Ist Literatur nicht der Spiegel des Lebens – und somit auch des Sterbens? Seit die Seuche gekommen ist und alles in ihrem Bann hält, darf Matteo seine Wohnung nicht mehr verlassen. " (Klappentext "Corona" von Martin Meyer, Kein & Aber)
Am Ende des Klappentextes heißt es dann "Wird Matteo überleben? Könne ihn die Bücher retten?" Es ist kaum zu übersehen, dass hier jemand, der beruflich im journalistischen Bereich tätig und Feuilletonleiter der Neuen Züricher Zeitung ist, Feuilleton-Material zu Prosa macht. Was haben wir nicht alles über Albert Camus "Pest" gelesen, in den letzten Wochen? Auch Thomas Manns "Tod in Venedig" kam nicht selten vor und auch "Die Pest von London" von Defeos blieb nicht unerwähnt. Kurz: All jene Bücher, die Meyers Held nun in der Quarantäne Zeit liest, um "zu überleben" Der Stoff ist also mit heißer Nadel gestrick,t und man sollte wohl, vorsichtig ausgedrückt, skeptisch sein, wenn man hier auf tiefe, erhellende Literatur hofft.
Joachim Lottmann sitzt noch am Schreibtisch
"Forever Young" lautet der Arbeitstitel eines Buches, an dem der Schriftsteller Joachim Lottmann derweil arbeitet. Dieses Projekt verspricht schon interessanter zu werden als Meyers Ich-Zeig-Mal-Mit-Dem-Finger-Drauf Ansatz. Wenn jemand wie Lottmann, der als Vertreter der deutschen Popliteratur gilt und stilistisch nicht selten einen ironischen Ton anschlägt, auf das Pandemie-Thema trifft, dann kann mit Sicherheit die ein oder andere erhellende Passage zum Vorschein kommen. Die heiße Nadel ist bei Lottmann stilistisch schon mitgedacht, vielleicht lachen wir uns bald zu Tode. Erscheinen wird das Buch beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, ein Datum steht nicht fest.
Und wo sind sie nun, all die Manuskripte?
Nun gut, und wo sind nun all die unverlangten Corona-Manuskripte? Hier scheint es tatsächlich eine Überraschung zu geben. Denn während man bei KiWi von Lottmann als einzigen Autor hört, der sich dem Thema gerade annimmt, scheint es bei den anderen großen Verlagen verhältnismäßig ruhig zu sein. Eine Umfrage brachte zutage, dass man etwa bei Suhrkamp in Berlin keine Corona-Prosa plane. Auch unverlangt eingesandte Manuskripte habe es keine gegeben. Beim Stuttgarter Verlag Klett-Cotta heißt es, „hie und da wurde was angeboten, aber das war eher nichts“. Auch bei Luchterhand in München blieben die Lektoren-Tische leer.
Das Corona uns auch im literarischen Bereich längere Zeit lang begleiten wird steht außer Frage. Und natürlich wird es Geschichten geben, in denen diese Ausnahmesituation - das Gefühl der Vereinsamung, die Notwendigkeit sozialer Kontakte, das Aufkommen existenzieller Ängste und andere Begleiterscheinungen der Krise - eine Rolle spielen wird. Umso schöner ist es doch, dass Autorinnen und Autoren diesen Stoff eben nicht von der Oberfläche abschöpfen, sondern ihn zunächst einmal wirken lassen. Ebenso wie unser Lesen, wird sich auch die Literatur im Zuge und Nachklang dieser Zeit verändern. Hoffentlich zum Positiven.
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