Wie definiert sich der Begriff "Arbeit" im 21. Jahrhundert? Und woher kommt eigentlich diese perverse Anschauung, selbst schwere, unterbezahlte Jobs seien besser, als überhaupt nichts zu tun? Bereits 1880 schrieb der französische Sozialist Paul Lafargue in seinem Werk "Das Recht auf Faulheit" von einer "seltsamen Arbeitssucht", welche die Massen beherrsche.
Als der Sozialpsychologe Harald Welzer in einem Gespräch mit der Juristin und Politikerin Katarina Barley (SPD) anmerkte, man könne ja eventuell darüber nachdenken, Arbeit in Zukunft gänzlich abzuschaffen, stieg nicht nur Frau Barley Unverständnis und Entsetzen ins Gesicht. Auch das Publikum wurde unruhig. Leben ohne Arbeit? Unvorstellbar! Wohin mit der ganzen Zeit, mit der lang konditionierten Arbeits-Energie, und überhaupt, wo bleibt dann die so heiß geliebte Struktur, das morgendliche Aufstehen, die Tagesschau, die vergnüglichen Hin- und Rückfahrten auf dem Arbeitsweg, der entspannende Feierabendverkehr; wo bleibt - und das ist vielleicht der wichtigste aller Verluste - die Legitimation, mir jeden Blödsinn kaufen wollen zu dürfen... Welzer antworte auf das Raunen im Publikum sinngemäß mit der Frage, ob denn alle Anwesenden es so sehr verinnerlicht hätten, dass es tollste auf der Welt wäre, immer arbeiten zu müssen. Und man muss wohl antworten: Ja, scheinbar hat ein Großteil der Bevölkerung genau das verinnerlicht.
Auch das die Vorstellung, schlechte Arbeit sei besser als überhaupt keine Arbeit, eine historisch recht junge ist, erwähnt Welzer in dem Gespräch. Diese Anschauung sei etwa so alt wie die Sozialdemokratie. Blickt man nun historisch zurück auf die Entstehungsphasen dessen, was heut SPD geworden ist, stößt man auf die 1875 gegründete Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands. Wir bewegen uns also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, hier, als Nachwehen der Industrialisierung, entsteht diese irre "Arbeitssucht", die, in ihren Ausläufen, Jeff Bezos und co. zu Milliardären gemacht hat.
Die Rolle einer Maschine
Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts regt sie in Frankreich Widerstand gegen diesen sich zunehmend festsetzenden Arbeits-Fetisch. Der Sozialist und Arzt Paul Lafargue widerlegt das "Recht auf Arbeit" von 1848 mit seiner 1880 erscheinenden Schrift "Das Recht auf Faulheit". Lafargue spricht in seinem Werk von einer "seltsamen Sucht", einer "Arbeitssucht", die die Arbeiterbewegung regelrecht beherrsche. Der Grundtenor des Textes zielt kritisch auf die ideologischen, bürgerlichen und kapitalistischen Grundlagen des Arbeitsbegriffes. In der "kapitalistischen Moral" erkennt Lafargue "...eine jämmerliche Kopie der christlichen Moral..." Diese "...belegt das Fleisch des Arbeiters mit einem Fluch; ihr Ideal besteht darin, die Bedürfnisse des Produzenten auf das geringste Minimum zu drücken, seine Freude und seine Leidenschaften zu ersticken und ihn zur Rolle einer Maschine zu verurteilen, aus der man pausenlos und gnadenlos Arbeit herausschindet."
Arbeit als Religion
Die damals aufkommende "Religion der Arbeit", von der Paul Lafargue 1880 sprach, ist bis heut nicht ganz verzogen; ihre Nachwehen sind als Raunen im Nacht-Studio zu hören, wenn ein Gast in einem Gespräch die zukünftige Abschaffung der Arbeit vorschlägt, oder andere gesellschaftliche Interventionen und Innovationen angesprochen werden. In der Tat scheint die ununterbrochene Tätigkeit nach wie vor eine Art Gottes-Ersatz zu sein, die Flucht in eine Sphäre, in der das selbstständige Denken und Handeln aus mehr oder weniger plausiblen Gründen untersagt ist. Aus Angst vor der Beschäftigung mit sich selbst, nimmt man es in Kauf, das (zumeist andere!) Menschen unter katastrophalen Bedingungen für einen Hungerlohn arbeiten müssen. So macht man es sich also bequem, im Stacheldraht.
Eine bessere Gesellschaft
In "Das Recht auf Faulheit" setzt Lafargue dem Maschinenmenschen den "edlen Wilden" entgegen, kritisiert aber zugleich den Prozess der Kolonialisierung. Dieses Bild ist schlussendlich zu schwammig, und kann uns heut nicht als Antwort genügen. Eine immer wieder - und in letzter Zeit vermehrt - diskutierter Vorschlag, ist das Bedingungslose Grundeinkommen. Öffentliche Intellektuelle wie Harald Welzer oder Richard David Precht sprechen sich deutlich für ein solches aus. Das Grundeinkommen (und alle damit einhergehenden, strukturellen Veränderungen) wird hierbei weniger als der blumige Weg in eine bessere, freiere Gesellschaft begriffen, sondern eher als notwendige Reform innerhalb einer digitalen Welt, in der ein Großteil der gegenwärtigen Jobs verloren gehen werden. Insbesondere Precht spricht in diesem Zusammenhang oft von einem "Abfedern". Und das wäre bitter nötig. Denn, und dies geht sowohl aus dem Raunen im Studio als auch aus der Schrift Lafargues hervor, mit jedem Job, der verloren geht, stirbt auch ein kleines Stück Gottheit.
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