Egon Krenz: Verlust und Erwartung – Abschluss einer DDR-Autobiografie

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Mit „Verlust und Erwartung“ liegt nun der abschließende Band der Memoirenreihe von Egon Krenz vor. Das Buch erscheint am 26. Mai 2025 im Verlag Das Neue Berlin (edition ost) und bildet den dritten Teil einer autobiografischen Trilogie. In einer Zeit, in der Geschichtspolitik oft von Frontlinien dominiert wird, setzt Krenz auf Gegenrede – nicht in Form einer Rehabilitierung, sondern als Versuch der Selbstverortung. Im Zentrum steht der Herbst 1989: jener Moment, in dem der Autor als Nachfolger Erich Honeckers für 50 Tage die Führung von Partei und Staat übernahm – um wenig später selbst aus Amt, Wohnung und Geschichte gedrängt zu werden.

Verlust und Erwartung: Erinnerungen Verlust und Erwartung: Erinnerungen Mit dem dritten Band seiner Memoiren, „Verlust und Erwartung“, vollendet Krenz eine autobiografische Trilogie, die nicht nur persönliche Geschichte erzählt, sondern den Versuch unternimmt, den inneren Blick auf eine untergegangene Ordnung zu rekonstruieren. edition ost

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Verlust und Erwartung: Erinnerungen (edition ost)

Krenz beschreibt diese Phase nicht in heldenhaften oder weinerlichen Tönen, sondern mit sachlicher Distanz – was den Text nicht nur lesbarer, sondern auch ambivalenter macht. Die Darstellung des Machtverlusts geht Hand in Hand mit einer biografischen Bestandsaufnahme: dem Verlust eines Staates, der für ihn weit mehr war als ein Arbeitsplatz, und der darauf folgenden Auseinandersetzung mit einem Justizsystem, das ihn 1997 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilte.

Es sind diese letzten Jahre der DDR und die unmittelbare Zeit danach, die dem Band seine eigentümliche Spannung verleihen: nicht nur als politische Chronik, sondern als dokumentierte Reaktion eines Mannes, der sich nicht als Täter, sondern als Teil eines gescheiterten Versuchs begreift – und sich trotzdem bis heute als politischer Mensch versteht.

Der Name Krenz – eine Reizfigur mit biografischer Tiefe

Dass der Name Egon Krenz gerade in Ostdeutschland häufig Abwehrreflexe auslöst, ist kein Zufall. Krenz war nicht der große Erneuerer, sondern der späteste Funktionär – einer, der versuchte, das System mit vorsichtigen Reformen zu retten, während es bereits auseinanderfiel. Er war ein Systemling im besten Wortsinn: loyal, diszipliniert, unauffällig – und bis zum Schluss davon überzeugt, dass das sozialistische Modell nicht an sich falsch war, sondern nur in der Umsetzung deformiert wurde. Dass ihn dennoch kaum jemand mochte, lag weniger an seinem kurzen Intermezzo als Staatschef, sondern vor allem an seiner Karriere davor. Krenz war über Jahrzehnte hinweg Teil einer Parteikaste, die Veränderungen, die das Leben und vor allem die Freiheit der Bürger verbessert hätten, nie forderte, geschweige denn anstieß.

Er war nicht nur der, der am Ende retten wollte, was nicht mehr zu retten war, sondern auch einer, der zuvor nie durch Reformvorschläge auffiel – weder innerhalb des Apparats noch gegenüber der Bevölkerung. In der öffentlichen Wahrnehmung ist er deshalb vielfach zum Platzhalter geworden: für das Scheitern der DDR, für ideologische Starrheit, für ein politisches Eliteverständnis, das mit der Realität seiner Bürger nicht mehr in Berührung stand.

Doch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR ohne ihre Eliten – so problematisch sie gewesen sein mögen – bleibt unvollständig. Gerade das macht „Verlust und Erwartung“ zu einem interessanten Dokument: Es öffnet einen Blick hinter die Kulissen der letzten DDR-Monate, vermittelt aber zugleich, wie sich ein Überzeugungstäter der historischen Entwertung seiner Lebensleistung stellt – ohne sich ihr vollständig zu beugen.

Der zweite Band: Gestaltung und Veränderung – Außenpolitik, Unsicherheit, sowjetisches Beben

Wer „Verlust und Erwartung“ liest, sollte den mittleren Band der Trilogie nicht überspringen. „Gestaltung und Veränderung“, erschienen im Dezember 2023, ist das eigentliche Scharnier des autobiografischen Großprojekts. Es erzählt von den Jahren nach der diplomatischen Anerkennung der DDR, beleuchtet die Außenpolitik der sozialistischen Staaten unter dem Druck westlicher Realpolitik und zeichnet das zunehmend fragile Verhältnis zu Moskau nach.

Hier liegt ein deutlicher inhaltlicher Fokus auf der Ambivalenz des „Wandel durch Annäherung“. Krenz sieht in der neuen Ostpolitik der SPD zwar eine Chance zur internationalen Aufwertung der DDR, aber zugleich einen Prozess wachsender Einflussnahme durch den Westen. Die zunehmende Unsicherheit in den Beziehungen zur Sowjetunion, insbesondere unter Gorbatschows Reformagenda, beschreibt er mit Misstrauen – nicht polemisch, aber deutlich positioniert. Perestroika, das macht der Text klar, war aus Sicht der DDR-Führung keine Hoffnung, sondern eine Bedrohung. Die Stabilitätsillusion wich der Ahnung, dass sich die Weltordnung verschieben könnte – gegen die eigenen Interessen.

Was diesen Band besonders macht, ist die Nähe zu den Entscheidungsprozessen: Krenz schreibt nicht über Politik, sondern aus ihr heraus. Er beobachtet, analysiert, dokumentiert – und liefert damit Einblicke in einen Führungszirkel, der versuchte, Kontrolle über ein politisches System zu behalten, dessen innerer Zerfall längst eingesetzt hatte.

Der erste Band: Aufbruch und Aufstieg – Die Formationsjahre

Der Auftaktband „Aufbruch und Aufstieg“, erschienen 2022, behandelt die Jahre von der Kindheit Krenz’ bis zur Mitte der 1980er. Er schildert den Weg vom Schlosserlehrling zum Lehrer, vom FDJ-Funktionär zum Politbüromitglied. Die ausführliche Besprechung dieses Bandes findet sich hier bei Lesering.Dort wird deutlich, wie sehr Krenz sein eigenes Leben als Exempel versteht – nicht als Ausnahme, sondern als Systembiografie, wie sie in der DDR nicht selten war.

Ein Buch, das nicht versöhnen will – aber verstanden werden möchte

Was „Verlust und Erwartung“ und die gesamte Trilogie auszeichnet, ist die Mischung aus Faktenfülle, politischer Klarheit und biografischer Reflexion. Es sind keine Bücher, die um Verständnis buhlen – sie verlangen es. Krenz schreibt nicht mit missionarischem Eifer, sondern mit dem Anspruch, seine Sicht als historische Quelle zu hinterlassen. Das gelingt ihm besonders im dritten Band: dort, wo das Persönliche untrennbar mit dem Politischen verschmilzt – im Scheitern, in der Haft, im Rückblick.

Gleichzeitig spürt man: Krenz bleibt nicht im Gestern verhaftet. Auch wenn die DDR längst Geschichte ist, sind viele seiner Fragen in der Gegenwart angekommen – etwa nach Alternativen zu einer Weltordnung, die Krieg, Krise und Marktlogik als scheinbare Naturgegebenheiten präsentiert. Diese Verbindung von Rückblick und Gegenwartsbezug verleiht der Trilogie ihre Relevanz.

Eine Stimme aus der Stille der Geschichte

Mit „Verlust und Erwartung“ hat Egon Krenz seinen autobiografischen Zyklus abgeschlossen – ein Werk, das nicht um Deutungshoheit streitet, aber um ein Gehör bittet. In einer Zeit, in der Erinnerung oft selektiv ist, liefert er eine Perspektive, die unbequeme Fragen stellt: nach Verantwortung, Loyalität, Systemtreue und dem, was bleibt, wenn alles zusammenbricht.

Ob man Krenz’ Sichtweise teilt oder nicht – sie ist Teil jener komplexen, widersprüchlichen Geschichte, die man heute nicht mehr nur aus westdeutscher Rückschau verstehen sollte. Wer sich mit der DDR auseinandersetzen will, muss auch bereit sein, ihre Vertreter zu lesen. Denn historische Aufarbeitung beginnt nicht bei der Bewertung – sondern beim Verstehen.


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Verlust und Erwartung: Erinnerungen (edition ost)

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