Weltbestseller Hanya Yanagihara "Zum Paradies": Homophilie, Identität und Dystopie

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Hanya Yanagihara hat mit ihrem zweiten Roman "Ein wenig Leben" einen Weltbestseller geschrieben. Ihr dritter und aktueller Roman "Zum Paradies" stieg nun ebenfalls hoch ein. Aber steckt mehr dahinter, als nur merkantiles Kalkül, gezielte Provokation und das Abschöpfen "woker" Motive? Bild: Claassen Verlag

Nach dem großen Erfolg ihres letzten Romans "Ein wenig Leben" stürmt die US-amerikanische Schriftstellerin Hanya Yanagihara auch mit ihrem aktuellen Buch die Bestsellerlisten. In den USA und in Großbritannien ist "Zum Paradies" direkt auf Platz 1 eingestiegen. In Deutschland steht der Roman aktuell auf Platz 15 der SPIEGEL Bestsellerliste. Dabei scheint Yanagiharas Erfolgsrezept leicht durchschaubar zu sein. Sie schreibt, was sich so klickt.

900 Seiten, 3 Teile: Hanya Yanagiharas präsentiert uns in ihrem aktuellen Roman "Zum Paradies" drei grundverschiedene Welten, die von je eigenen Zwängen und Restriktionen beherrscht sind. Die erste Welt ist die des Jahres 1893; die nächste folgt 100 Jahre später, die dritte schließlich liegt in der Zukunft, im Jahre 2093. Ein einziger Knotenpunkt hält die drei Etappen zusammen: Ein Haus in New York am Washington Square. Homosexuelle Liebe, identitätspolitische Fragen, seicht verpackt mit Freude am Kitsch. Es ist nicht einfach, Yanagihara über 900 Seiten zu folgen. Nur selten gibt es Überraschungen; schnell liest sich die jeweilige Absicht heraus. Am Ende werden wir mit einer Dystopie konfrontiert, die man sich einfacher nicht hätte ausdenken können.

1893: Gleichgeschlechtliche Ehen

Das erste der drei Bücher, die in diesem Roman aufeinander folgen, spielt in den USA Ende des 19. Jahrhunderts. Das Land wurde von Rebellionskriegen aufgerieben und zerrissen. Während Menschen auf der einen Seite ihr Dasein in verarmten Kolonien fristen müssen, bildet New York das Zentrum der wohlhabenden Freistaaten. Hier lebt David Bingham bei seinem vermögenden Großvater am Washington Square. Er soll das prunkvolle Haus einmal erben. Doch während David sich in einen Klavierlehrer verliebt hat, will sein Großvater ihn mit einem anderen Mann verheiraten. Er lässt alles hier sich, und folgt seinem Schwarm nach Kalifornien.

1993: Unabhängigkeitskämpfe und AIDS-Epidemie

Auch im zweiten Teil lebt David - nun allerdings huwaiianischer Abstammung - in dem besagten Haus am Washington Square. Dieses Mal gehört es seinem reichen Liebhaber. Wir schreiben das Jahr 1993. Die AIDS-Epidemie wütet. In einem Brief wünscht sich Davids Vater ein Wiedersehen mit seinem Sohn, den er verlassen hatte, um für die Unabhängigkeit Hawaiis zu kämpfen.

2093: Eine überwachte Pandemie

Die dritte Geschichte des Romans berührt unsere unmittelbare Gegenwart am stärksten; ist aber aus genau diesem Grund auch am unangenehmsten zu lesen. Hier ist es Charlie, die bei ihrem Großvater - wie gehabt am Washington Square - wohnt. Später wird das Haus in Wohneinheiten aufgeteilt werden, und Charlie, gemeinsam mit ihrem Ehemann, in ein eigenes "Abteil" ziehen.

Am Ende des 21. Jahrhunderts haben stetig aufeinanderfolgende Pandemie-Wellen ein diktatorischen Regime auferstehen lassen. Internet und Fernsehen sind den Menschen verboten, die Ländergrenzen wurden geschlossen. Wer erkrankt, wird unverzüglich in ein Lager gebracht und kontaminiert, die Nahrung ist streng rationiert und Menschen tragen Kühlanzüge, um die herrschende Hitze ertragen zu können. Charlie leidet unter den Spätfolgen der Pandemien, die bleibende Schäden in ihr hinterlassen haben.

Ohne Bestreben und zum gähnen gegenwärtig

Auch wenn die Schriftstellerin darauf hingewiesen hat, dass sie den letzten Teil ihres Buches bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie zu schreiben begann, ist doch zu konstatieren, dass Yanagiharas Roman recht unambitioniert daherkommt. Die gleichgeschlechtliche Liebe beispielsweise, ist längst ein Topos der Literatur. Sie vor den Hintergrund des ausgehenden 19. Jahrhunderts zu setzen, macht keine der langatmigen Passagen erträglicher. Ebensowenig überzeugt der Einfall - es sind nurmehr Einfälle - Homophilie über Zwangsheirat (oder eben umgekehrt) zu stülpen. Letztlich kann das Schöpfen aus gegenwärtig nur allzu häufig anzutreffenden Quellen nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns - insbesondere in dieser ersten Etappe - stets am Rande des Kitsches bewegen.

Auch identitätspolitische Themen literarisch anzuspielen ist alles andere als ein ungewöhnlicher Einfall. Ein mit Sicherheit wichtiges, sehr häufig leitbesetztes und schmerzvolles Sujet, das hier zum literarischen Stoff degradiert und somit "lesbar" gemacht wurde. Dabei scheint es doch die Sprachlosigkeit zu sein, die das Suchen anstößt, nicht die bloße Problemanalyse.

Schließlich der letzte und erschreckendste Teil, der im Jahre 2093 spielt. Nachdem die im Lichte der Zwangsheirat nicht mehr ganz so blumig erscheinende gleichgeschlechtliche Ehe und anschließend die Identitätsfragen aufgefahren wurden, präsentiert uns Yanagihara am Ende ihres Romans die große furchterregende Dystopie: Klimakrise und Überwachungsstaat. Kühlanzüge und Diktatur. Ganz was Neues also.


Hanya Yanagiharas: "Zum Paradies"; Claassen Verlag, 896 Seiten, 30 Euro


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