Schwanzland Seite Vier

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Muschi S 066 war schüchtern, überaus vorsichtig. Sie war leichter verletzbar als der Grobian Schwanz I, der fast jedes Loch bisher rauf- und runtergeklettert war. Er konnte nichts dafür, die Angebote waren da, er wertete sie einfach aus und machte das Beste daraus, ohne zu ahnen, dass sie ihn einmal hemmen würden.

Mit der Reife wurde sein Kopf ein bisschen größer. Muschi S war nicht umsonst in Sorge. Schwanz I bemühte sich nie so lange um eine Muschi. Er ärgerte sich langsam, dass er bisher nicht einmal einen Kuss bekommen konnte. Muschi S ahnte nicht, dass sein Herz jedes Mal raste, den Blutdruck erhöhte. Darauf wurde der Kopf rot, die Venen um den Hals dicker. Nach dem Abschied brauchte er Stunden, bis er sich von den Strapazen des Nichtstuns erholen konnte. Damit war der Zustand längst nicht vorbei. Er bekam noch Schmerzen im unteren Halsbereich, weil er die ganze Flüssigkeit irgendwo verstaute, die eigentlich für Muschi S bewahrt und gedacht war. Das alles hätte er am liebsten in sie entleert, als unter die Dusche oder unterwegs in irgendeine WC-Anlage. Seine Sorgen waren nun solche, die er früher nie hatte. Er schwor, wegen Muschi S jetzt nicht zu leiden. An solchen Tagen wäre er lieber unwissend gewesen, ohne Vorstellungen als wissend, aber stets beladen. Er dachte dann, wie frei er gewesen war, als er sich wie nichts fühlte und nichts hatte. Das war sein kreiertes Schicksal. Er war nun auch in der Falle, entkommen wollte aber sowieso keiner.

Je mehr Lücken zu füllen waren, umso besser wurde Schwanz I anderweitig, in der Politik. Er schloss sein Doktorat ab. Äußerlich war er fehlerfrei, wie bestellt, innerlich kein Feuer. Er dachte: „Wozu ein inneres Feuer. Äußerlich mache er bald mit Macht jede Menge Feuer.“ Dieser Gedanke war verlogen, heilsam wie jede chemische Pille für ein kurzes inneres Feuer.

Als Politiker war er ein guter Beobachter, machte einfach nach, beobachtete und machte nach. Da er einen guten Blick hatte, diese Kunst der Gehirnwäsche beherrschte, wurde er zum Liebling der Republik.

Eine Aussage des Onkels Oberschwanz prägte ihn:

„Man sollte in jeder Hinsicht einer Gruppe (optimal wäre die Mehrheit der Menge) das Gefühl vermitteln, dass eine andere Gruppe derselben Rasse anders wäre, ihnen nicht gleicht oder große Gefahren für sie darstellen würde. Je nachdem, wie gehorsam, manipulierbar, ängstlich die Menschen sind, funktioniert diese Art der Politik stets gut.“

Schwanz I wurde zum Parteiobmann und anschließend Bundeskanzler. Seine Arbeit mit dem System machte ihn rasch zu einem wichtigen Teil desselben Systems, das sogar nobelpreisfähig war.


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