Marcel Proust: "Der geheimnisvolle Briefeschreiber" Die Welt mit Worten färben

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Am Samstag jährt sich der 150. Geburtstag des französischen Autors Marcel Proust. Beim Suhrkamp Verlag erschien kürzlich die Prosasammlung "Der geheimnisvolle Briefeschreiber". Foto: Suhrkamp Verlag

Am Samstag jährt sich der Geburtstag des französischen Autors und Sozialkritikers Marcel Proust zum 150. Mal. Prousts Hauptwerk "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" ist eines der bedeutendsten, umfangreichsten und zentralsten Werke des 20. Jahrhunderts. 2019 dann die Sensation: Im Nachlass des französischen Verlegers Bernhard de Fallois tauchten bisher unbekannte Briefe und Prosastücke des Autors auf. Der Suhrkamp Verlag hat eine Auswahl davon unter dem Titel "Der geheimnisvolle Briefschreiber" veröffentlicht.

Marcel Prousts autobiografischer Monumentalroman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" gilt als Hauptwerk der französischen Romanliteratur des frühen 20. Jahrhunderts. In insgesamt sieben Bänden und auf über 5000 Seiten erzählt Proust darin die Geschichte seines eigenen Lebens, symbolisch verborgen hinter dem Prozess der Wahrheitssuche. Ausgehend von bestimmten plötzlich einschlagenden Sinnesassoziationen kehrt ein erzählendes "Ich" an bestimmte Orte der Kindheit zurück. Eine solche Sinnesassoziation war auch der Auslöser, der zum Schreiben des Buches führte: Als Proust im Januar 1909 einen Zwieback in seinen Tee taucht, wird er plötzlich in seine Kindheit zurückversetzt. Im Juli desselben Jahres zieht er sich zurück, um mit der Arbeit an seinem Roman zu beginnen. 1912 ist ein erster Entwurf fertig. Dieser wird allerdings von verschiedenen Verlagen abgelehnt wird, so dass Proust ihn im Jahr 1913 selbst heraus gibt.

Das literaturhistorisch Revolutionäre an Prousts Roman war die Radikalität, mit der aufzeigte, dass lediglich eine subjektive Wahrnehmung der Welt möglich ist. Ein objektiver Blick, zeigt der Roman, ist unmöglich. Eben diese Unmöglichkeit aber lässt eine Vielzahl verschiedener Welten entstehen, eine Fülle subjektiver Wahrheitsvorstellungen.

Frühere Briefe und Prosastücke entdeckt: "Der geheimnisvolle Briefschreiber"

Während Proust für viele Leser:innen schwer verständlich und mühsam zu lesen ist, üben dies Texte des Schriftstellers auf Akademiker nach wie vor eine enorme Faszination aus. Und hier machte man auch im Jahr 2019 einen Fund, der das französische Feuilleton aufhorchen und heiß laufen lies. Im Nachlass des 2018 verstorbenen französischen Verlegers Bernhard de Fallois tauchten plötzlich bisher unentdeckte Prosatexte auf. Eine Sensation! Gallois hatte die Originalmanuskripte von Prousts Verwandten erhalten, um sie für eine Doktorarbeit zu verwenden, die er nie abgeschlossen hat. Warum Fallois die Texte für sich behielt, wird wohl ein Rätsel bleiben.

Homosexualität als Kernthema

Die besagten Texte drehen sich vor allem um die Liebe und das Begehren. Einige von ihnen hatte Proust ursprünglich für sein Debüt "Freuden und Tage" vorgesehen, welches er mit Mitte 20 veröffentlichte. Im Titelgebenden Text "Der geheimnisvolle Briefschreiber, gesteht eine anonyme weibliche Person in aufeinanderfolgenden Briefen ihrer Freundin Françoise ihre Liebe. Françoise ist streng katholisch, und ahnt nicht, dass ihre heimliche Verehrerin über mehr als nur Freundschaft schreibt. Das Thema Homosexualität tritt generell als wiederkehrendes Thema in diesen kurzen Prosatexte auf. Dieser Themenschwerpunkt ist wohl auch der Grund, warum Proust die Texte seiner Zeit nicht veröffentlichte, so die Vermutung des Herausgebers Luc Fraisse.

Alles in allem haben wir es mit zum Teil fragmentarischen und oft nicht konsequent abgeschlossenen Texten zu tun, die für geschulte Proust-Leser und Forscher zwar hochinteressante Parallelen zum Hauptwerk bilden können, für die entspannten Lesestunden nach Feierabend aber eher weniger zu empfehlen sind; auch wenn - Proust bleibt Proust - auf jeder einzelnen Seite dieses Buches wunderbare Sätze zu lesen sind, die die Welt mit nur wenigen Worten färben.


Marcel Proust: "Der geheimnisvolle Briefschreiber"; Herausgegeben von Luc Fraisse, übersetzt von Bernd Schwibs; Suhrkamp Verlag, 2021, 174 Seiten, 28 Euro

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