Mario Schneider - "Die Paradiese von gestern" Eine letzte Flasche Wein im bald verlassenden Château

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Ein verlassendes Schloss, eine junge Liebe, ein geplanter Suizid. Mario Schneider lässt konträre gesellschaftliche Schichten und ihre VertreterInnen aufeinanderprallen. Bild: Mitteldeutscher Verlag

Mario Schneider ist Regisseur, Filmkomponist, Fotograf, Musiker und Schriftsteller. Von all diesen "Berufungen" sind einzelne Fragmente in seinem Debütroman "Die Paradiese von gestern" zu finden. Darin schickt Schneider ein junges Paar aus der ehemaligen DDR direkt nach dem Mauerfall auf eine Frankreich-Reise, die in einem Weinschloss, dem Château Violet, endet. Ins Auge fallen dabei besonders die stark durchkomponierten Bilder.

Eine im Erblühen begriffene Liebe trifft auf allmählichen Zerfall. Blinde, überbordende Hoffnung auf enttäuschende Realität. Mario Schneider legt mit seinem Debütroman "Die Paradise von gestern" ein Buch vor, welches zunächst recht kitschig daherkommt, sich dann aber mittels Reflexionen über die Liebe und das Verliebt-Sein retten kann. Nicht nur höchst ungewöhnliche Figurenkonstellationen treffen dabei aufeinander, sondern auch gesellschaftliche Tableaus.

Wir schreiben das Jahr 1990. Das bis vor kurzem noch in der Deutschen Demokratischen Republik lebende Pärchen Rene und Ella verbringen ihren ersten Nachwende-Urlaub in Südfrankreich. In der Nähe von Bordeaux - es ist bereits spät Abends - stoßen sie während der Suche nach einem Hotel auf ein heruntergekommenes Château. Eigentümerin des maroden aber doch pompösen Weinschlosses ist die verarmte, verbitterte Charlotte Louise de Violet-Hascardin. Als Ella und Rene auf gut Glück vor der Tür des Schlosses stehen, öffnet der Diener des Hauses die Pforten und erklärt, das Pärchen könne für 100 Frances über Nacht bleiben. Der romantische Traum eines Pärchens aus dem späten 20. Jahrhunderts: Ein märchenhaft anmutendes, beinahe verlassenes Schloss in Südfrankreich ...

Der Zerfall

Die Gräfin des Schlosses, Charlotte de Violet, erleben wir als eine verbitterte Persönlichkeit, die mit Trauer und Wut der Schließung ihres Hab und Guts entgegensieht. Da Schneider seinen Lesern jene Gräfin bereits zu Beginn des Roman als junge Frau vor Augen führt, spiegelt sich hier, in der Verwandlung der Persönlichkeit, bereits die Thematik des Buches: der Zerfall. Dieser lässt sich in sämtlichen Motiven der Geschichte Wiedererkennen. Das beginnt bei der in sich zusammengefallenden DDR, findet sich in der bevorstehenden Schließung des marode gewordenen Schlosses wieder und endet schließlich mit der Zerreißprobe der zunächst frischen Liebe, die in dieses einkehrt. So hat sich Mario Schneider eine Komposition vorgenommen, die nicht nur sonst fein-säuberlich voneinander getrennte Gesellschaftssegmente - das Bürgerliche und das Adelige - übereinanderlegt, sondern auch aufgezeigten will, wie sich die systemischen Gesetzmäßigkeiten dieser Segmente auf die Individuen auswirkten.

Leider versteckt Schneider dieses komplexe Vexierspiel hinter allzu blumigen Formulierungen, die zeitweise überdehnt, ja trivial erscheinen. Außer Frage steht, dass es ihm - dem Regisseur und Filmkomponisten - dabei leicht gelingt, Szenen bildhaft auszustaffieren und nahbar zu machen. Orte, Personen und Handlungen sind überaus anschaulich geschildert, schaffen es aber nicht, das Gewicht der oben geschilderten Komposition zu tragen. Dazu hätte es intensivere, psychologische Reflexionen gebraucht, die Schneider durch individuelle Rückblicke ersetzt.

Das letzte Abendmahl

Als großes, knalliges Ende steht uns nicht weniger als ein letztes Abendmahl bevor. Jedenfalls soll es das letzte für die Schlossherrin Madame de Violet sein, die bereits ihren Suizid geplant hat. Zuvor taucht jedoch, unerwartet und zu allem Überfluss, ihr Sohn Alain auf. Ein gestriegelter Geschäftsmann, der als urbane, finanzkapitalistische Figur auftritt, und als solche einiges durcheinanderbringt. So wird Rene, von den Großstadt-Versprechungen Alais´ in den Bann gezogen, mit diesem nach Paris reisen, während sich Ella den kapitalistischen Verlockungen entsagt und im Schloss zurückbleibt.

Letztlich zeigt Mario Schneider auf mehreren Ebenen die Zerbrechlichkeit von Ideen, Subjekten und Objekten. Immobilien zerfallen in seinem Roman ebenso wie politische Anschauungen und zwischenmenschliche Beziehungen. Beinahe haftet der blumigen Sprache unter diesem Gesichtspunkt etwas Tragisches an; wird uns doch mit jeder Seite bewusster, dass auch dieses Hoch einem allmählichen Vergehen unterworfen ist.


Mario Schneider: "Die Paradiese von gestern"; mitteldeutscher Verlag, 2022, 552 Seiten


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