Buchaktion zum Weltkindertag Amazon: "Kostenlose" Bücher? Dann einmal die Daten bitte...

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Zum Weltkindertag am 20. September verschenkte der Internetkonzern Amazon gemeinsam mit der Stiftung Lesen und den Buchhandelspartnern Thalia, Mayersche und Hugendubel Millionen Märchenbücher. Die Aktion stieß frühzeitig auf Kritik. Mit Blick auf den Amazon-Konzern fragten sich Kritiker: Wird hier vordergründig das Lesen gefördert, oder Daten-Sammlung betrieben?

Es war einmal ein Märchenwald, voller Produkte. Zum Weltkindertag verschenkt Amazon Märchenbücher. Foto: Wikipedia

Jörg Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen, stellte in einem Gespräch über die Weltkindertags-Aktion drei Anreiz-Punkte in den Vordergrund: "Wir brauchen mehr Bücher, die unerwartet daherkommen, wir brauchen Vorbilder wie Eltern, Großeltern und Erwachsene, die Kindern vorlesen - und wir brauchen auch mehr Anlässe, bei denen Kindern vorgelesen wird.", sagte er. So weit so gut. Der Internetkonzern Amazon, der prompt auf den Weltkindertags-Märchenzug aufgesprungen ist und Partner wurde, kann keinen dieser drei Punkte erfüllen. Was Amazon allerdings sehr gut kann, ist Produkte in die Welt streuen, im großen Stile, nach dem Gießkannenprinzip. Und wenn sie erst gestreuet wurden, so lesen sie sie noch heute... Oder?

Im Märchenwald eines Großkonzerns

Bei dem besagten Buch, welches ab den 20. September in den genannten Buchhandlungen kostenlos zu erhalten, bei Amazon kostenlos zu bestellen ist, handelt es sich um eine Märchensammlung. Diese beinhaltet 16 Erzählungen, darunter elf Klassiker der Gebrüder Grimm. Eine Aktion, welche, so Beführworter*innen der Aktion, das Buch wieder in den Vordergrund der Familienabende stellen soll.

Kritiker*innen der Aktion - wie die Kinderbuchautorin Kirsten Boie - meinen hingegen, die Aktion sei nichts anderes als ein riesiger Marketingtrick. Und gerade in Hinblick auf Amazon liegt das nahe. Denn wer das Buch kostenlos bekommen möchte, muss sich natürlich erst einmal als Kunde registrieren. So werden Daten gesammelt, und, natürlich, Werbung für die eigenen Produkte gemacht. Insbesondere kleinere Buchhandlungen, Autorinnen und Autoren zeigen sich darüber empört. Dass die rennomierte Stiftung Lesen ausgerechnet mit Amazon kollaboriert, ein Konzern, der gegenwärtig wohl als der größte Feind aller kleineren Buchhandlungen bezeichnet werden kann, gibt ihnen zu denken. Amazon, dieser Jäger aller Verlage, dem es nun zufällig am Herzen liegt, dass die Menschen wieder lesen; nicht weil sie das Lesen etwa dem Fernsehen, dem Kino, dem Smartphone oder dem MacBook vorziehen, sondern weil mit dem Lese-Bedürfnis zu verkaufende Produkte in die Welt kommen. Und darum geht es im Eigentlichen: Das gute alte Erwecken und Instandhalten von Bedürfnisse, von denen man bisher eventuell überhaupt nichts wusste.

Im Märchenwald dieses Großkonzerns können die süßen Früchte hüpfend gepflückt, die noch süßeren jedoch nur erworben werden. Ganz abgesehen von den Daten, die dann bereits ohnehin "freiwillig" übergeben wurden, übergibt man sich und seine Vorlieben jenen Spezialisten, die mit Sicherheit ein geeignetes, ein auf diese Vorlieben genauestens abgestimmtes Produkt finden werden.

Auf was kommt es bei der Leseförderung an?

Das Amazon die Aktion verteidigt und ihr auch nach all der Kritik durch und durch positiv gesinnt gegenübersteht, ist kaum verwunderlich. Scheinbar kommt der Konzern einfach nicht auf die Idee, dass Leseförderung mehr mit der Art und Weise des Umganges mit dem Produkt Buch zu tun haben könnte, als mit dem Produkt selbst. So fokussiert auch Pedro Huerta, Country Manager Book Deutschland bei Amazon, in einem Interview mit dem NDR immer wieder das Buch. Wichtig sei es, das Lesen und das Buch in den Vordergrund zu stellen. Wichtig sei zu betonen, "dass alle Partner die Chance haben, diese Bücher zu verschenken...". Natürlich müsse das Lesen wieder näher an die Kinder gebracht werden (gemeint ist eigentlich: das Buch), die Frage aber, wie genau dies umgesetzt werden könne, wird nicht genauer beantwortet. Es bleibt bei einem schlichten "Vorlesen". Wir müssen den Kindern "vorlesen", allabendlich gemeinsam lesen, MacBook aus, Papa hat Zeit: Lesen.

Wie Leseförderung besser funktionieren kann, zeigt etwa die Hamburger Initiative Buchstart. Das seit 2007 bestehende Projekt arbeitet mit Kinderärzt*innen zusammen, die den Eltern im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung ihrer Kinder Bilderbücher überreichen. Hier steht vor allem die Sprachentwicklung des Kindes im Vordergrund und die Frage "wie" man diese mittels Bücher frühzeitig am besten fördern kann.

Mit dem Satz: "Wenn es wirklich um Leseförderung gegangen wäre, dann hätten die beteiligten Player die Mittel für wirklich sinvolle Projekte zur Verfügung stellen können", findet die Autorin Kirsten Boie ein weiteres Mal die passenden Worte zur Kampagne, und trifft den wunden Punkt der Märchenbuch-Aktion.

Es ist ein alarmierendes Zeichen, wenn Bücher und das Lesen von Büchern auf eine Stufe gestellt werden. Wenn allein das großzügige Verteilen von Produkten den Anschein macht, es handle sich hier um eine Förderung. Mit dieser Aktion entlarvt sich das produktzentristisches Denken der beteiligten "Player", welches die Auseinandersetzung in den Hintergrund stellt. Das die Aktion auf so starken Gegenwind stößt, lässt hoffen.

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