Buchmarkt "Die gute alte Zeit" - in der es noch Vielfalt gab

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Hip, individuell, einfach - monoton und gleich. Es ist ein seltsames Phänomen, dass auf Individualisierungslust Angleichung folgt. Die Verlegerin und Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, berichtet im Börsenblatt von einer Vertriebsreise, in der sie auf all das traf, was zu schwinden scheint: "die Vielfalt, die Unabhängigkeit, die Bibliodiversität". Ein Kommentar.

Vielfalt, Unabängigkeit, Diversität. Karin Schmidt-Friderichs besuchte auf einer Vertriebsreise Independent-Buchhandlungen, deren Existenz sie bedroht sieht. Foto: Wikipedia

Buch- Kultur und Kunstwelt spiegeln die Gesellschaft im Kleinen. Und zu diesem Spiegelbild gehört wohl auch immer stärker, dass Fragen und Forderungen nach neuen Ideen, dass die Lust zum Aufbruch abgeklungen, und durch ein Prinzip des "Auf-Nummer-Sicher-Gehens" ersetzt wurden. Das am liebsten und ehesten verlgegt und gezeigt wird, was gute Absätze erwarten lässt, und das - wenn es dann doch einmal um Literatur geht - schnell auf die guten alten Verkaufsschlager verwiesen wird, die eben einerseits noch Literatur, andererseits aber auch vielversprechende Verkaufszahlen garantieren. Bekannte Musiker werden verlegt. Gerne auch Blogger. Gut sind auch Instagram-Stars, Influencer, Youtuber. Auf der anderen Seite dann Walser und Co., die allerdings längst nicht mehr die Zugpferde der Verlage sind.

Vielfalt, Unabängigkeit, Diversität

Natürlich geht es nicht erst seit Gestern beim Verlegen von Büchern um Geld. Allerdings scheint es beim Bücher Schreiben zunehmend genau darum zu gehen. Ein Buch zu schreiben ist längst nicht mehr damit verbunden, ins Literarische einzutauchen, ist nicht mehr an die Magie des Buches und seiner Geschichte, nicht mehr am Dispositiv des Handwerkes selbst gekoppelt. Kein Kopf an Kopf rennen großer Schreiber*innen mehr, vielmehr ein Nebeneinander-Herproduzieren. Laptop, Tippen, Verlegen, Amazon, um später, im Interview, dann von einer "gewaltigen Arbeit" zu sprechen, deren Seelenlosigkeit sich jedoch selbst im Gesicht des oder der Redenden allmählich abzuzeichnen beginnt.

Dieser permissive Zu- und Umgang, dieses lustlose, marktorientierte Nebenher, färbt sich natürlich (es kann nicht anders sein) auch auf den Buchmarkt ab. In einem Artikel des Börsenblatts berichtete die Verlegerin Karin Schmidt-Friderichs unlängst von einer Vertriebsreise, die sie für ihren Verlag "Hermann Schmidt" unternahm. Hierbei stieß die Verlegerin auf Orte der literarischen Vielfalt:

"Ich war in kleinen Independent-Buchhandlungen und im 1-a-Laden einer großen Buchhandelskette. Ich sprach mit unterschiedlichsten Menschen, die eines verbindet: die Liebe zum Buch. Und sie lebten diese Liebe!" schreibt Schmidt-Friederichs, setzt aber bald schon nach und warnt: Diese Liebe sei in Gefahr! Sie warnt vor allem davor, dass all die Independent-Buchläden, in denen nach wie vor eine solche Nähe zum Buch, zum Literarischen herrscht, aufgekauft, algorithmisiert werden könnten. Dass das Interesse an einem Buch bald schon ganz selbstverständlich damit einhergehen könnte, auf "kaufen" zu klicken, und somit verloren geht, was unbedingt erhalten bleiben sollte: "Vielfalt, Unabhängigkeit und Diversität".

"Die gute alte Zeit"

Schmidt-Friderichs benutzt selbst diese Worte: "Sie denken jetzt, ich schreibe von der "guten alten Zeit". Und fast glaube ich das auch.". Und da wären wir wieder am Anfang dieses Artikels: Es ist ein seltsames Phänomen, dass auf Individualisierungslust Angleichung folgt. Dass wir, je individueller und freizügiger wir unser Leben gestalten, scheinbar auch zunehmend Diversität einbüßen, abhängiger und einfältiger werden.

Karin Schmidt-Friderichs aber, sprach nicht von der "guten alten Zeit", sie sprach von der Gegenwart. Ihr Bericht ist die Aufforderung, ganz bewusst darüber nachzudenken, wie wir mit der Lese- und Buchkultur umgehen wollen und welche Traditionen wir aufrechterhalten sollten. Es gilt abzuwägen: Wie viel Freiheit steckt darin, nach Belieben auf "Kaufen" klicken zu können, und wo werden welche Freiheiten in eben jenem Moment beschnitten. Karin Schmidt-Friedrichs beendet ihren Bericht mit einem Hinweis darauf, worüber wir reden sollten, wenn uns die Literatur tatsächlich am Herzen liegt: "über Buchmomente und Buchbegeisterung".



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