Die Geniesserin auf der Flucht - Eine wahre Geschichte Teil 3

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Dann, eines Tages, fragte sie ihre Schwiegermutter, ob sie im Tempel ihren Ahnen Opfergaben darbringen dürfe, sie würde die Vorfahren der Familie des Mannes auch in ihr Gebet einbeziehen. Dagegen hatte Schwiegermutter nichts einzuwenden. Die Genießerin zog ihre normalen Tageskleider an, nahm Speisen für die Opfergaben und etwas Geld mit und pilgerte zum Tempel. Aber sie hielt sich dort nicht lange auf. Der Tempel hatte einen Hinterausgang. Durch diesen schlüpfte sie hinaus und floh. Sie rannte und rannte. Manchmal versteckte sie sich hinter einem Haus, um auszuruhen. Dann zog sie eilends weiter, bis sie die nächste Stadt erreichte. Dort stellte sie sich an die Ausfallstraße nach Hanoi und hob die Hand zum Autostopp. In Vietnam winkt man dabei nach unten und hebt nicht wie in Europa den Zeigefinger. Sie besaß nicht viel Geld und wollte die Buskosten nach Hanoi sparen. Ein Lastwagen hielt an und brachte sie in die Hauptstadt, ohne einen Fahrpreis zu verlangen. Noch bevor die Familie des Ehemannes der Flucht gewahr wurde, war sie verschwunden, unerreichbar über alle Berge hinweg. Sie ging zu Fuß mit ihrem Essbündel, das sie nicht als Opfergabe, sondern als Notvorrat mitgenommen hatte, zum Bahnhof. Sie beabsichtigte, nach Süden, nach Nha Trang, eine Stadt, die ca.1300 Kilometer weiter südlich liegt, zu fahren und wollte eine Fahrkarte lösen um den Zug besteigen. Da erfuhr sie, dass dieser eben abgefahren war und dass dies der letzte an diesem Tag gewesen sei. Sie war völlig niedergeschmettert und innerlich aufgelöst, saß weinend in der Schalterhalle und wusste nicht mehr ein und aus. Sollte sie zurückkehren, zurück ins Gefängnis einer unseligen Ehe oder sollte sie das Wagnis einer ungewissen Zukunft wirklich eingehen? Sie war hin- und hergerissen. Aber, konnte sie überhaupt noch zurück, hatte sie den Rubikon nicht schon überschritten? Aber sie besaß nicht genug Geld. Dieses reichte nicht einmal für die Fahrkarte aus, geschweige denn, konnte sie sich damit auch noch Essen kaufen. Mutlos brach sie auf ohne ein bestimmtes Ziel. Würde sie nun die Nacht hilflos in der Stadt umherirren? In einer Stadt, in der sie sich nicht auskannte? Sollte sie sich nach einer Fahrgelegenheit auf der Straße umsehen? Immerhin, so hatte sie gehört, dauerte die Fahrt in den Süden bei den damaligen Straßen- und Wetterbedingungen acht Tage und Nächte. Entmutigt und ziellos trottete sie über den Bahnhofplatz, suchend ging sie umher und wusste nicht, was sie tun sollte.

Da, plötzlich winkte ein Buschauffeur sie heran. Sie ging auf ihn zu. Er erzählte ihr, dass er in den Süden fahre und dass er Passagiere für die Fahrt dorthin suche. Er nannte 140.000 Dong als Fahrpreis. Sie erklärte ihm, dass sie nur 150.000 Dong, nach dem damaligen Umrechnungskurs ungefähr 18 Dollar, ihr Eigen nenne. Sie könne ihm den verlangten Fahrpreis nicht bezahlen, aber auch nicht deren 100.000, denn sie müsse ja auch noch essen auf der langen Fahrt. Ihr Notproviant reiche nur für einen Tag. Der Fahrer hatte Verständnis für die prekäre Lage der jungen Frau und willigte ein, die Fahrkosten auf 80.000 Dong zu reduzieren. Da fiel ein schwerer Felsbrocken von ihrem Herzen. Wirklich? Dachte sie. Oh großer Gott, danke. Du hast mir geholfen. Der Fahrer führte sie zu seinem Bus, der schon gut gefüllt mit Fahrgästen war. Nach weiteren Suchrunden nach Passagieren ging`s los. Die Fahrt in den Süden konnte beginnen. Acht lange Tage und acht lange Nächte dauerte sie. Tage und Nächte mit Fahrunterbrüchen, Stops, Essens- und Toilettenpausen, während derer sich die Reisenden näher kennenlernen sollten. Die Genießerin erzählte ihren Mitfahrgenossen am ersten Tag ihre Lebensgeschichte. Diese waren darüber so gerührt und fanden die Genießerin so herzbewegend mutig, dass sie sie zum Essen einluden und Geld im Bus sammelten, damit sie am Ziel ein bescheidenes Startkapital haben würde. Diese war ihrerseits sehr bewegt ob dieses Mitgefühls und nun zuversichtlicher, was ihr die nächsten Tage bringen sollten. So ratterte sie mit einem Notbatzen aus der Kollekte ihrer Fahrgenossen in strapaziöser, ermüdender Fahrt, aber hoffnungsvoller einer ungewissen Zukunft entgegen. Ihre Flucht schien fürs erste geglückt zu sein. War das der Start in ein genussvolles Leben der Geniesserin?

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