Die Geniesserin auf der Flucht - Eine wahre Geschichte

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Eine junge Vietnamesin, die auf den Namen „thi Huong“ oder auf Deutsch „die Genießerin“ hörte, hatte 18 Jahre im Norden von Hanoi mit ihrer Mutter und ihrer Schwester auf dem Lande in einer bescheidenen Lehmhütte gelebt. Nach dem zweiten Schuljahr hatte das Geld für die Schule nicht mehr ausgereicht und sie musste Kinderarbeit verrichten und mitverdienen. Vorerst hatte sie den Bauern auf den Reisfeldern geholfen und später Wasser geschöpft und Holz getragen. Beim Schöpfen mussten die Bauern damals noch Wasser über Deiche vom einen Reisfeld zum anderen tragen, um damit auch schlechter bewässerte Felder zu versorgen. Meist standen dabei zwei Kinder oder Jugendliche auf dem Deich und hielten einen Kessel an zwei Schnurpaaren. Sie senkten den leeren Kessel ins Wasser des überfluteten Reisfeldes, zogen ihn dann gefüllt über den Deich und leerten ihn auf der anderen Seite ins trockene Feld. Eine Arbeit, die tagelang dauern konnte. Sie war vor allem nötig, wenn die Reissetzlinge gepflanzt worden waren, damit sie genug Nahrung hatten und gediehen. Bis zur Reisernte wurden die Felder meist trocken.

Immer öfter, als sie größer wurde, sammelte sie Holz auf den Hügeln, bündelte es und trug es auf dem Rücken zum Verkauf in die Stadt. So verdiente sie ihr mageres Geld, um damit zur Ernährung der Mutter, der kleineren Schwester und sich selbst beizutragen. Später verkaufte sie für ihre Tante als ambulante Händlerin in den Dörfern Haushaltgegenstände aller Art. Sie und ihre Cousine schleppten sich, wie Esel mit Plastikwaren bepackt, von Dorf zu Dorf und von Haus zu Haus. Sie klopften die Haushalte ab und versuchten ihre Produkte an die Hausfrau zu bringen. Meist übernahm jede etwa eine Hälfte der Dorfhaushalte. Oft war am Abend bei der Rückkehr in die Stadt die Last der Genießerin kleiner als jene ihrer Cousine, ihr Geldbeutel aber schwerer, weil sie erfolgreicher verkauft hatte. Sie hatte die Gabe, den Hausfrauen bei deren Klagen über ihr Leid zuzuhören, ihnen die Sorgen abzunehmen und öffnete sich damit die Tür für den Verkauf ihrer Produkte. So tauschte sie Leid und Geld gegen Küchengeräte, ihre Last gegen die seelische Bürde der Hausfrauen. Kurz, sie war eine erfolgreiche Verkäuferin. Rechnen konnte sie trotz ihrer ungenügenden Schulbildung so gut wie ihre Mutter, welche die Schule gar nie besucht und sich selbst Rechnen, Lesen und Schreiben beigebracht hatte. Die Tante war mit der Arbeit ihrer Nichte sehr zufrieden und erklärte ihr eines Tages, sie könnte ein Geschäft auf dem Basar betreiben.


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