Denis Scheck über Fitzek, Gewalt und die Suche nach Literatur im Maschinenraum der Bestseller

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„Warum wird jemand zum Stalker und Serienkiller?“ fragt der Klappentext. Und liefert die Antwort gleich mit: weil er als kleiner Junge seine behinderte Schwester ertränken musste. Sebastian Fitzek nennt das Spannung. Denis Scheck nennt es: „ein weiterer stupider und voyeuristischer Gewaltporno“. Und fügt in der Augsburger Allgemeinen hinzu, kein Autor habe mehr für die Verblödung der deutschen Gegenwartsliteratur getan – „außer vielleicht Heinz G. Konsalik“. Ein Vergleich, der sitzt. Und Konsalik vermutlich Unrecht tut.

Zehnmal Bestseller – zehnmal Probe aufs Erzählen Zehnmal Bestseller – zehnmal Probe aufs Erzählen Droemer, Penguin, Rowohlt, LÜBBE, Hanser, dtv

Denn was bei Konsalik noch von Weltkrieg, Feldhospital und Gefühlssatz durchzogen war, ist bei Fitzek kalkulierter Effekt. Dramaturgische Grenzwerte als Verkaufsargument. Gewalt nicht als Thema, sondern als Produkt. Scheck, der monatlich die Spiegel-Bestsellerliste kommentiert – weiß, wie dieser Markt funktioniert. Und wie wenig Literatur dabei übrigbleiben kann.

Bestseller als Lageplan

Die zehn meistverkauften Bücher der Woche sind auf keinen Fall ein Kanon, aber ein Symptom. Die Spiegel-Bestsellerliste, die Scheck in der Dezember-Ausgabe durchleuchtet, zeigt, was gelesen wird – nicht unbedingt, was bleibt. Scheck schnuppert an jedem Titel: mal kritisch, mal spöttisch, manchmal mit echtem Respekt. Es geht ihm nicht um Rangfolgen, sondern um Orientierung im Literaturzirkus. Was ist Substanz? Was nur Behauptung? Und wie erzählt man von Gewalt, ohne sie zum Spektakel zu machen?

Zehnmal Bestseller – zehnmal Probe aufs Erzählen

10.Susanne Abel: Du musst meine Hand fester halten
Ein Roman über sexuellen, psychischen und medizinischen Missbrauch in Nachkriegsheimen. Scheck nennt ihn „erschütternd“.

9. Nelio Biedermann: Lázár
Eine „Talentprobe“, so Scheck – mit prätentiöser Sprache, barocker Überzeichnung und „Nummernrevue“-Charakter.

8. Dorothee Elmiger: Die Holländerinnen
„Große Literatur“, ein Roman, der existenzielle Angst erzeugt – selten, dass Scheck derart uneingeschränkt lobt.

7. Walter Moers: Qwert
Ein neuer Triumph aus Zamonien – Scheck spricht von einem „hinreißenden Vergnügen“.

6.Ken Follett: Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit
Spannend erzählt, aber historisch unglaubwürdig – Figuren mit dem Bewusstsein heutiger Gewerkschaftsfunktionäre.

5. Ferdinand von Schirach: Der stille Freund
Stilistisch sicher, melancholisch, pointiert – Scheck fühlt sich an Somerset Maugham erinnert.

4.Dan Brown: Das Geheimnis der Geheimnisse
Klischees über Prag, mystische Motive, langatmig – für Scheck enttäuschend.

3. Simon Beckett: Knochenkälte
Der forensische Held irrt durch Wälder, sucht Empfang, stolpert über Leichen – und verliert die Spannung.

2. Callie Hart: Brimstone
Eine Romantasy mit 848 Seiten – für Scheck „ohne Hirn, ohne Charme, ohne Sprache“.

1. Sebastian Fitzek: Der Nachbar
Scheck erkennt darin einen „stupiden Gewaltporno“ – und vergleicht Fitzeks Wirkung auf die Literatur mit jener von Konsalik. Eine Polemik mit Substanz.

Gewalt, überall

Ob psychologisch, politisch oder spekulativ: Gewalt durchzieht diese Liste. Als Hintergrund, als Reiz, als Plot. Was Elmiger verdichtet, wird bei Hart und Fitzek zum Selbstzweck. Scheck unterscheidet genau – nicht moralisch, sondern literarisch. Es geht um die Frage, wie Sprache mitbringt, was sie zeigt. Und ob sie überhaupt etwas zeigt oder nur simuliert.

Was Scheck wirklich tut

Er richtet nicht, er kalibriert. Mal bewundert er, mal lästert er, mal staunt er. Nie spricht er von oben. Aber er lässt uns nicht bequem zurück. Wenn Scheck über Bestseller spricht, spricht er auch über uns – über unsere Lesegewohnheiten, Sehnsüchte, Abgründe. Und darüber, dass Literatur mehr sein kann als Handlungsabfolge.

Und doch bleibt etwas offen

Zwischen Dschungeltheater und Golemerzählung, zwischen Bronzezeit und Serienmörder: Die Bestsellerliste ist mehr als Verkaufsstatistik. Denis Scheck zeigt, wie man sie lesen kann. Und erinnert uns daran, dass Literatur auch Verantwortung trägt. Wer das vergisst, schreibt vielleicht wie Fitzek. Oder verkauft wie er. Oder beides.

Sendetermin:
Die nächste Folge von „Druckfrisch“ mit Denis Scheck läuft am 14. Dezember um 23:35 Uhr im Ersten.



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