Denis Scheck hat sich wieder einmal mit scharfem Blick und pointierter Sprache durch die deutschen Bestsellerlisten im Bestsellercheck mit Denis Scheck bei der Augsburger-Allgemeine gearbeitet. Seine Urteile sind gewohnt drastisch, teils polemisch, aber immer lesenswert, weil sie etwas bieten, was in vielen Buchbesprechungen verloren gegangen ist: Haltung. Und zwar nicht die gekünstelte, sondern diejenige, die auf Lektüre basiert. Hier eine kleine Einordnung seiner Eindrücke und eine Bewertung dessen, was man davon mitnehmen kann:
Viel Rauch, wenig Drache
Scheck macht kurzen Prozess mit dem derzeit überbordenden Romantasy-Genre. Rebecca Yarros' Onyx Storm nennt er einen „militaristischen Drachen-Porno“ – eine Formulierung, die nicht nur polemisch zuspitzt, sondern auch auf ein Problem vieler Titel dieses Genres verweist: Der Überbau (Drachen, Magie, Kriege) dient oft nur als Vorwand für eine überhitzte Liebesgeschichte. Bei Callie Hart (Quicksilver) und Julia Dippel (A Kiss to End A Song) sieht er ebenfalls keinen Mehrwert – literarisch wie erzählerisch. Der Vorwurf: stilistische Schwäche, Klischees, narrative Beliebigkeit.
Bemerkenswert ist seine Reaktion auf Carissa Broadbents Spin-off Six Scorched Roses: Trotz der „interessanten Grundidee“ sei die Umsetzung „blutarm“ – ein hübsch ironisches Urteil über einen Vampirtext. Es ist eine der wenigen Stellen, an denen Scheck durchblicken lässt, dass die Idee ihn durchaus hätte packen können, wäre da nicht die sprachliche und erzählerische Schlamperei gewesen.
Literarische Romane: Zwischen Lebensklugheit und Sprachlust
Ganz anders klingt es, wenn er über Kristine Bilkaus Halbinsel schreibt. Hier spricht er von „lebenspraktischer Klugheit“ – ein altmodischer, aber wohlgewählter Begriff. Scheck schätzt offenbar, dass Bilkau nicht in formale Selbstverliebtheit verfällt, sondern psychologisch fein arbeitet. Das Thema – Mutter-Tochter-Verhältnis, Resilienz, Erziehung – trifft den Nerv der Zeit, ohne sich ihm aufzudrängen.
Bei Christoph Hein (Das Narrenschiff) hebt er die historischen Eigenheiten hervor – Ulbrichts Sätze, die heute grotesk wirken, gewinnen in Heins Roman literarische Plastizität. Die DDR als literarischer Stoff wird bei Hein nicht musealisiert, sondern dynamisiert – das ist historisches Erzählen auf hohem Niveau.
Wolf Haas’ Wackelkontakt lobt er gleich doppelt: für die spannende Konstruktion wie für das sprachliche Vergnügen. Der österreichische Sprachspieler trifft bei Scheck immer auf offene Ohren, auch weil hier literarische Form und Unterhaltungswert kein Widerspruch sind.
Populäre Literatur: Wenn Stil über Erfolg entscheidet
Interessant ist Schecks Verteidigung von Takis Würger. Für Polina wird von ihm nicht zur Weltliteratur erhoben, aber er lobt Würgers Erzählfreude und seinen Willen zur Empathie. Hier zeigt sich ein Kontrast zur gängigen Kritik, die Würger gerne als feuilletonistischen Buhmann behandelt. Scheck hält dem etwas entgegen: literarische Popularität ist kein Verbrechen.
Weniger Gnade zeigt er bei Christoph Kramer (Das Leben fing im Sommer an). Der Fußballer, der schreibt, hat bei ihm von Beginn an schlechte Karten – was nicht per se ungerecht ist, aber ein wenig vorhersehbar wirkt. Die Kritik – sprachlich und inhaltlich dünn – trifft dennoch ins Ziel, wenn man die zitierte Formulierung („sirenenblaues Wetterleuchten“) betrachtet.
Suzanne Collins: Wenn Genreliteratur Haltung zeigt
Der einzige Platz, an dem Scheck vorbehaltlos lobt, ist überraschenderweise der Spitzenreiter: Suzanne Collins' Die Tribute von Panem – Der Tag bricht an. Er erkennt in der Vorgeschichte nicht nur Spannung, sondern auch eine „hellsichtige Analyse einer autoritären Herrschaftsform“. Dass er einem Genreroman diese Qualität zuschreibt, zeigt: Auch populäre Literatur kann inhaltlich und politisch relevant sein, wenn sie klug erzählt ist.
Trennscharf, bissig, klug
Was bleibt, ist ein Kaleidoskop der deutschen Bestseller – in dem viele Titel für ihre Schwächen abgestraft werden, aber die wenigen gelungenen Werke umso mehr leuchten dürfen. Scheck beweist, dass man Unterhaltungsliteratur nicht verachten muss, wenn man literarisch denkt. Und dass ein gutes Urteil nicht weichgespült daherkommen muss.
Topnews
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
Ein Geburtstagskind im Januar: Franz Fühmann
Zauberberg 2 von Heinz Strunk
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Jenny Erpenbeck gewinnt Internationalen Booker-Preis 2024
Karl Ove Knausgård: Das dritte Königreich
Romanverfilmung "Sonne und Beton" knackt Besuchermillionen
Asterix - Im Reich der Mitte
Rassismus in Schullektüre: Ulmer Lehrerin schmeißt hin
14 Nominierungen für die Literaturverfilmung "Im Westen nichts Neues"
"Die Chemie des Todes" - Simon Becketts Bestsellerreihe startet bei Paramount+
Michel Houellebecq und die "Aufstachelung zum Hass"
Die Bestenliste mit Augenzwinkern – Denis Scheck kuratiert die literarische Wirklichkeit
Denis Scheck über die Spiegel-Bestsellerliste
Denis Scheck warnt vor Spiegel-Bestsellerliste: "Vereinigung des Massengeschmacks"
Denis Scheck ist am 13. April zurück mit „Druckfrisch“
Leipziger Buchmesse 2025: Bücher, Debatten und Cosplayträume
#BookTok auf Rekordkurs: 25 Millionen verkaufte Bücher im Jahr 2024
„Die Tribute von Panem L. Der Tag bricht an“ – Suzanne Collins‘ neuestes Meisterwerk im „Tribute von Panem“-Universum

Die besten Bücher des Jahres 2025 – Diese Titel musst du lesen!
Internationale Buchmärkte 2024: Belletristik boomt, Sachbuch schwächelt
Fiktion auf der Anklagebank: "Innerstädtischer Tod" zwischen Kunstfreiheit und Justiz
Das Literarische Quartett am 7. Februar 2025 – Thea Dorn lädt zur Diskussion ein
Denis Scheck erhält den Pfälzer Saumagenorden – Ein literarischer Ritterschlag mit Humor
Elke Heidenreich gibt als neue „BUNTE“-Kolumnistin Buchtipps
"... wie eine Art Stiftung Warentest" Denis Scheck über seine Arbeit als Kritiker
Luisa Neubauer, Denis Scheck, Joachim Meyerhoff und Wolf Haas: Die Highlights der "lit.RUHR 2022"
Aktuelles
„Nebel und Feuer“ von Katja Riemann – Wie vier Frauen inmitten der Krisen unserer Zeit Gemeinschaft, Mut und Sinn finden
Der Pinguin meines Lebens – von Tom Michell - Buch & Filmstart 2025: Rezension einer besonderen Freundschaft
„Mama, bitte lern Deutsch“ von Tahsim Durgun – TikTok trifft Literatur
"The Loop – Das Ende der Menschlichkeit“ von Ben Oliver: Was passiert, wenn Künstliche Intelligenz den Wert des Lebens bestimmt?
„Déjà-vu“ von Martin Walker – Brunos siebzehnter Fall und die Schatten der Geschichte
„Der Besuch der alten Dame“ – Wie Dürrenmatts Klassiker den Preis der Moral entlarvt
„Der Hundebeschützer“ von Bruno Jelovic – Wie aus einem Fitnessmodel ein Lebensretter für Straßenhunde wurde
Für Martin Suter Fans: „Wut und Liebe“ -Wenn Gefühle nicht reichen und Geld alles verändert
„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ – Warum Andreas Steinhöfels Kinderbuchklassiker so klug, witzig und zeitlos ist
Abschied: Peter von Matt ist tot
„Hoffe: Die Autobiografie“ von Papst Franziskus – Was sein Leben über die Welt von heute erzählt
„Hunger und Zorn“ von Alice Renard – Was der stille Debütroman über Einsamkeit und Empathie erzählt
»Gnade Gott dem untergeordneten Organ« – Tucholskys kleine Anatomie der Macht
Ein Haus für Helene

Claudia Dvoracek-Iby: mein Gott
Rezensionen
„Der Gesang der Flusskrebse“ – Delia Owens’ poetisches Debüt über Einsamkeit, Natur und das Recht auf Zugehörigkeit
„Der Duft des Wals“ – Paul Rubans präziser Roman über den langsamen Zerfall einer Ehe inmitten von Tropenhitze und Verwesungsgeruch
„Die Richtige“ von Martin Mosebach: Kunst, Kontrolle und die Macht des Blicks
„Das Band, das uns hält“ – Kent Harufs stilles Meisterwerk über Pflicht, Verzicht und stille Größe
„Die Möglichkeit von Glück“ – Anne Rabes kraftvolles Debüt über Schweigen, Schuld und Aufbruch
Für Polina – Takis Würgers melancholische Rückkehr zu den Ursprüngen
„Nightfall“ von Penelope Douglas – Wenn Dunkelheit Verlangen weckt
„Bound by Flames“ von Liane Mars – Wenn Magie auf Leidenschaft trifft
„Letztes Kapitel: Mord“ von Maxime Girardeau – Ein raffinierter Thriller mit literarischer Note
Good Girl von Aria Aber – eine Geschichte aus dem Off der Gesellschaft
Guadalupe Nettel: Die Tochter
„Größtenteils heldenhaft“ von Anna Burns – Wenn Geschichte leise Helden findet
Ein grünes Licht im Rückspiegel – „Der große Gatsby“ 100 Jahre später
"Neanderthal" von Jens Lubbadeh – Zwischen Wissenschaft, Spannung und ethischen Abgründen
