Die September-Ausgabe von Druckfrisch (14. September 2025) bietet Denis Scheck wieder Gelegenheit, Literatur zwischen Klassik, Gegenwartsprosa und grotesker Satire zu beleuchten. Der Kritiker spannt den Bogen von Franz Kafkaüber Ian McEwan bis zur Spiegel-Sachbuch-Bestsellerliste und schließlich zur belgischen Autorin Gaea Schoeters, deren neues Buch ein literarisches Gedankenexperiment sondergleichen entwirft. Das Ergebnis ist ein Abend, der nicht nur unterschiedliche Stimmen hörbar macht, sondern auch die Spannbreite zeigt, in der Literatur heute wirksam sein kann.
Kafka neu lesen
Zum Auftakt widmet sich Scheck Franz Kafka und dem frisch erschienenen Erzählungen. Band 1 (Kafka – Kommentierte Ausgabe, Wallstein Verlag). Mit einer ungewöhnlich persönlichen Note schildert er seine eigenen Startschwierigkeiten mit Kafka in jungen Jahren. Was einst spröde und verschlossen wirkte, erscheint ihm heute in einem anderen Licht. Diese Offenheit, die eigene Leserbiografie preiszugeben, schafft Nähe: Man merkt, dass selbst ein Profi wie Scheck nicht als allwissender Literaturpapst begann, sondern auch mit Widerständen zu kämpfen hatte.
Seine heutige Begeisterung für Kafka bringt er auf den Punkt, indem er auf ein prägnantes Zitat verweist: „Ein Käfig ging einen Vogel suchen.“ In dieser paradoxen Formulierung bündelt sich für ihn die Rätselhaftigkeit, aber auch die Modernität von Kafkas Prosa. Die Erzählungen wirken wie aus einer anderen Zeit und sind doch von unverminderter Aktualität. Damit gelingt Scheck ein Auftakt, der Klassik nicht museal wirken lässt, sondern als lebendige Herausforderung für heutige Leser.
Ian McEwan über Verantwortung und Zukunft
Den Sprung in die Gegenwart wagt Scheck im Gespräch mit Ian McEwan, der sein neues Werk Was wir wissen können(Diogenes) vorstellt. Im Zentrum steht die Frage: Was schulden wir der Zukunft? McEwan verhandelt darin die Verantwortung des Menschen gegenüber Nachwelt, Umwelt und kommenden Generationen.
Das Interview ist bemerkenswert unverstellt geführt, fast schon ein Zwiegespräch über Grundfragen menschlichen Handelns. McEwan reflektiert, wie unser heutiges Tun Spuren hinterlässt und wie schwer es ist, sich von kurzfristigen Vorteilen zu lösen, um langfristig zu denken. Gerade weil der Autor sich nicht in abstrakten Theorien verliert, sondern konkrete Bilder findet, bleibt dieses Gespräch im Gedächtnis. Scheck schafft es, die Gedankenräume zu öffnen, ohne sie mit journalistischem Dekor zu überlagern. So entsteht ein eindringlicher Dialog über Ethik, Wissen und die Fragilität menschlicher Zukunft.
Spiegel-Bestsellerliste: Lob und Verriss
Kein Druckfrisch-Abend ohne die Spiegel-Bestsellerliste. Auch diesmal nimmt Scheck die Top Ten der Sachbücherunter die Lupe. Er verteilt scharfzüngige Verrisse ebenso wie begeistertes Lob und erinnert damit daran, dass Bestseller nicht automatisch Qualität bedeuten.
Die Liste wird bei ihm nicht zur reinen Verkaufsstatistik, sondern zum Gradmesser gesellschaftlicher Vorlieben. Bücher über Ernährung, Selbstoptimierung oder historische Deutungen erscheinen als Spiegel der Zeit. Indem Scheck sie in knappen, oft pointierten Sätzen kommentiert, legt er offen, welche Titel von Substanz sind und welche bloß kurzfristige Moden bedienen.
Einen ausführlichen Überblick über Schecks Kommentare zu den aktuellen Bestsellern findest du hier: Denis Scheck über die Spiegel-Sachbuch-Bestseller: Zwischen Epos und lahmer Ente.
Gerade diese Mischung aus literarischer Analyse und feuilletonistischer Polemik verleiht dem Segment seine Lebendigkeit – ein Markenzeichen von Druckfrisch.
Gaea Schoeters und Das Geschenk
Zum Abschluss ein Kontrastprogramm: Gaea Schoeters spricht über ihr neues Buch Das Geschenk (Zsolnay). Ausgangspunkt ist die absurde Idee, dass der botswanische Präsident Deutschland 20.000 Elefanten schenkt.
Schoeters entfaltet daraus ein Gedankenexperiment, das groteske Bilder hervorruft: Elefanten in der Spree, Elefanten im Straßenverkehr, Elefanten zwischen Industriehallen. Was zunächst wie eine skurrile Satire wirkt, entwickelt sich zu einer ernsthaften Reflexion. Wie würde eine hochtechnisierte Gesellschaft auf ein solches „Geschenk“ reagieren? Welche kulturellen und ökologischen Fragen wirft es auf?
Das Gespräch mit Scheck wird zu einem Aufruf, über vertraute Denkmuster hinauszugehen. Schoeters zeigt, dass Literatur Räume öffnet, in denen das Absurde nicht Flucht bedeutet, sondern Möglichkeit: eine Probe aufs Denken, die unsere Realität aus anderen Blickwinkeln erkennbar macht.
Ein Abend voller Kontraste
Die Ausgabe von Druckfrisch am 14. September 2025 führt exemplarisch vor, wie Literaturkritik im Fernsehen funktionieren kann. Von Kafka über McEwan bis zu Schoeters gelingt es Denis Scheck, Klassik, Gegenwartsprosa und groteskes Gedankenspiel zu verbinden.
Das Spektrum reicht von der existenziellen Verdichtung der Kafka-Erzählungen über die moralphilosophischen Überlegungen McEwans bis hin zu Schoeters’ surrealer Satire, die Gesellschaftskritik durch Übertreibung sichtbar macht. Dazwischen die Bestsellerliste – eine Mischung aus feuilletonistischer Abrechnung und literarischem Schnellkurs.
So entsteht ein Abend, der tatsächlich Kontraste feiert: ernst und verspielt, kritisch und begeisternd, traditionsbewusst und experimentell zugleich. Druckfrisch zeigt damit, wie lebendig Literatur im Gespräch bleibt – und wie sehr sie, zwischen Epos und Elefanten, immer auch etwas mit uns selbst zu tun hat.
Hier bestellen
Topnews
Ein Geburtstagskind im November: Astrid Lindgren
Geburtstagskind im Oktober: Benno Pludra zum 100. Geburtstag
Das Geburtstagskind im September: Roald Dahl – Der Kinderschreck mit Engelszunge
Ein Geburtstagskind im August: Johann Wolfgang von Goethe
Hans Fallada – Chronist der kleinen Leute und der inneren Kämpfe
Ein Geburtstagskind im Juni: Bertha von Suttner – Die Unbequeme mit der Feder
Ein Geburtstagskind im Mai: Johannes R. Becher
Ein Geburtstagskind im April: Stefan Heym
Ein Geburtstagskind im März: Christa Wolf
Bertolt Brecht – Geburtstagskind im Februar: Ein literarisches Monument, das bleibt
Wie Banksy die Kunst rettete – Ein überraschender Blick auf die Kunstgeschichte
Ein Geburtstagskind im Januar: Franz Fühmann
Zauberberg 2 von Heinz Strunk
100 Jahre „Der Zauberberg“ - Was Leser heute daraus mitnehmen können
Oschmann: Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung“ – Umstrittene russische Übersetzung
Überraschung: Autorin Han Kang hat den Literaturnobelpreis 2024 gewonnen
PEN Berlin: Große Gesprächsreihe vor den Landtagswahlen im Osten
„Freiheitsschock“ von Ilko-Sascha Kowalczuk
Precht: Das Jahrhundert der Toleranz
Druckfrisch vom 12. Oktober 2025 László Krasznahorkai, Anja Kampmann, Katerina Poladjan – und Denis Scheck mit der SPIEGEL-Bestsellerliste
Druckfrisch – Krass klug, charmant
Denis Scheck über Fitzek, Gewalt und die Suche nach Literatur im Maschinenraum der Bestseller
Denis Scheck über die Spiegel-Sachbuch-Bestseller: Zwischen Epos und lahmer Ente
Denis Scheck ist am 13. April zurück mit „Druckfrisch“
"... wie eine Art Stiftung Warentest" Denis Scheck über seine Arbeit als Kritiker
"Druckfrisch" mit Denis Scheck: Über sprechende Besen und Autobahnraststätten
"Druckfrisch" Exklusiv-Interview: Denis Scheck fragt Barack Obama
Denis Scheck warnt vor Spiegel-Bestsellerliste: "Vereinigung des Massengeschmacks"
Mysteriöse Katastrophen und Korruption mit Denis Scheck
Druckfrisch - Jubiläumssendung am Sonntag, 27. Januar, um 23:35
Hanns-Josef Ortheils „Schwebebahnen“ – Kindheit über Abgründen
Herbstempfehlungen von Denis Scheck auf der Frankfurter Buchmesse 2025
Ian McEwans „Was wir wissen können“: Ein Roman zwischen Rückblick und Zerfall
Denis Schecks sanfter Sommer – Die Bestsellerliste unter der Lupe
Aktuelles
Goreng – 33 urdeutsche Gerichte von Horst Kessel – Wenn die Küche Beige trägt (und wir trotzdem lachen)
Winter mit Jane: Über Bücher, Bilder und das alljährliche Austen-Gefühl
Benno Pludras Lütt Matten und die weiße Muschel
Spuren im Weiß – Ezra Jack Keats’ „The Snowy Day“ als stille Poetik der Kindheit
Der Mann im roten Mantel – The Life and Adventures of Santa Claus von L. Frank Baum
Die Illusion der Sicherheit – wie westliche Romane den Frieden erzählen, den es nie gab
Beim Puppendoktor – Ein Bilderbuch über das Kind und sein Spiel
Denis Scheck über Fitzek, Gewalt und die Suche nach Literatur im Maschinenraum der Bestseller
Die Frauen von Ballymore von Lucinda Riley- Irland, eine verbotene Liebe und ein Geheimnis, das nachhallt
Katrin Pointner: Willst du Liebe
Geschenktipp zu Weihnachten: Otfried Preußlers Die kleine Hexe
Zwischen Fenster und Flug – Nikola Huppertz’ Gebrannte Mandeln für Grisou
Die stille Heldin von Hera Lind – Eine Mutter hält die Welt zusammen
Winnetou: Die besten Karl-May-Bände
Kiss Me Now von Stella Tack – Prinzessin, Personenschutz, Gefühlsernst
Rezensionen
Kiss Me Twice von Stella Tack – Royal Romance mit Sicherheitsprotokoll
Kiss Me Once von Stella Tack – Campus, Chaos, Bodyguard: eine Liebesgeschichte mit Sicherheitslücke
Die ewigen Toten von Simon Beckett – London, Staub, Stille: Ein Krankenhaus als Leichenschrein
Totenfang von Simon Beckett – Gezeiten, Schlick, Schuld: Wenn das Meer Geheimnisse wieder ausspuckt
Verwesung von Simon Beckett – Dartmoor, ein alter Fall und die Schuld, die nicht verwest
Leichenblässe von Simon Beckett – Wenn die Toten reden und die Lebenden endlich zuhören
Kalte Asche von Simon Beckett – Eine Insel, ein Sturm, ein Körper, der zu schnell zu Staub wurde
Die Chemie des Todes von Simon Beckett– Wenn Stille lauter ist als ein Schrei
Knochenkälte von Simon Beckett – Winter, Stille, ein Skelett in den Wurzeln
Biss zum Ende der Nacht von Stephenie Meyer – Hochzeit, Blut, Gesetz: Der Schlussakkord mit Risiken und Nebenwirkungen
Das gute Übel. Samanta Schweblins Erzählband als Zustand der Schwebe
Biss zum Abendrot von Stephenie Meyer – Heiratsantrag, Vampirarmee, Gewitter über Forks