In ihrem 2022 erschienenen Roman 22 Bahnen erzählt Caroline Wahl von einem Ort, der vielen vertraut, und doch kaum gedacht wird: dem örtlichen Hallenbad. Hier beginnt die Geschichte der siebzehnjährigen Clara, deren Leben sich in den Bahnen des Schwimmbeckens abspielt – bis ein Schicksalsschlag alles verändert. Mit sparsamer, poetischer Sprache verknüpft Wahl Themen wie familiäre Verantwortung, Integration und mentale Gesundheit und zeigt, wie das Wasser in einem Sportbecken zur Metapher für Wandel und Freiheit wird.
Handlung von 22 Bahnen: Clara, Michael und das Hallenbad als Lebensraum
Clara hat sich daran gewöhnt, jeden Morgen pünktlich um sechs Uhr das Becken zu durchqueren, dreißig Minuten lang, ehe die Türen des Hallenbads sich für die Allgemeinheit öffnen. Ihr Vater Michael, der als Bademeister arbeitet, grüßt sie jeden Tag mit demselben Satz: „Schwimm deine 22 Bahnen, und alles wird gut.“ Diese Routine ist Claras Anker in einer Welt, die selten wirklich stabil ist. Doch als Michael aufgrund einer plötzlich diagnostizierten Herzerkrankung operiert werden muss, bricht Claras scheinbar unerschütterliche Ordnung auseinander. Sie erschöpft sich in strengem Training, nicht zuletzt um den Kontrollverlust zu kompensieren, doch die brennende Sorge um ihren Vater wächst mit jedem Zug durchs Wasser.
Parallel zu diesen Herausforderungen trifft Clara auf Leila, eine neue Mitschülerin aus einer Flüchtlingsfamilie, die im Schwimmverein der Stadt immer wieder als „Nichtschwimmerin“ auffällt und deshalb gehänselt wird. Obwohl Leilas Angst vor dem Wasser tief sitzt, weckt ihre zähe Entschlossenheit Claras Mitgefühl. Gemeinsam wagen sie sich aneinander heran und entdecken, wie das Wasser Grenzen zwischen Kulturen und Generationen überwindet.
Als Claras größter Prüfstein das anstehende regionale Schwimmturnier ist, schmiedet sie einen Plan: Sie will nicht nur für den Sieg im Becken kämpfen, sondern für Michael da sein und Leila zeigen, dass Zugehörigkeit auch jenseits von Herkunft und Leistungsdruck existiert. Am Tag des Wettkampfs laufen Claras 22 Bahnen nicht nur gegen die Uhr, sondern auch gegen die Angst an – und münden in einem Moment, in dem einfache Bewegungen im Wasser zur Geste der Hoffnung werden.
Zentrale Themen & Motive: Wasser als Spiegel von Lebenskrisen
Caroline Wahl versteht es, das Hallenbad zur Bühne eines Coming-of-Age-Dramas zu machen, in dem das Wasser nicht nur Kulisse, sondern Hauptmotiv ist. Mit jeder Bahn, die Clara zieht, spiegelt es ihre innere Zerrissenheit wider: Das ruhige Spiegelbild auf der Wasseroberfläche steht für ihre Wünsche nach Normalität, während die Wellen, die sie selbst erzeugt, den emotionalen Aufruhr symbolisieren. Die Diagnose von Michaels Herzfehler zeigt, wie fragil familiäre Sicherheit sein kann. Wahl lässt Michael als Vaterfigur in Momenten der Schwäche und Stärke erscheinen: In nächtlichen Gesprächen am Bett wird seine Krankheit zur Metapher für die unsichtbaren Kämpfe, die viele Eltern mit sich herumtragen.
Leilas Widerstand, im Wasser zu bleiben, markiert das Thema Integration als Sport der Willenskraft; sie lernt, wie das Hallenbad zu einem Ort des Ankommens werden kann. Ihre schließlich gewonnene Sicherheit im Wasser lässt sie nicht nur Barrieren im Schwimmbecken fallen, sondern führt Clara vor Augen, dass es manchmal Mut erfordert, Grenzen zu überschreiten – sei es sprachlich, kulturell oder emotional. Dass beide Mädchen trotz unterschiedlicher Hintergründe in diesem kleinen Nordstädtchen zueinander finden, verdeutlicht Wahl’s Überzeugung, dass Gemeinschaft dort entsteht, wo Menschen einander zuhören und gemeinsam ins Neuland tauchen.
Warum 22 Bahnen heute relevant ist
Der Roman erscheint in einer Zeit, in der Integration und mentale Gesundheit prominent diskutiert werden. Hallenbäder in kleineren Städten dienen hier als Mikrokosmen, in denen Menschen aller Altersgruppen und Herkunftsländer aufeinandertreffen. Wahl zeigt, wie Sportvereine und öffentliche Bäder soziale Treffpunkte sind, die Vorurteile abbauen können. Leilas Geschichte spricht die Erfahrungen von Geflüchteten an – ihr anfängliches Scheitern am Wasser wird zum Symbol für bestehende Hindernisse in der Gesellschaft. Indem Clara ihr die Hand reicht, veranschaulicht Wahl, wie gelebte Empathie Brücken baut.
Gleichzeitig reflektiert Michaels Herzerkrankung die Diskussion um mentale und physische Gesundheit in Familien. Claras exzessives Schwimmtraining ist eine Coping-Strategie, die exemplarisch für den Druck steht, den junge Menschen empfinden, wenn sie Familie und Selbstverwirklichung unter einen Hut bringen müssen. In einer Zeit, in der Burnout und Depression unter Jugendlichen häufiger werden, bietet 22 Bahnen einen literarischen Zugang zu diesen Themen, ohne in moralische Predigten zu verfallen. Wahl beweist, dass Selbstfürsorge und Leistungsstreben miteinander ausbalanciert werden müssen – eine Lektion, die über das Schwimmbecken hinauswächst.
Poetische Leichtigkeit trifft realistischen Ton
Wahls Erzählstil in 22 Bahnen verzichtet auf überflüssige Ausschmückungen. Ihre Sätze gleiten klar und präzise wie Clara durchs Wasser. Anstelle von detaillierten Beschreibungen reicht eine knappe Andeutung: Wenn Clara „das kalte Chlor auf ihrer Haut“ spürt, wissen Leser:innen sofort, wie es ist, morgens die Hallenbad-Tür aufzustoßen. Dialoge sind so natürlich gezeichnet, dass das Kribbeln der Nervosität vor dem Wettkampf oder der zaghafte Versuch, Leila Mut zuzusprechen, im Gedächtnis bleibt.
Besonders eindrucksvoll ist Wahls Einsatz von kurzen Rückblenden, die einen Blick in Claras Kindheit werfen: Erste Schwimmversuche, ein ausgelassenes Planschen mit Michael, glückliche Sommer in der Ostsee. Diese Passagen wirken wie stille Wasser, denen man die Tiefe erst auf den zweiten Blick ansieht. Szenen mit Michael im Krankenhaus sind trotz der Schwere mit einem Hauch von Wärme geschrieben: Ein schweigendes Händedrücken, ein verschmitztes Lächeln in der Intensivmedizin – solche Details verleihen dem Text emotionale Substanz. So entsteht eine Stimmung, die zwischen Resignation und Hoffnung pendelt, ohne den Leserinnen und Lesern das Gefühl zu geben, belehrt zu werden.
Zielgruppe: Welches Publikum spricht 22 Bahnen an?
22 Bahnen spricht in erster Linie junge Erwachsene an, die in Clara eine Altergenossin finden. Ihre Fragen nach Zugehörigkeit und Eigenständigkeit sind universeller Natur, wodurch auch ältere Leserinnen und Leser angesprochen werden: Wer erinnert sich nicht an die Tage, an denen das Hallenbad zum Sehnsuchtsort wurde? Familien, die Pflegeverantwortung kennen, werden Claras Sorge um Michael nachempfinden. Schwimmtrainer und Sportpädagogen können Wahls authentische Darstellung des Trainingsalltags als Lehrbeispiel heranziehen. Schließlich ist 22 Bahnen eine Zuflucht für alle, die Coming-of-Age-Romane mit nordischer Leichtigkeit und echter emotionaler Tiefe schätzen.
Kritische Einschätzung: Stärken und Potenziale
Wahl gelingt es, drei Lebenslinien – Claras, Michaels und Leilas – in einem schmalen Band so zu verweben, dass sie zu einem stimmigen Ganzen werden. Die Stärke liegt in der atmosphärischen Beschreibung des Hallenbads: Leser:innen spüren Chlorgeruch, Wasserspritzer und den vertrauten Klang von Wasserrutschen und Pfiff des Startschwimmers. Durch diesen Fokus auf die Sinneseindrücke gewinnt der Roman eine unmittelbare Präsenz.
Ein kleiner Schwachpunkt sind gelegentlich wiederkehrende Trainingspassagen, die sich in ihrer Strenge ähneln und zu Wiederholungen neigen. Zudem hätte eine tiefere Auslotung von Leilas Perspektive in den Momenten außerhalb des Wassers manchen Szenen noch zusätzlicher Dramatik verliehen. Dennoch überwiegen die Qualitäten: Wahls Mut, stille Momente mit großer Symbolik aufzuladen, macht 22 Bahnen zu einer literarischen Oase für all jene, die zwischen den Wellen des Alltags nach Orientierung suchen.
Blick auf die kommende Verfilmung von 22 Bahnen
Noch während 22 Bahnen literarisch alle Bahnen zieht, läuft bereits die Planung für eine Verfilmung auf Hochtouren. Regisseur:innen aus dem norddeutschen Raum, die bereits kleinere erfolgreiche Jugendfilme realisiert haben, sind im Gespräch, um Wahls feinsinnige Mischung aus Coming-of-Age und Familiendrama in bewegte Bilder zu übersetzen. Gedreht werden soll im Spätherbst 2025 in einer echten Schwimmhalle bei Hamburg, um das authentische Flair des Romans einzufangen. Statt eines großen Studio-Sets setzt das Team auf natürliche Kulissen: rostige Umkleiden, gläserne Fensterfront und das gedämpfte Licht über dem Becken. Als Clara wurde eine Nachwuchsschauspielerin mit Schwimmerfahrung gecastet, um die realistischen Schwimmszenen – einschließlich der 22 Bahnen – ohne Doppelgänger zu drehen.
Unter den Produzenten findet sich auch ein Förderprogramm für Sport- und Jugendfilme, das erstmals eine eigenständige Mittelzuweisung für die Verfilmung gemischter Genreprojekte vorsieht. Laut ersten Interviews mit Caroline Wahl wird sie selbst als Beraterin fungieren, damit sowohl die emotionale Tiefe der Figuren als auch die symbolische Bedeutung des Wassers nicht auf der Strecke bleiben. Kinostart ist für Frühjahr 2026 geplant, sodass sich Leser:innen und Kinogänger gleichermaßen auf eine Reise einlassen können, in der das Wasser zwischen Hoffnung und Selbstfindung im Mittelpunkt steht.
Warum 22 Bahnen von Caroline Wahl gelesen werden sollte
22 Bahnen ist mehr als ein Roman über einen Sport – es ist eine Einladung, dem eigenen Leben Tiefe zu verleihen und im Wasser Vergangenes loszulassen. Caroline Wahl verbindet in klarer, poetischer Sprache alltägliche Szenen mit universellen Themen wie Verlust, Solidarität und Selbstbestimmung. Ob im Lesesessel oder bald im Kino, die Geschichte erinnert daran, wie das Schwimmen nicht nur Bahnen zieht, sondern auch zu persönlichem Aufbruch und Heilung führen kann.
Über die Autorin: Caroline Wahl und ihr literarisches Schaffen
Caroline Wahl, 1992 in Lübeck geboren, hat sich mit ihren Coming-of-Age-Werken einen Namen gemacht. Bereits ihr Debüt „Sommer in der Düne“ (2019) wurde von Kritik und Leserschaft gelobt. In 22 Bahnen zeigt sie erneut ihr Talent, jugendliche Themen mit gesellschaftlicher Relevanz zu verweben. Wahl studierte Literaturwissenschaften in Hamburg und arbeitete als freie Lektorin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihre Romane zeichnen sich durch eine klare Sprache aus, die Süße und Biss gleichermaßen besitzt, und durch eine Authentizität, die sowohl junge als auch ältere Leser anspricht.
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