Jia Tolentino - "Trick Mirror" Smart, schnell, intellektuell: So denkt und schreibt die Generation Y

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Die amerikanische Schriftstellerin Jia Tolentino hat mit ihren Buch "Trick Mirror" eine Essay-Sammlung vorgelegt, die Einblicke in die Denkmuster der Generation Y gibt: Disparat, charmant und politisch korrekt. In den USA ist ihr Buch ein New York Times-Bestseller. Kritiker*innen bezeichnen die Autorin bereits jetzt als die „beste junge Essayistin der Welt“.

Die schnelle intellektuelle: Amerikanische Kritiker*innen bezeichnen Jia Tolentino bereits jetzt als die "beste junge Essayistin der Welt". Quelle: derivative work: - Mike.lifeguard 

Die zunehmende Geschwindigkeit der Welt lässt nicht selten Menschen zurück. Um diese Verbliebenen zu kategorisieren geben wir ihnen Namen: Die "Abgehängten", die "Auf-der- Strecke-Gebliebenen", die "Vergessenen". Jene, die nicht abgehängt, nicht vergessen worden sind und den Ab- beziehungsweise Aufsprung doch irgendwie geschafft haben, sehen sich nun einer algorythmisierten, oft recht verwirrenden Welt gegenüber, in der sich selbstverständlich auch die Denkstrukturen ändern.

Es ist eine Welt des aufkeimenden Populismus, ein Ort, an dem einen Meinungen, Interessen, Vorlieben und Abneigungen blitzschnell um die Ohren sausen, ohne das man die Zeit dazu hätte, den Kopf zu drehen um den einzelnen Affekten nachzuschauen. Ein Karrusell der Reizbarkeit, ein Siegeszug der unreflektierten Aufschreie, ein Triumphieren der unmenschlichen Seite am Menschen. Und am Ende steht dann doch jene Fragen, die sich früher oder später beinahe allen Generationen stellte: Wie halten wir das aus, wie finden wir uns zurecht, wo ist ein Ausgang, und wie wollen wir leben?

Trump, Rihanna und Ecstasy

Die amerikanische Schriftstellerin Jia Tolentino hat nicht unbedingt vor, diese Fragen brav abzuarbeiten und als Leitbild zu gelten. Dafür ist sie viel zu sehr Teil jener Generation, die vom Einbruch des Internets am härtesten, will heißen am bewusstesten getroffen wurde. Leitbilder,Wahrheiten, Ratschläge, alles austauschbar, alles nichts weiter als ein weiteres Rauschen am Ohr. Tolentino bearbeitet viel mehr eigene Erfahrungen. Sie selbst war nach eigenen Angaben bereits im Alter von zehn Jahren internetsüchtig. Jetzt schreibt sie über das Oszilieren zwischen realer Welt und Schein-Universum, schreibt über die Vermischung, über den Verlust.

Ihre Essaysammlung "Trick Mirror" ist ein Konglomerat aus literarischen Referenzen, Historie, und Gegenwarts-Verirrungen, alles auf intellektuelle Weise zusammengefasst, in einem Stil, der sich nach Aufbruch anfühlt. Optimierungssucht, Trump, Marc Zuckerberg, Metoo, alles findet Platz auf diesen knapp 300 Seiten. Auch Popstars wie Rihanna oder Kim Kardashian werden abgehandelt, ebenso wie Ecstasy und Vergewaltigungen auf dem Universitätscampus.

Durch diesen Themenpark zieht sich jedoch, unverkennbar, die Frage und die Suche nach dem Ich. Auch hier rekurriert Tolentino auf ideengeschichtliche Konzepte, die sie aufgreift, und kurzerhand in die Gegenwart befördert. All dies geschieht in solch einer enormen Geschwindigkeit, dass man sich kaum sicher sein kann, ob dieses Wissen erlernt oder ergoogelt ist. Alles was sicher ist, ist die Tatsache, dass einem während der Lektüre das Gefühl überkommt, einen wunderbaren Abglanz der großen Welt in den Händen zu halten, einen wirren Kosmos nämlich, in dem sich jede scheinbar feste Entität als unbeständig herausstellt.

Der gelebte Pop-Wahnsinn

Auch die Frage danach, was es voraussetzt, als Künstlerin gegenwärtig zu überleben, stellt sich im Buch. Wie wichtig ist zwischen all den disparaten, eklektischen Verfahrensweisen die Selbstdarstellung der Künstlerin als hippes, schnell konsumierbares Produkt? Hier verfährt Tolentino wie viele andere Küntler*innen auch. Ihr Blog, ihr Instagram, machen den Eindruck, leicht nebenher konsumiert werden zu können. Es sind Seiten, zu denen ein Latte Macchiato passt, getrunken im warmen, hölzernen Ambiente. Jia Tolentino ist keine Rebellin die einer Obsession hinterherjagt, sie schriebt nicht weil sie muss, sondern weil sie kann, und lebt damit genau den lauwarmen Pop-Wahnsinn, den sie an vielen Stellen ihres Buches kritisiert.


Jia Tolentino - Trick Mirror (Englische Ausgabe), Harper Collins Publishers, 2019, 320 Seiten, 11,99 Euro (Taschenbuch)

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