Falsch wäre es, zu schreiben: "Der Schriftsteller Audun Mortensen hat ein Buch geschrieben, in dem er sich...". Richtig wäre in etwa: "Andund Mortensen durchwühlte die sozialen Medien, und setzte diverse Postings in einen literarischen Kontext.". Ist das die Popliteratur des 21. Jahrhunderts?
Die Popliteratur des 21. Jahrhunderts?
Ganz abwegig findet Verleger Adrian Kasnitz (Verlag: "Parasitenpresse") diesen Gedanken nicht, wie er in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk beteuerte. Die sich im Internet etablierende, ständig in Bewegung befindliche Sprache ins Literarische zu übertragen, hält der Verleger sogar für zwingend notwendig. Und so verteidigt er das Buch "Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse" des norwegischen Autors Audun Mortensen als eine literarisches Arbeit.
Dass Kasnitz der Meinung ist, das wirkliche Leben spiele sich "mehr im Internet ab als draußen vor der Tür", umschreibt sein - vermutlich sehr tiefes - Verhältnis zur Literatur sehr gut. Diese Verdrehung ist so einfach wie wirkungsvoll: Jetzt werden reale Unglücksgeschichten plötzlich zum Stoff für Phantasie-Thriller, und Youtube, Facebook, Instagram-Kommentare Teil des wirklichen Lebens. Schöne neue Welt. Mehr Eskapismus geht eigentlich nicht.
„Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse?“
Achtung, Spoiler: Nein.
Dieses Buch versammelt "Beobachtungen" aus dem Netz; Kommentare, die der Autor auf Plattformen wie Facebook, Instagram oder Reddit gesehen, für interessant befunden, und in Buchform übertragen hat. Ansprechend also für Leser, die das Buch zur Seite gelegt und den Laptop aufgeklappt, die den Artikel nach der Überschrift übersprungen und sich in die Kommentarspalte gescrollt, die das reale Leben gegen ein Sich-Ausleben im Netz getauscht haben. "Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse" ist eine Ansammlung von Oberflächlichkeiten, in der Masse jedoch - vermutlich anders als Autor und Verleger meinen - nicht weniger oberflächlich, als es die einzelnen Postings sind.
Popliteratur des 21. Jahrhunderts
Verleger Adrian Kasnitz rekurriert auf Autor*innen wie Stefanie Sargnagel wenn er meint, dass das experimentelle Arbeiten mit Texten im und aus dem Netz eine literarische Qualität inne hat. Der Unterschied zwischen diesem Buch Mortensens und den Büchern Sargnagels aber ist der, das Stefanie Sargnagel ihre Bücher selber schreibt. Sie berichtet im Netz von Beobachtungen, erzählt kurze Anekdoten; Mortensen hingegen kopiert Kommentare, und - immerhin das - versieht sie lediglich mit eigenen Bildbeschreibungen. Experimentell is nice, aber nicht per se gut. Poppig und frisch und fresh is auch nich gleich "Popliteratur des 21. Jahrhunderts".
Vielleicht ist es sinnvoller, das Buch "Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse" eher im Bereich der Bildenden Kunst anzusiedeln, und das mit der Literatur ganz rauszulassen. Eine von unzähligen künstlerischen Arbeiten, die uns vor Augen führen, was wir alle ohnehin schon wissen und bis zum erbrechen jeden Tag wiedergekäut bekommen. Damit wäre die Arbeit immerhin direkt am Zeitgeist.
Audun Mortensen: „Hatte Kurt Cobain eine E-Mail-Adresse?“ Aus dem Norwegischen übersetzt von Anna Pia Jordan-Bertinelli, Parasitenpresse, Köln 2019. 82 Seiten, 12 Euro
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