"Mit der Faust in die Welt schlagen" Radikalität und Verfall

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Lukas Rietzschels Debütroman Mit der Faust in die Welt schlagen wird angesichts der Ausschreitungen in Chemnitz als "Roman der Stunde" betitelt. Was steckt dahinter?

Ullstein Buchverlag / Presse

"Dieses ganze eingefallende, verlassene Zeug. Untergegangene, traurige Scheiße." Leerstehende Fabriken, Betonklötzer, Tristesse. Lukas Rietzschel führt uns mit seinem Debütroman zurück ins Jahr 2000, und erzählt von dort aus die Geschichte zweier Brüder, die in einem Örtchen in der sächsischen Provinz aufwachsen. Das Dorf wurde abgehängt, es passiert nicht viel. Das Schamottenwerk wurde vor Jahren schon geschlossen, Ärzte und Banken haben ebenfalls dicht gemacht. Der einmal jährlich stattfindene Rummel ist daher ein regelrechtes Ereignis. Hier drängen sich gescheiterte Lebensentwürfe aneinander, ein Fest der konzentrierten Wut; hier treffen "sich die Männer zum Prügeln im Schatten des ausgeschalteten Kettenkarussells". Sich täglich betrinkende Protagonisten blitzen immer wieder am Rande der Geschichte auf. Einer von ihnen, Uwe, ertränkt sich in einem künstlich angelegten See, nachdem seine Frau ihn verlassen, und in den Westen gegangen ist. Man wartete ohnehin schon auf alles. Schnell schürt sich der Hass gegen jene, denen es besser zu gehen scheint. Zuerst sind das Politiker und Westdeutsche, später Immigranten.

Der Roman der Stunde

Mit der Faust in die Welt schlagen erzählt von dem Versuch der beiden Brüder, inmitten dieser ermüdenden und morbiden Umständen Anschluss zu finden. Der Ältere von beiden bewundert die Jungs, die vor der Gesamtschule in schwarzen Autos sitzen, Nazi-Rock hören und versuchen Macht zu demonstrieren. Mit Radikalität will man dem Verfall entgegenwirken: Hakenkreuze werden auf Steine und an Wände geschmiert. Erst im späteren Verlauf der Geschichte treten dann Asylsuchende auf den Plan, die nun zur Projektinsfläche dieser aus Verzweiflung erwachsenen, blinden Wut werden. Die Truppe schüttet einer türkischen Familie ranzige Schweineteile vor die Tür und verwickelt unschuldige Flüchtlinge in eine Schlägerei. Von hier führt die Geschichte in die tagesaktuelle Gegenwart. Sätze wie "Für Griechenland wäre Geld da gewesen" und "Kein Politiker weit und breit, der sich den Massen stellte" - verorten diesen Gegenwartsbezug deutlich. Welch einen Stellenwert weltpolitische Fragestellungen dieser Art aber in einem jugendlichen Kopf einnehmen, bleibt fragwürdig. Ebenso fragwürdig bleibt die Bezeichnung "Roman der Stunde"; könnte dadurch doch der Anschein erweckt werden, die Entwicklung komplexer politischer Geschehnisse könne man zwischen zwei Buchdeckel klären. Natürlich ist der Roman zeitentsprechend, beschreibt Gründe und Ursachen der wütenden Verzweiflung, macht deutlich, wie provinzielle Örtchen Ostdeutschlands samt ihren Einwohnern vergessen werden. All dies bleibt jedoch dem Zweck der Unterhaltung untergeben; ist also eher eine auf Beobachtung und Erfahrung fußende Erzählung, als eine allumfassende Analyse.

Der Roman ist eine Coming-of-Age-Geschichte vor dem Hintergrund fehlender Perspektiven. Rietzschel, der in einem Nachbarort namens Räckelwitz als Arbeiterkind aufgewachsen ist, erzählt hier, wie seine Biografie hätte laufen können, wäre er nicht im Alter von sechzehn Jahren auf die Literatur gestoßen.

Lukas Rietzschel: Mit der Faust in die Welt schlagen, Roman; Ullstein Verlag, Berlin, 2018; 320 Seiten, 20€, als E-Book 16,99€


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