Selfpublishing im Rampenlicht: Amazon kürt die Finalistinnen des diesjährigen Kindle Storyteller Awards
Jenseits großer Verlagshäuser, ohne Feuilletonbegleitung und oft übersehen vom Literaturbetrieb, wächst eine Szene, die längst eigene Maßstäbe setzt: das Selfpublishing. Der Kindle Storyteller Award von Amazon bringt einmal im Jahr genau diese Autorinnen und Autoren ins öffentliche Blickfeld – mit Preisgeld, Reichweite und Sichtbarkeit. Nun hat Amazon die drei Finalistinnen für den Jahrgang 2025 bekannt gegeben.
Was auffällt: Alle drei nominierten Titel stammen von Autorinnen, und die Shortlist deckt ein breites erzählerisches Spektrum ab – von historischen Stoffen über alltagsnahe Beziehungsgeschichten bis hin zu einem psychologisch aufgeladenen Thriller.
Historisches Erzählen mit emotionaler Präzision
Den Auftakt macht Annette Oppenlander mit Kohlenträume, einem Roman, der das Leben von Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg und eine verbotene Liebe in den Mittelpunkt stellt. Oppenlander, die bereits mit ihrem Debüt Vaterland, wo bist Du? für Aufmerksamkeit sorgte, schreibt mit dokumentarischer Genauigkeit und emotionalem Gespür. Ihre Stärke liegt nicht im Pathos, sondern in der Reduktion: Alltagsszenen werden zu Verdichtungen historischer Erfahrung. Dass sie dabei auf eine weitgehend unterbeleuchtete Thematik fokussiert – das individuelle Schicksal der Zwangsarbeiter – gibt dem Roman auch eine literaturpolitische Relevanz.
Leichtfüßig, aber nicht belanglos
Ganz anders der Ton bei Marit Bernsons Der Mami-Dating-Club: Ein zweites Mal für immer. Der Titel klingt nach romantischer Komödie, und das ist er auch – aber eben mit klarem Blick auf die Realitäten von Alleinerziehenden, Patchwork-Familien und dem emotionalen Gerümpel gescheiterter Beziehungen. Bernson, die seit 2017 erfolgreich Selfpublishing betreibt und inzwischen über 50 Titel veröffentlicht hat, beherrscht das Spiel mit Alltagsnähe, Situationskomik und dem leichten Zweifel, ob das Glück von gestern auch das von morgen sein kann. Ihre Figuren sind nahbar, ihre Konflikte glaubwürdig – das Lesen gleicht einem Gespräch mit der Freundin, die zu viel weiß, aber nie belehrt.
Abgründe hinter der Fassade
Dritte auf der Liste ist Nika Lubitsch, eine feste Größe im deutschsprachigen Spannungssegment. Mit 30 Tage im Februar legt sie einen Thriller vor, der sich tief in familiäre Abgründe gräbt. Eine Mutter, deren Tochter zehn Jahre zuvor spurlos verschwand, entdeckt beim Aufräumen deren Tagebuch – und mit ihm eine andere Version der eigenen Geschichte. Lubitsch erzählt mit beklemmender Nähe, nutzt Rückblenden, Perspektivwechsel und Tagebucheinträge, um ein Geflecht aus Schuld, Verdrängung und Gewalt zu entwirren. Der Thriller folgt dabei nicht der klassischen Ermittlungslogik, sondern bleibt im Innenraum der Figuren – psychologisch dicht, manchmal fast dokumentarisch, stets kontrolliert erzählt.
Publikum und Jury entscheiden gemeinsam
Die Auswahl der Finalistinnen erfolgte durch eine Kombination aus Leser:innenbeteiligung – über Rezensionen und Verkaufszahlen – sowie der Entscheidung einer dreiköpfigen Jury: Jobst-Ulrich Brand, Kulturchef beim Nachrichtenmagazin Focus, die Selfpublishing-Autorin Martina Gercke und der Buch-Influencer Thomas Sachsenmaier (@thomas_bookclub). Bewertet wurden unter anderem Handlung, Originalität, sprachlicher Stil und erzählerische Qualität.
Die Gewinnerin wird am 7. November in München bekannt gegeben. Neben dem Preisgeld winkt eine Veröffentlichungsvereinbarung mit Amazon Publishing sowie die Produktion eines Hörbuchs.
Selfpublishing als Markt, nicht als Nische
Der Kindle Storyteller Award zeigt auch 2025: Selfpublishing ist längst kein Randphänomen mehr, sondern ein eigenständiger Literaturmarkt mit Publikum, Dynamik und Erfolgsgeschichten. Die diesjährige Shortlist spiegelt diese Vielfalt – thematisch, stilistisch und narrativ. Dass drei Frauen das Finale unter sich ausmachen, ist kein Zufall, sondern verweist auf eine Leserinnenkultur, die im Selfpublishing längst das gefunden hat, was der klassische Buchhandel oft übersieht: Geschichten, die aus dem Alltag schöpfen, aber nicht darin versinken.