Amazon-Rezensionen: Die FAZ über Caroline Wahls „Die Assistentin“

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Es gehört zu den liebgewonnenen Routinen des Feuilletons, Bestsellerautorinnen mit einer Mischung aus ironischer Distanz und moralischem Spott zu betrachten. In der FAZ hat man sich Caroline Wahl und ihrem neuen Roman „Die Assistentin“ nun in genau dieser Manier angenommen. Herausgekommen ist ein Text, der weniger den Roman bespricht, als vielmehr die Reaktionen auf ihn — vor allem jene aus der Kommentarspalte von Amazon.
„Dieses Buch, heißt es, sei langatmig, langweilig, enttäuschend, amateurhaft, zäh, klischeehaft, emotionslos, eine Zumutung und Zeitverschwendung. Viele Leser empfinden es als Murks, trivial und peinlich. Man kann dem nur zustimmen.“ So zitiert die FAZ aus Nutzerkommentaren — und übernimmt die Vokabeln gleich in den eigenen Duktus. An die Stelle einer eigenständigen Kritik tritt hier die Dramaturgie der Verdopplung: Die Zeitung macht sich zum Lautsprecher der Entrüstung anderer.

Caroline Wahl Caroline Wahl Von Elena Ternovaja - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

Zwischen Bestseller und Buchpreis

Dass Caroline Wahl mit ihren ersten beiden Romanen „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“ mehrere hunderttausend Exemplare verkauft hat, wird nicht bestritten. Doch der FAZ-Artikel lässt keinen Zweifel daran, dass in diesem Erfolg etwas Anstößiges liegt: Wahl habe es gewagt, ihre Enttäuschung über das wiederholte Scheitern auf der Longlist des Deutschen Buchpreises öffentlich zu artikulieren. „Wie wär’s, liebe Caroline Wahl, denn mit dem Büchner-Preis? Schon mal gehört?“, heißt es höhnisch.
Der Vorwurf lautet also nicht nur: Das Buch sei schwach. Sondern: Die Autorin maße sich an, mehr zu wollen, als ihr zusteht. Genau hier wird die Kritik dünn: Nicht das Werk selbst, sondern die Haltung der Autorin wird ins Visier genommen. Erfolg, Selbstbewusstsein, Ambitionen – all das scheint im literarischen Betrieb schnell als Übergriff gewertet zu werden, wenn es von einer jungen Frau kommt.

Popstar-Status als Verdacht

Ein weiterer roter Faden des Textes ist die Unterstellung, Wahl profitiere nicht von ihrem Stil, sondern von ihrem „Popstar-Status“. Ein Amazon-Rezensent, den die FAZ genüsslich zitiert, beschreibt den Effekt so: „The-hype-is-so-real. [...] Trotzdem, the hype wirkt: Bei so viel Glanz und Glamour traue ich mich ja schon gar nicht mehr an nur einen einzigen Stern heran.“
Hier verdichtet sich das Misstrauen gegenüber dem Erfolg zur eigentlichen Pointe. Nicht der Roman zählt, sondern das Narrativ um die Autorin: Bestsellerlisten, Kinofilm, Vorschüsse in Millionenhöhe. All das dient als Beleg dafür, dass literarische Qualität hier gar nicht mehr gefragt sei. Der FAZ-Artikel verschiebt also die Kritik vom Text ins Metamediale: Das Buch wird zur Nebensache, die Figur Caroline Wahl zum Hauptthema.

Das Hörbuch als Folklore

Auch der Umstand, dass Wahl ihr neues Buch selbst eingelesen hat, gerät zum gefundenen Fressen: „Es ist leider schiefgegangen – und zwar so schief, dass Hörer über Schmerzen in den Ohren klagen.“ Die Anekdote wirkt wie eine Folklore-Erzählung aus der Rubrik „Junge Autorin überschätzt sich“. Ob das Hörbuch tatsächlich so misslungen ist, bleibt zweitrangig. Wichtig ist nur der Effekt: eine weitere Pointe auf Kosten der Autorin.

Ein zweiter Artikel – und ebenfalls keine Gnade

Dabei blieb es in der FAZ nicht bei dieser Glosse. Bereits zuvor hatte Tilman Spreckelsen den Roman ausführlich besprochen – und auch dort klang die Diagnose wenig schmeichelhaft. Zwar betont er den autobiographischen Hintergrund und ordnet die Erzählweise ein, doch sein Urteil fällt nüchtern aus: „In diesem Stil können 350 Seiten ganz schön lang sein.“ Wieder also dieselbe Tendenz: Der Roman wird nicht als literarisches Experiment ernstgenommen, sondern als überdehntes, erklärfreudiges Erzählen kritisiert.
So ergibt sich ein doppeltes Bild: Die eine FAZ-Stimme spottet über Amazon-Rezensionen und Wahls Selbstbewusstsein, die andere erklärt den Text zum ermüdenden Fehlschlag. Für eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Themen des Romans – Machtmissbrauch, Abhängigkeit, Befreiung – bleibt in beiden Fällen kein Raum.

Am Ende: Schulterklopfen statt Kritik

Die Glosse endet mit einem Bild, das zwischen Ironie und Resignation oszilliert: „Womöglich lacht sich Caroline Wahl ja, während sie im Kino sitzt und die an diesem Donnerstag anlaufende Verfilmung ihres Romans ‚22 Bahnen‘ anschaut, insgeheim ins Fäustchen, dass ihre Selbstüberschätzung (sie nennt es Selbstbewusstsein) als weibliche Selbstermächtigung durchgeht. Für diesen Coup sollte sie sich kräftig auf die Schulter klopfen.“
Das ist hübsch formuliert, bleibt aber leer: Ein Schulterklopfen ersetzt keine Kritik, und ein „Coup“ sagt mehr über die Wahrnehmung der Kritiker als über das Buch selbst.


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