Ein Roman wie das echte Leben. Rezension zu "Hey guten Morgen, wie geht es dir?" von Martina Hefter

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Hey guten Morgen, wie geht es dir? Hey guten Morgen, wie geht es dir? Roman über die alltäglichen Sorgen und Unsicherheiten. Klett-Cotta Verlag

Der Roman Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ geschrieben von Martina Hefter ist ein erfrischendes Werk, das auf einzigartige Weise Humor und Tiefgründigkeit miteinander verbindet. Mit einem Augenzwinkern beleuchtet Hefter die alltäglichen Sorgen und Unsicherheiten, die uns alle plagen, und zeigt dabei, dass Perfektion überbewertet ist. Der Roman führt die Leser durch die kleinen, oft übersehenen Momente des Alltags, von morgendlichen Kaffee-Katastrophen bis zu unangenehmen Begegnungen im Fahrstuhl. Es steht völlig zurecht auf der Longlist des "Deutscher Buchpreis 2024".

Protagonisten: Juno und Jupiter

Im Zentrum der Handlung stehen Juno und Jupiter, ein ungleiches Paar, das in seinem Alltag zwischen Liebe, Krankheit und künstlerischer Selbstverwirklichung navigiert.

Juno ist eine Künstlerin und Tänzerin, die versucht, den Anforderungen ihres Alltags gerecht zu werden, während sie gleichzeitig ihre eigenen Sehnsüchte nicht aus den Augen verliert. Sie balanciert zwischen der Pflege ihres Mannes und ihrer kreativen Arbeit.

Junos Ehemann Jupiter leidet an Multipler Sklerose und ist auf ihre Hilfe angewiesen. Einst ein erfolgreicher Schriftsteller, ist er nun stark eingeschränkt und auf Juno angewiesen, um seinen Alltag zu meistern.

Junos Alltag: Zwischen Pflege und kreativer Flucht

Juno lebt in einem ständigen Spannungsfeld zwischen der Sorge um ihren Mann und dem Bedürfnis, ihre eigene Identität als Künstlerin zu bewahren.

Juno kümmert sich liebevoll um Jupiter und unterstützt ihn in allen Belangen seines Lebens. Diese Rolle als Pflegerin ist anstrengend und fordert Juno sowohl körperlich als auch emotional heraus.

Trotz dieser Belastungen bleibt Juno als Künstlerin aktiv. Sie tanzt, spielt Theater und versucht, ihre kreative Energie aufrechtzuerhalten, auch wenn ihr Alltag sie oft an ihre Grenzen bringt.

In schlaflosen Nächten flüchtet sich Juno ins Internet. Dort chattet sie mit sogenannten Love-Scammern, Männern, die versuchen, Frauen um ihr Geld zu bringen. Diese nächtlichen Ausflüge bieten ihr eine willkommene Abwechslung von ihrem fordernden Alltag.

Online-Interaktionen: Freiheit durch Lügen

Die nächtlichen Chats mit Love-Scammern werden für Juno zu einer Form von Freiheit, die sie in ihrem realen Leben vermisst.

Juno nutzt die Interaktionen mit den Scammern, um in eine Welt ohne Konsequenzen einzutauchen. Diese Gespräche bieten ihr eine Art von Kontrolle und Selbstbestimmung, die sie in ihrem Alltag oft vermisst.

In der Online-Welt kann Juno sein, wer sie möchte, ohne dabei an die Realität gebunden zu sein. Diese Lügen verschaffen ihr eine temporäre Freiheit, die jedoch auch die Frage aufwirft, ob sie sich damit nicht selbst belügt.

Bedürfnisse, Liebe und Selbstbetrug

Der Roman stellt grundlegende Fragen über menschliche Bedürfnisse, die Grenzen der Liebe und den Selbstbetrug.

Martina Hefter reflektiert in ihrem Roman über die tiefen menschlichen Bedürfnisse nach Liebe, Anerkennung und Selbstverwirklichung.

Der Roman untersucht, wie weit man bereit ist, für die Liebe zu gehen, und welche Opfer man dafür bringt.

Juno stellt sich die Frage, ob das Lügen in den Online-Chats nicht auch eine Form von Selbstbetrug ist, und was diese Flucht aus der Realität für sie wirklich bedeutet.

Begegnung mit Benu: Eine besondere Verbindung

Eine Schlüsselrolle im Roman spielt die Begegnung zwischen Juno und Benu, einem Love-Scammer aus Nigeria.

Benu durchschaut Junos Lügen, was zu einer besonderen und komplizierten Verbindung zwischen den beiden führt. Er wird zu einem Spiegel, der Juno ihre eigene Realität vor Augen hält.

Trotz der physischen Distanz entsteht zwischen Juno und Benu eine tiefe Beziehung, die zeigt, dass wahre Verbindungen auch über große Entfernungen hinweg bestehen können.

Bildhafte Metaphern und tiefere Bedeutung

Martina Hefter nutzt im Roman starke symbolische Bilder, die dem Leser tiefergehende Einblicke in Junos Innenleben und die Themen des Romans geben.

Das Stuckrelief an der Decke von Junos Zimmer, das wie Planeten erscheint, steht symbolisch für die Komplexität und die verschiedenen Ebenen ihres Lebens.

Eine zentrale Metapher des Romans ist der Planet Melancholia aus dem gleichnamigen Film von Lars von Trier, der für drohende Zerstörung und gleichzeitig für die Schönheit im Untergang steht.

Ein eingeschränktes, aber kosmisches Leben

Der Roman spielt größtenteils in Junos Leipziger Altbauwohnung, die als Metapher für ihr eingeschränktes, aber dennoch kosmisches Leben dient.

Diese Umgebung steht symbolisch für Junos eingeschränktes Leben, das dennoch voller Gedanken, Gefühle und kosmischer Dimensionen ist.

Jupiter, einst ein gefeierter Schriftsteller, ist nun durch seine Krankheit stark eingeschränkt und auf Juno angewiesen. Seine Abhängigkeit von ihr belastet sie, stellt aber auch ihre Liebe auf die Probe.

Die Last des Alltäglichen

Juno muss sich täglich mit den Herausforderungen ihres Alltags auseinandersetzen, was oft eine große Belastung darstellt.

Ein wiederkehrendes Thema im Roman ist die Beschaffung der lebensnotwendigen Medikamente für Jupiter, was für Juno eine alltägliche, aber bedeutende Belastung darstellt.

Juno reflektiert im Roman über persönliche und universelle Wahrheiten, die durch das Graffito „Truth“ in ihrem Leipziger Stadtteil symbolisiert werden.

Theaterstück „Soft War“: Kunst als Rechtfertigung

Juno sieht ihre nächtlichen Online-Aktivitäten als Teil ihrer künstlerischen Arbeit und rechtfertigt sie damit vor sich selbst.

Juno betrachtet ihre Online-Interaktionen als Recherche für ein Theaterstück, das den Kampf marginalisierter Gruppen thematisiert.

„Soft War“ handelt von zwei Gruppen, die miteinander ringen, ohne den direkten Konflikt auszutragen – eine Metapher für die Konflikte in Junos eigenem Leben.

Ende und Offenheit: Ein Roman ohne klare Antworten

Der Roman endet offen und lässt die Frage nach einem Happy End unbeantwortet.

Martina Hefter lässt offen, ob es für Juno und Benu ein Happy End gibt, was den Leser dazu einlädt, eigene Schlüsse zu ziehen.

Die Geschichte endet mit einer kritischen Betrachtung von Hoffnung als „böse Superkraft“, die sowohl antreiben als auch enttäuschen kann.

Martina Hefters „Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ ist mehr als nur eine humorvolle Alltagsbetrachtung. Die Protagonistin, die mit den kleinen und großen Katastrophen des Alltags ringt, zeigt uns, dass es in Ordnung ist, sich manchmal verloren zu fühlen – und dass Perfektion nicht das Ziel, sondern die Akzeptanz der eigenen Unvollkommenheiten der Weg ist. Absolut lesenswert.



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