Die Debatte um die Entscheidung des Ravensburger-Verlags, zwei zum Filmstart von "Der junge Häuptling Winnetou" erschienene Jugendbücher zurückzuziehen, hält nach wie vor an. Handelt es sich bei den Karl-May-Büchern tatsächlich um "rassistische", "kolonialistische" Geschichten, die einen Völkermord romantisieren und verklären und daher vom Markt genommen gehören? Rezipienten und Publikum sind gespalten. Der Karl-May-Experte Andreas Brenne hält den Rückzug des Verlags für falsch: "Hier hat wohl die Angst der Marketingabteilung das Vorgehen diktiert".
Sollte die sogenannte Mittelschicht im Verlaufe der nächsten Jahre tatsächlich so eklatant auseinandertreiben wie es warnende Stimmen immer häufiger verlautbaren lassen, die eine Hälfte also in Richtung Prekariat, die andere Richtung "obere Mittelschicht" treiben, dann sollten wir inmitten der von 40-Grad-Plus-Sommern begleiteten Proteste nicht vergessen, dass wir es immerhin geschafft haben, diesen verdammten Karl May aus dem Weg zu räumen. Was wir bis zu diesen Protesttagen jeden Tag unbedingt aufs neue und immer wieder vergessen und vehement verdrängen sollten, ist, unter welchen Voraussetzungen dieses ominöse Lithium, das Cobalt und Coltan, die Rohstoffe also, auf deren Grundlage wir twittern, eigentlich beschaffen werden. Sollten wir das nicht vergessen, müssten wir uns eingestehen, dass es mit dem Vorwurf der "Aneignung" und des "Kolonialismus" zumindest moralisch ziemlich eng wird. Wir müssten fragen: Welches Schreiben ist jetzt eigentlich verwerflicher? Mein "Tweet" oder Karl Mays "Winnetou"?
Dass letzterer von der Bildfläche verschwinden sollte, hatten kürzlich diverse Stimmen auf "sozialen Plattformen" gefordert. Grund der erneut entflammten Debatte waren zwei Jugendbücher, die der Ravensburger-Verlag anlässlich des Kinostarts von "Der junge Winnetou" herausgab. Nach vehementer Kritik, in der von "Rassismus", "Kolonialismus" und "Kultureller Aneignung" die Rede war, zog Ravensburg die Titel nun wieder zurück. Auch der Kinofilm selbst wird nach wie vor heftig diskutiert. Bereits unter den JurorInnen der "Deutschen Film- und Medienbewertung", die die Winnetou-Fortschreiben letztlich als "besonders wertvoll" eingestuft hatten, zeigte sich tiefe Uneinigkeit. In einem Statement dazu heißt es:
"Nach Sichtung des Films zeigte sich in der sehr langen Diskussion, dass in der Gesamtbewertung des Films die Jury absolut gespalten war - zwischen vehementer Ablehnung einerseits und großer Zustimmung andererseits. Dies zeigt sich dann auch in der Abstimmung für oder gegen die Erteilung eines Prädikates."
Ravensburg entschuldigt sich per Instagram
Dass er die weitere Lieferung der umstrittenen Titel einstellen werde, gab der Ravensburg-Verlag über Instagram bekannt. "Wir haben heute entschieden, die Auslieferung der Titel zu stoppen und sie aus dem Programm zu nehmen. Wir danken Euch für Eure Kritik. Euer Feedback hat uns deutlich gezeigt, dass wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben." heißt es dort.
Zuvor hatte Ravensburger rund 180 kritische Kommentare für die Werbeschaltung erhalten. Im Netzt entbrannte daraufhin eine heftige Diskussion um "Woke-Wahnsinn" und Kunstfreiheit - nach wie vor ohne den Begriff "Ausbeutung" aufs Display zu tippen -, an der sich selbstverständlich die üblichen konservativen Verdächtigen enthusiastisch beteiligten, um ein nächstes Mal Jahrhunderte alte Argumente aufzutischen. Wie von selbst verstummten die Zwischenstimmen, und wir hatten es mit einem Grabenkampf zu tun.
"Hier hat wohl die Angst diktiert"
Doch gilt es, populistisches Aufspringen von substantieller Kritik zu unterscheiden; auch oder erst recht dort, wo sich der populistische Aufschrei und die substantielle Analyse im Urteil einander annähern oder gar zum gleichen Ergebnis kommen. Dass Julian Reichelt pausenlos gegen die "Woke-Bubble" anschreit, sollte die kritische Beschäftigung mit derselben in keinster Weise behindern, der Analyse weder ein Pro, noch ein Kontra anheften. Eine solche Distanz ist notwendig, insofern man nicht gewillt ist, dass Kind mit dem Bade auszuschütten oder sich von geschürter Angst irre machen zu lassen. Genau dies sei im vorliegenden Falle geschehen, vermutet der Karl-May-Forscher und Professor für Kunstpädagogik und Kunstdidaktik Andreas Brenne.
Gegenüber der Osnabrücker Zeitung machte Brenne klar, dass bereits in einer Vorbemerkung der Bücher klargestellt werde, dass es sich um fiktive Geschichten und nicht um sachgerechte Darstellungen des Lebens indigener Völker handle. "Hier hat wohl die Angst der Marketingabteilung des Verlages, das Haus könne in Verruf kommen, das Vorgehen diktiert."
Weiterhin warnt Brenne davor, den Vorwurf der falschen kulturellen Aneignung unreflektiert zu generalisieren. "Schon das Verkleiden als Indianer gilt dann als rassistischer Akt", so der Pädagoge. Der bereits oft an Karl May-Bücher gerichtete Vorwurf, diese ignorierten den Völkermord an indigene Völker, sei falsch. Im Gegenteil sei dies ja gerade das zentrale Motiv in den 1893 publizierten Winnetou-Romanen.
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