John McWhorter - "Die Erwählten" Woke Racism: Die "Schreckensherrschaft" des neuen Antirassismus

Vorlesen
Der US-amerikanische Linguistik-Professor John McWhorter schreibt in seiner Streitschrift "Die Erwählten" über eine neue Religion, deren Antirassismus im Kern rassistische Tendenzen hat. Er selbst wurde Opfer dieses antirassistischen Rassismus. Provokant, wütend und aufschlussreich. Bild: Hoffmann und Campe

Der "woke" Antirassismus ist in seinem Kern rassistisch, sagt der US-amerikanische Linguist John McWhorter. In seinem Buch "Die Erwählten" zeichnet er das Bild einer neuen Religion, die rigoros und zuweilen kompromisslos Menschen aus- und einsortiert, potenzielle Häretiker verfolgt, sie bekehrt oder verurteilt. Diese sogenannte "dritte Welle des Antirassismus" werde vor allem von linksliberalen Weißen vorangetrieben, die sich als Beschützer und Retter schwarzer Menschen aufschwingen. "Wir müssen diese Menschen sehen als das, was sie sind: Mitglieder einer Sekte, religiöse Fundamentalisten und Fundamentalistinnen.", schreibt McWhorter.

John McWhorter geht in seinem Buch "Die Erwählten" den intoleranten Tendenzen innerhalb Toleranz proklamierender Gesellschaften nach. Der gegenwärtige Antirassismus, so der Linguistik-Professor, ist in seinem Kern totalitär und selbst rassistisch. McWhorter zeichnet das Bild einer sektenähnlichen Vereinigung und spricht von einer "Schreckensherrschaft", die alles wortlos bedroht, die Ängste in Menschen schürt und letztlich den Diskurs unmöglich macht. "Sie haben Angst, ihren Job oder ihre Freunde zu verlieren. Viele tun deshalb so, als ob sie engstirnigen, unklugen und illiberalen Auffassungen zustimmen würden, weil sie sich davor fürchten, dass sonst ihr Leben zerstört wird. Das ist Terror.“, so McWhorter. Er selbst wurde im Übrigen Opfer dieses antirassistischen Rassismus. Unmittelbar nachdem er sein Buch veröffentlicht hat, gab es - wenig überraschend - einen Shitstorm. In Anbetracht der Thematik des Buches aber, war dieser verhältnismäßig klein ausgefallen. Der Grund: John McWhorter ist schwarz.

Wir erinnern und an die weltweiten Proteste, die nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd im Mai 2020 vom Zaun brachen. Der Fall wurde schnell zum paradigmatischen Symbol für die strukturellen, rassistischer Probleme, die in den USA vorherrschen. Auf diesen Fall Bezug nehmend, überlegt McWhorter, in wie weit es möglich wäre, die allumfassende Lesart dieses Falles mit Fußnoten oder statistischen Implikationen zu versehen. Seine Antwort überrascht nicht.

"Man darf nicht fragen, warum Schwarze Menschen sich so über einen weißen Polizisten aufregen, der einen Schwarzen Mann ermordet hat, obwohl das Risiko für einen Schwarzen Mann, von einem anderen Schwarzen Mann ermordet zu werden, viel größer ist."

Die USA wie "Russland zu Zeiten Stalins"

McWhorter schreibt keine politische oder sprachwissenschaftliche Analyse (wie er auch selbst betont). Vielmehr handelt es sich bei diesem Text um eine Aneinanderreihung von Beobachtungen, Thesen, Prämissen und Konklusionen. Oft voller Wut, oft auch überspitzt. Wenn der Linguist etwa die heutige USA mit einem "Russland zu Zeiten Stalins" vergleicht, dann ist zwar nachzuvollziehen, woher diese Analogie kommt; dick aufgetragen bleibt sie aber dennoch. Interessant wäre hier eine tiefere Analyse, die diesen doch recht gewaltigen Vergleich legitimieren würde - möglich wäre das. Das Gleiche gilt für die Unterstellung, "Black Lives Matter"-Anhänger seien Fundamentalisten. Sicher herrscht in diesen Kreisen eine quasi-religiöse Bekehrerfantasie. Sicher sind die "Erwählten" auch mit einer eigenen Inquisition ausgestattet, die verfolgt, aufspürt und bekehrt bzw auslöscht. Schade bleibt die oberflächliche Betrachtung hierbei dennoch.

Der gemütliche Opferstatus

Womit er sich in seinem Buch beschäftigt, sei die "Dritte Welle des Antirassismus", so McWhorter. Die erste Welle kämpfte gegen die Rassentrennung und für das Wahlrecht der Afroamerikaner; die zweite gegen rassistische Vorurteile. "Die dritte Welle des Antirassismus fordert von weißen Amerikanern das lebenslange Bewusstsein für ihre Komplizenschaft, für ihre sogenannte weiße Schuld und ihre weißen Privilegien."

Vorangetrieben werde diese Bewegung in erster Linie von linksliberalen Weißen, während es sich die schwarzen Amerikaner weiterhin in ihrer Opferrolle bequem machen könnten. Wie bei nahezu allen religiösen Strömungen, scheint es vor allem die existenzielle Frage nach einem Sinn zu sein, die am Grunde dieses ideologischen Konstruktes schlummert. Dass McWhorter als Atheist etwas beklemmendes in den erwähnten Entwicklungen vermutet, ist nicht überraschend. Der Vergleich mit religiösen Institutionen zieht sich - beim Buchtitel beginnend - quer durch den Text. Kultautoren wie Ta-Nehisi Coates und Ibram Kendi werden mit Hohenpriestern verglichen. McWhorter zählt ein Beispiel nach dem anderen auf, in welchen klar wird, wie die "Erwählten" potenzielle Häretiker an den moralischen Pranger stellen.

Und dann eine Lösung?

Er leugne nicht, dass struktureller Rassismus existiert, mach der Autor klar. Ein Rassismus, den wir "wahrscheinlich auch nie ganz ausrotten können." Nur die Art und Weise, wie wir gegenwärtig diesen Rassismus zu bekämpfen versuchen, sei eine falsche und kontraproduktive, die uns nicht weiter bringe. Die realen Probleme schwarzer Menschen würden damit nicht zu überwinden sein. Ansetzten sollte man zunächst bei der Bildungs- und Ausbildungsförderung. Auch hier rudert McWhorter nicht weiter raus. Der Ansatz aber, den Blick auf die Bildungschancen zu lenken, ist ein durchaus nachvollziehbarer und tatsächlich wesentlich produktiverer.

John McWhorter hat ein Aufschrei geschrieben. Ein provokantes, pointiertes Manifest, dass vielleicht gerade aufgrund seiner Schmissigkeit exakt die vom Autor intendierte Wirkung erzielte: Ein Streit vom Zaun brechen. Eine Gegenmeinung aushalten. Denn sollte es sich in den besagten Bubbles tatsächlich um ein religiöses, geschlossenes Konstrukt handeln, dann müsste man sagen: Selten war es bequemer, für eine Sache einzugestehen. Antworten müssen wir mit Albert Camus, der sagt: "Der Kampf um eine Sache ist keine Freizeitbeschäftigung"


John McWhorter: "Die Erwählten. Wie der neue Antirassismus die Gesellschaft spaltet“, aus dem Englischen übersetzt von Kirsten Riesselmann, Hoffmann und Campe, 256 Seiten, 23 Euro

Gefällt mir
7

Hier bestellen

 

Mehr zum Thema

Topnews

Aktuelles

Rezensionen