Neuerscheinung Muttertag von Nele Neuhaus – Ein Taunuskrimi über Mütter, Masken und die langen Schatten der 90er

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Muttertag: Kriminalroman | Ein Serienmörder, ein Todestag und unzählige Opfer: Nr. 1 SPIEGEL-Bestseller: fesselnder Provinz-Krimi (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi, Band 9)

Ein idyllischer Hof, ein halb verhungerter Hund, verstreute Knochen – so beginnt „Muttertag“, der neunte Fall für Oliver von Bodenstein und Pia Sander (geb. Kirchhoff). Schon der Titel setzt den Ton: Aus einem Feiertag wird ein Tatkalender. Nele Neuhaus nutzt das Setting ihrer Taunuskrimis, um eine Geschichte über Versprechen der Familie und Verbrechen in der Familie zu erzählen. Es ist ein Buch über das, was man vererbt, obwohl niemand darüber spricht – und über die geduldige, methodische Arbeit eines Teams, das Strukturen demaskiert. Dass es sich um Band 9 der Reihe handelt, ist für das Verständnis kein Hindernis, aber ein Bonus für Fans.

Handlung von Muttertag – Ein Hundezwinger, alte Vermisstenfälle und ein Kalender der Gewalt

Der Fundort wirkt wie aus einem Albtraum: Auf dem Grundstück des zurückgezogen lebenden Theodor Reifenrathentdeckt die Polizei in einem Hundezwinger menschliche Knochen. Reifenraths Frau Rita gilt seit den 1990er-Jahren als verschollen; man nannte es damals Selbstmord, doch schon die ersten Spuren legen nahe, dass mehrere Frauen ums Leben kamen – und zwar nach demselben Muster. Bodenstein und Sander rollen Vermisstenmeldungen aus den Jahren 1991 bis 1996 neu auf. Gemeinsam mit dem Team vom K11 Hofheim rekonstruieren sie Biografien, die alle in der ersten Maihälfte reißen.

Was die Ermittler bald erkennen: Die Opfer wurden am Muttertag entführt, in Frischhaltefolie eingewickelt, ertränkt, tiefgekühlt und später an unterschiedlichen Orten vergraben. In der Gegenwart kommt eine zweite Erzähllinie dazu: die junge Fiona, die ihre leibliche Mutter sucht – ein persönlicher Impuls, der unversehens in den Strudel des Falls gerät. Schritt für Schritt vernetzt Neuhaus alte Spuren mit neuen Gefahren; am Ende führt die Kette zu einem Showdown am Frankfurter Flughafen, der die technische wie emotionale Logik des Täters sichtbar macht – und die Ermittler unter maximalen Zeitdruck setzt. (Mehr zu verraten, würde die Konstruktion verraten; die Dramaturgie lebt von der graduellen Enttarnung.)

Themen & Motive – Mutterbilder, Pflegekinder, Täterfassaden

Muttertag als Spiegel: Kult um Fürsorge, Kult der Kontrolle

Der Feiertag wird im Roman zum negativen Spiegel: Wo gesellschaftlich „Mutterliebe“ gefeiert wird, setzt der Täter sein Kontrollritual. Das ist keine plumpe Provokation, sondern ein Machtkommentar: Er entscheidet, wer „würdig“ ist, Mutter zu sein – und entlarvt damit die toxische Seite jener Rollenbilder, die Frauen in Erwartungsnetze spannen. Die Opferauswahl zeigt: Nicht „Zufall“, sondern Wertungsautomatismus.

Pflege- und Heimkinder: institutionelle Blindstellen

Neuhaus zieht die Perspektive unter die Tat: Was macht Heimerfahrung, was macht Pflege und Abhängigkeit mit Menschen – und wie leicht verwandeln sich Gutachten, Fürsorge-Rhetorik und Hierarchien in Schweigekartelle? „Muttertag“ verhandelt diese Fragen erzählerisch, nicht essayistisch: über Lebensläufe, die brechen, und über Kinder, die lernen, sich zu fügen.

Täter als Nachbar: die perfekte Fassade

Der Roman spielt mit dem Unbehagen, dass Täter nicht an der Stirn zu erkennen sind. Hinter bürgerlicher Routine, guter Arbeit, unauffälligen Freundlichkeiten sitzt jemand, der Planung und Kälte perfektioniert hat. Neuhaus’ Kunstgriff: Wir sehen die Welt durch mehrere Linsen – Ermittlungsarbeit, Opferbiografien, Tätermonologe – und spüren, wie Erzählung (die Fassade) und Wirklichkeit (die Tat) auseinanderdriften. Das erzeugt Spannung, aber auch gesellschaftliche Relevanz: Nicht jeder „Netter von nebenan“ ist nett.

Identität & Herkunft

Fionas Suche nach der leiblichen Mutter ist nicht bloß Nebenstrang, sondern Gegengewicht zum Täter: Hier will jemand die eigene Geschichte verstehen, statt sie anderen aufzuzwingen. Das macht die Collage aus Vergangenheit und Gegenwart emotional tragfähig – und bindet den Fall an die Frage: Wie werden wir zu dem, was wir sind – und was schulden wir einander?

Wenn echte Fälle Fiktion anstoßen

Neuhaus hat öffentlich erklärt, dass die Figur(en) und die Täterlogik von realen Ereignissen mitinspiriert sind – insbesondere vom mutmaßlichen Serienmörder Manfred Seel, dessen Doppelleben erst nach seinem Tod sichtbar wurde. Diese Realreferenz bedeutet nicht, dass „Muttertag“ Fälle nacherzählt; sie erklärt, warum der Roman so präzise die „Fassade“ als Tatwerkzeug zeichnet. Wer den Band liest, versteht besser, wie Institutionen (Familie, Schule, Behörden) überfordert sind, wenn jemand perfekt normal wirkt – und welch lange Halbwertszeit Fehleinschätzungen haben.

Strenge Konstruktion, mehrere Stimmen, hoher Sog

Formal arbeitet Neuhaus mit drei Hauptsträngen (Ermittlungen, Täter-Ich, Fionas Suche) und datumsbasierten Kapiteln, die Zeitsprünge klar markieren. Das nimmt dem Roman die Zufälligkeit; man spürt das Protokollhaftepolizeilicher Arbeit, ohne den Pageturner-Rhythmus zu verlieren. Die Sprache bleibt klar, schnörkellos, die Dialogetragen Ermittlungsfortschritt, Nebenfiguren (Team K11) sind erkennbar, ohne die Bühne zu überfüllen. Kritiken haben genau diese Mischung gelobt: klassischer Krimi in der Struktur, Thriller im zweiten Akt – bis hin zum Finale im Flughafen-Labyrinth.

Für wen eignet sich „Muttertag“?

  • Für Leser, die Ermittlungsrealismus und Thriller-Tempo kombinieren möchten.

  • Für Fans der Taunuskrimis, die nach „Im Wald“ wieder einen Fall mit großem gesellschaftlichem Echo suchen.

  • Für Buchclubs, die über Mutterrollen, institutionelle Verantwortung und Täterforschung diskutieren wollen – die Themen tragen problemlos eine Debatte.

  • Weniger passend, wenn ausschließlich forensische Detailtiefe oder Hardcore-Splatter gewünscht ist; hier steht Psychologie vor Schockästhetik.

Was man aus dem Buch mitnimmt (über den Fall hinaus)

1) Wie Täter Planung als Schutz vor Entdeckung nutzen

Das Motiv Folie–Ertränken–Kühlen wirkt nicht als „Effekthascherei“, sondern als Kontrollritual, das Spurenlage, Zeitfenster und Transport optimiert. Wer True-Crime-Debatten verfolgt, erkennt hier das Muster „Optimierung statt Impuls“ – eine leise, aber wichtige Unterscheidung.

2) Warum „Routinefälle“ selten Routine sind

Der Einstieg über einen vermeintlich einfachen Todesfall zeigt, wie Ermittlungen aufklappen, sobald man quer denkt: alte Vermisstenakte, lokale Legenden, ungeklärte Sozialverläufe. Das trainiert Lesende im besten Sinne: Erst fragen, dann urteilen.

3) Herkunft als Ressource – und Risiko

Fionas Spurensuche liefert eine Gebrauchsanweisung für Identität: Nicht jede Lücke lässt sich schließen, aber jede ehrliche Frage sortiert die Gegenwart. Genau das konterkariert den Tätermythos der „Allmacht“. Der Roman schlägt sich damit klar auf die Seite der Selbstermächtigung.

Stärken & mögliche Schwächen

Stärken

  1. Themenintensität ohne Thesenkeule: Mutterrolle, Pflegekinder, Täterfassade – alles narrativ vermittelt, nicht doziert.

  2. Erzählarchitektur: Die Mehrsträngigkeit trägt die Spannung; der Wechsel von Krimi-Analyse zu Thriller-Druck funktioniert.

  3. Verankerung im Realen: Der Seel-Bezug erklärt die Kälte der Fassade – und macht den Roman gesellschaftlich hellhörig.


Mögliche Schwächen

  1. Härte des Modus Operandi: Das Folien- und Ertränkungsritual ist psychisch belastend; sensible Leser sollten das wissen.

  2. Komplexität im Mittelteil: Die Vielzahl an Biografien kann kurzzeitig wie Überinformation wirken – zahlt sich aber im Finale aus.

  3. Showdown-Dramatik: Das Flughafenfinale liefert hohen Druck, verlangt aber Bereitschaft für großes Kino im Kopf.

Einordnung in die Reihe

„Muttertag“ ist Band 9 der Bodenstein-&-Kirchhoff-/Sander-Reihe. Wer neu einsteigt, kann mit diesem Band beginnen; wer chronologisch lesen will, orientiert sich an der Reihenübersicht (beginnend mit Eine unbeliebte Frau, anschließend Mordsfreunde, Tiefe Wunden, … bis zu den neueren Titeln). Für deine Seite empfehle ich drei Kacheln am Ende der Rezension:

  • „Im Wald“ (Band 8) – thematisch verwandt (Vergangenheit im Taunus, Dorfgeheimnisse)

  • „Muttertag“ (Band 9) – dieser Beitrag

  • „In ewiger Freundschaft“ / „Monster“ (spätere Bände) – aktuelle Ermittlungsdynamik und Teamfortführung

So bleiben Leser im Kosmos und finden die richtige Reihenfolge bequem.

Bonus: Verfilmung kurz notiert

Das ZDF hat den Roman zweiteilig verfilmt („Muttertag – Ein Taunuskrimi“, Regie: Felix Herzogenrath; Erstausstrahlung Februar 2022). Die Adaption setzt stärker auf die Team-Perspektive und strafft Nebenstränge, bleibt im Kern aber beim Thema Fassade. Für Leser, die nach der Lektüre ein Bild wollen, ist das eine solide Ergänzung – die psychologische Tiefe des Buchs sitzt dennoch im Text.

Über die Autorin – Nele Neuhaus

Nele Neuhaus zählt zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Krimiautorinnen; ihre Taunuskrimis erscheinen in vielen Ländern, wiederholt auf Bestsellerlisten. Schauplätze sind Frankfurt und der Taunus, Markenzeichen sind präzise Polizeiarbeit, gesellschaftliche Themen und hoher Spannungszug. Für ihre Nähe zur Polizeiarbeit wurde sie in Hessen ehrenhalber zur Kriminalhauptkommissarin ernannt – symbolisch, aber bezeichnend für die Recherchetreue.

Ein Krimi über den Preis der Fassade

Muttertag“ vereint das, was Neuhaus stark macht: Teamermittlung, gesellschaftliche Blindstellen und ein Gegner, der nicht monströs wirkt, bis man die Mechanik versteht. Der Roman ist hart, aber nicht sensationslüstern; komplex, aber klar gebaut. Wer Krimis liest, um Strukturen zu begreifen – Familie, Institution, Öffentlichkeit – findet hier ein sehr gutes Beispiel. Empfehlung, gerade weil es wehtut, wo es soll.



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