Man kann Denis Scheck vieles vorwerfen – Einseitigkeit gehört selten dazu. In der aktuellen Ausgabe der Sendung Druckfrisch, einer Koproduktion von MDR, BR, HR, NDR und WDR (veröffentlicht am 16. Oktober 2025 beim MDR), hat der Kritiker das literarische Panorama des Herbstes kartiert. Ort des Geschehens: die Frankfurter Buchmesse. Ergebnis: eine Liste, die zwischen Graphic Novel, Lyrikband und Kriminalroman schwankt wie ein Leser auf der Suche nach Halt in der Vielfalt.
Zwischen Goldstrand und Wutsternen: Die Romane
Die Romanliste liest sich wie eine Reise durch die geopolitische und psychologische Landschaft Europas. Alhierd Bacharevič eröffnet mit Europas Hunde (Voland & Quist) den Kanon – ein Titel, der bellt und vielleicht auch beißt. Georgi Gospodinov ist gleich doppelt vertreten (Der Gärtner und der Tod, Zeitzuflucht), was auf literarische Überversorgung oder nachhaltige Relevanz hindeuten könnte.
Dorothee Elmiger (Die Holländerinnen) und Anja Kampmann (Die Wut ist ein heller Stern) liefern Titel, die nach poetischem Ernst klingen, während Christian Kracht mit Air wie gewohnt auf Pop, Pose und Präzision setzt. Dass Martin Mosebach (Die Richtige) und Hanns-Josef Ortheil (Schwebebahn) sich wieder auf altvertrauten Erzählpfaden bewegen, überrascht wenig – es wäre beunruhigender, wenn sie es nicht täten.
Gezeichnete Biografien und andere Spuren
Im Bereich Comic und Graphic Novel sticht Ulli Lust mit Die Frau als Mensch hervor – ein Titel, der mehr über das Genre als über das Geschlecht sagt. Nicolas Mahlers Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie (Suhrkamp) dürfte dagegen vor allem bei jenen Anklang finden, die ihren Nihilismus gerne mit Ironie gewürzt lesen.
Lyrik: Der Große Wagen rollt weiter
Silke Scheuermann (Das zweite Buch der Unruhe) und Nadja Küchenmeister (Der Große Wagen) schreiben Gedichte – was per se schon ein Statement ist. Dass sie damit auch auf dieser Liste stehen, mag als Zeichen gelten, dass die Lyrik im Literaturbetrieb weiterhin ein Randphänomen mit gelegentlichem Bühnenlicht bleibt.
Fantasy, Krimi, Kochbuch: Das Feuilleton lässt grüßen
Peter S. Beagle (Ich fürchte, ihr habt Drachen) bringt die Fantasy zurück ins Literaturgespräch – wohldosiert, augenzwinkernd. Ursula Poznanski (Erebos 3) und Ian McEwan (Was wir wissen können) stehen im Thriller-Segment, wobei letzterer einmal mehr den schmalen Grat zwischen Erkenntnistheorie und Spannungsliteratur beschreitet.
Die Kategorie Kochbuch darf nicht fehlen – und bleibt mit Kafkas Kochbuch (Gritzmann/Scheck, Klett-Cotta) zwischen Konzeptkunst und Rezeptkultur eigentümlich schillernd. Man kann darüber streiten, ob Franz Kafka sich über Spinatstrudel geärgert hätte – über die Instrumentalisierung seiner Existenz sicher.
Sachbücher: Sprache, Antike und der ganz normale Wahnsinn
Laura Spinney erklärt in Der Urknall unserer Sprache, wie das Denken zu sprechen lernte – oder umgekehrt. Und wer Geschichte lieber blutig mag: Michael Sommer und Stefan von der Lahr liefern mit Die verdammt blutige Geschichte der Antike einen Titel, der weder auf Eleganz noch auf Zurückhaltung setzt. Das ist immerhin konsequent.
Kunst & Reise: Otto malt, Ré erinnert
Otto Waalkes zeigt in Kunst in Sicht, dass auch Komiker den Pinsel führen dürfen. Ob das reicht, um Kunst zu sein, bleibt wie immer im Auge des Betrachters. Ré Soupault (Überall Verwüstung. Abends Kino) liefert hingegen ein Reisebuch mit melancholischer Eleganz – ein Rückblick auf Zeiten, in denen Welt noch anders gedacht wurde.
Empfehlenswert – mit Vorbehalt
Diese Liste ist keine Kanonbildung, sondern ein kuratierter Querschnitt durch den Literaturbetrieb des Herbstes. Was sie zeigt: Vielfalt ist vorhanden, Orientierung bleibt nötig. Denis Scheck liefert wie gewohnt eine Auswahl, die Bekanntes bestätigt und Neugier weckt – in wechselnder Gewichtung.
Einige Bücher werden sich als wichtig erweisen, andere als geschickt platziert. Wer Literatur nicht nur konsumieren, sondern verstehen will, wird ohnehin nicht umhinkommen, selbst zu lesen – und sich eine eigene Meinung zu bilden. Was bleibt? Ein Anfang. Mehr sollte eine Buchmesse nie sein wollen.
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