Tag 3 beim Bachmannpreis 2025:

Vorlesen

Am dritten Tag des Bachmann-Wettlesens in Klagenfurt zeigte sich das Feld der Favoriten deutlich konturierter. Bei sommerlicher Hitze und beständigem Publikumsandrang im schattigen Park lasen Nora Osagiobare, Almut Tina Schmidt, Tara C. Meiste und Boris Schumatsky – vier sehr unterschiedliche Texte, die jeweils eigene Schwerpunkte setzten. Osagiobare überzeugte mit einem gesellschaftssatirischen Text über Väter, Fernsehen und Verantwortung. Almut Tina Schmidt beobachtete das Nebeneinander in einem Mietshaus mit ruhiger Präzision. Tara C. Meiste verknüpfte biografische Elemente mit queerer Identität und Körpererinnerung. Boris Schumatsky ließ Kindheitserinnerungen aus dem postsowjetischen Raum in einer klaren, bildstarken Sprache aufscheinen.

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Kindheitsbenzin – Boris Schumatsky

Kindheitsbenzin – Boris Schumatsky erzählt in seinem Bachmann-Text von einer Reise nach Moskau, die zugleich Flucht, Rückkehr und literarische Selbstvergewisserung ist. Der Erzähler sitzt im Flugzeug, mit einer Pentobarbital-Tablette in der Hosentasche – zur Sicherheit, falls man ihn verhaften sollte. Der Flug wird zur Reflexion über Herkunft, Sprache, politische Angst und familiäre Entfremdung.

Im Zentrum steht die Beziehung zur Mutter, die in einer Welt lebt, in der Wörter wie „Putin“ oder „Beerdigung“ aus Furcht nicht mehr ausgesprochen werden. Die russische Sprache selbst wird zur Bedrohung – und bleibt doch das Mittel, in dem sich Wahrheit sagen lässt. So steht der Flug auch für den Versuch, genau das auszuhalten: zwischen Erinnerung und Gegenwart, zwischen zwei Sprachen, die sich nicht auflösen lassen.

Ein dichter, vielschichtiger Text über Herkunft, Schuld, Sprache – und die Hoffnung, trotz allem noch anzukommen.

Tara C. Meiste: Wakashu

Tara C. Meister legt mit „Wakashu“ einen Text vor, der sich nichts Geringeres vornimmt, als die Versprachlichung des Unaussprechlichen: Nähe, Schmerz, weibliche Körpergeschichte. Ausgehend vom Bild eines verletzten Rehkitzes entfaltet sich eine Prosa, die mehr tastet als erzählt, mehr andeutet als erklärt – ein Text, der sich selbst misstraut und genau darin seine Kraft entfaltet.

Die Sprache ist poetisch, aufgeladen, von Wiederholungen durchzogen, die wie Atemzüge wirken. Einmal aufgeladen mit ruraler Körperlichkeit, dann wieder schwebend im Raum des Erinnerns und Verschweigens. Es geht um Begehren, um kindliche Verletzungen, um das schwierige Terrain zwischen Anfassen und Berühren – und um die Frage, was eine neue Sprache leisten kann, wo die alte nur noch Narben kennt.

Meisters Text ist ambitioniert, ja, zuweilen fast überambitioniert, doch nie beliebig. Er verlangt seiner Leserschaft einiges ab, bietet im Gegenzug jedoch eine Stimme, die konsequent ihren eigenen Ton sucht. Dass sich nicht alles restlos fügen will, gehört dazu – wie das Kitz, das nie ganz gesund wird. Und das ist vielleicht das berührendste an diesem Text: dass er nichts glättet,

Almut Tina Schmidt „Fast eine Geschichte“

Nichts drängt sich auf in diesem Text, nichts will zu viel. Almut Tina Schmidt erzählt in Fast eine Geschichte mit ruhiger, fast beiläufiger Stimme von Nachbarschaft, von Elternschaft, von Überforderung und dem diffusen Versuch, Nähe zuzulassen, ohne sich selbst zu verlieren. Es gibt keinen Plot im klassischen Sinne, keine Zuspitzung, keine dramatische Enthüllung – und gerade darin liegt die Kraft.

Der Text bewegt sich in einem ruhigen, fast trägen Rhythmus, wie ein Fluss, der sich durch Innenhöfe, Elbwiesen und Küchenumbauten schlängelt. Das Erzählen ist zurückgenommen, lakonisch, oft zögernd. Die Protagonistin beobachtet mehr, als dass sie handelt; sie tastet sich durch ihr Leben, durch Begegnungen mit Martina, Alex, Sibylle und anderen, deren Geschichten sich nie ganz erschließen, aber dennoch nachwirken.

Es ist eine Literatur der leisen Übergänge. Der Ton bleibt unaufgeregt, fast flach – was man leicht übersehen kann, aber nicht sollte. Denn genau darin liegt die Genauigkeit: in der Art, wie kleine Gesten, Blicke, Zufälle sich verdichten, wie die Verhältnisse zueinander sich kaum merklich verschieben. Was wie Zufall wirkt, ist mit feinem Gespür gesetzt.

Schmidts Sprache ist unprätentiös, manchmal spröde, aber nie distanziert. Sie nimmt sich zurück, um ihren Figuren Raum zu lassen – ein stilles Erzählen, das sich bewusst weigert, Dinge zuzuspitzen. Wer sich auf diesen Rhythmus einlässt, wird belohnt mit einer Form der literarischen Achtsamkeit, die selten geworden ist. Ein Text, der nicht beeindrucken will – und es gerade deshalb tut.

Nora Osagiobare: „Daddy Issues“

Ein Reality-Format, das Väter vor die Wahl stellt: Geld oder Kind. Das klingt erst nach kalkulierter Provokation – und ist es auch. Doch der Text „Daddy Issues“ lebt nicht vom Tabubruch, sondern von der darunterliegenden Bruchstelle. Denn was hier als „Pitchen“ durchgeht, ist in Wahrheit das Aufzeichnen einer Schuldspur – nicht laut, nicht pathetisch, sondern über einen Text, der so klingt, wie man heute eben klingt, wenn man viel ironisch meint und wenig ironisch leidet.

Die Sprache ist schnell, sarkastisch, durchsetzt mit umgangssprachlichen Eindeutschungen, die wie ungewollte Stolperer wirken („gepitcht“, „abgefuckt“, „Grip“). Man hört den Text beim Lesen – nicht wie ein Gedicht, sondern wie einen inneren Monolog zwischen Afterhour und Aufräumkater. Dabei schiebt sich das Drama immer wieder ungewollt ins Bild: die Erinnerung an den Vater, der niemals für eine Million gegangen wäre, die Beschämung über den eigenen moralischen Ausverkauf, die zu einem TV-Konzept mutiert. Hier wird erzählt, was man anderen zumutet, weil man sich selbst nichts mehr zumuten kann.

Was dieser Text klug macht: Er tarnt die Erschöpfung hinter einer Oberfläche aus Dialogen, schnellen Schnitten, Situationswitz. Aber irgendwann bleibt das Lachen stecken. Und dann steht da plötzlich dieser Vater mit dem Gesicht im Flur – und es ist eben kein Sendungskonzept, sondern ein Stück Wahrheit, das sich nicht wegformatieren lässt.


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