"The Shards" Bret Easton Ellis: Yuppis, Drogen, Mord und Totschlag

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Dreizehn Jahre nach Erscheinen von "Imperial Bedrooms" legt der US-amerikanische Autor Bret Easton Ellis nun einen neuen, verheißungsvollen Roman vor. Wie bereits in Ellis´ damals als Skandalsbuch gehandeltem Werk "American Psycho", sehen wir uns in "The Shards" mit Lebensentwürfen konfrontiert, deren Überdruss maßgeblich auf eine alles verschlingende Konsumgesellschaft zurückzuführen ist. Und wieder brütete das Grauen im Privileg...

In "The Shards" finden die großen Themen des US-amerikanischen Autors Bret Easton Ellis zusammen. Darüber hinaus wird ein Sujet bedient, welches in den bisherigen Romanen nur am Rande aufblitze. Bild: Kiepenheuer & Witsch

Es gibt Autoren, die ihre Themen suchen müssen. Sie ziehen durch fremde Länder, setzen sich dem Unbekannten aus, wühlen in fernen Kulturen und sprechen mit Menschen, in deren Lebensgeschichten sich aufregende, unvorstellbare Wendungen finden lassen. Mit Notizen und Eindrücken bepackt geht es dann an den heimischen Schreibtisch, wo eine Art Sezierarbeit beginnt und man sich vermeidlich fremde Wort für Wort, Satz für Satz aneignet. Diesen Autoren gegenüber lassen sich jene Schriftsteller finden, die von ihrem Thema heimgesucht wurden. Angeflogen von etwas Unbestimmtem - nicht selten in der Kindheit zu lokalisieren -, beginnen sie damit, Klarheit zu schaffen, Schichten abzutragen, in sich zu wühlen. Einer dieser Schriftsteller ist der US-amerikanische Autor Bret Easton Ellis. Sein Versuch, das wabernde Unbestimmte in sich ausfindig zu machen, hat diverse Themenkomplexe hervorgebracht, die sich - wie sollte es anders sein - auch in seinem nun erscheinenden neuen Roman "The Shards" wiederfinden lassen: Die quälende Langeweile, die zum Überdruss führt. Der Konsum als Kompensationsmethode. Die furchtbaren Abgründe, die sich dort auftun, wo der Konsum nicht mehr genügt.

"The Shards"... was bisher geschah

Blicken wir auf Ellis´ Debütroman "Unter Null" und den sechs Jahre später erschienenen Skandalbuch "American Psycho", so können wir im Falle von "The Shards" von einer Konklusion der in diesen Büchern behandelten Themen sprechen. "Unter Null" erzählte von den Kindern reicher, gelangweilter Eltern, die keinen Lebenssinn finden zwischen Partys, Drogen und Sex. Selbst die Gewalt als letztes kick-versprechendes Element befriedigt sie nicht. In "American Psycho" wird diese aus zügellosem Konsum geborene Gewalt auf die Spitze getrieben. Verkörpert von dem intelligenten, gut aussehenden, smarten Patrick Bateman, der tagsüber in seinem Wall-Street-Büro sitzt und seinen Reichtum vervielfacht, bevor er Nachts um die Häuser zieht und Frauen ermordet. In "The Shards" haben wir es nun mit gelangweilten High-Class-PrivatschülerInnen auf der einen, und mit einem Serienkiller auf der anderen Seite zu tun. Dazu kommt jedoch ein Element, das Bret Easton Ellis bisher nur in Interviews, nicht aber in der Belletristik verarbeitet hat: Die Homosexualität.

Sammelsurium der Belanglosigkeit

"The Shards" spielt im Jahr 1981. Im Mittelpunkt steht der 17-jährige Bret Ellis, der grade seinen Abschluss an der Buckley Prep School macht, einer Privatschule, dessen Schülerinnen und Schüler aus entsprechend wohlhabenden Elternhäusern kommen. Eine typischer Ellis-Topos, der das Grauen bereits ankündigt. Doch bevor gefoltert, entstellt und gemordet wird, werden irrsinnig teure Autos vor der Privatschule geparkt, Markenklamotten getragen und über Sex, Partys und Drogen gesprochen. Ein Sammelsurium der Belanglosigkeit, wie es nur ein System hervorbringen kann, dessen Marktlogik Warenproduktion darauf ausgerichtet ist, niemals vollständig zu befriedigen. Das eine solches System früher oder später in Zerstörung umschlagen muss, zeigt Ellis auch hier wieder fabelhaft.

In dieser bislang noch gediegenen Belanglosigkeit stößt mit Robert Mallory plötzlich eine neuer Schüler, der wie die etwas jüngere Form des "American Psychos" Patrick Bateman daherkommt. Intelligent, gutaussehend, charismatisch. Unser Erzähler Bret ist allerdings davon überzeugt, dass Robert ein düsteres Geheimnis hütet. Bald glaubt er in ihm den "Trawler" zu erkennen, einen Serienkiller, der für das Verschwinden von drei Mädchen verantwortlich ist, die gefoltert und grausam entstellt aufgefunden wurden. Zugleich fühlt sich Bret zu dem neuen Schüler hingezogen, lässt ihn bald nicht mehr aus den Augen, steht aber auch selbst unter ständiger Beobachtung.

Das Verliebtsein als Antagonismus

Mit Bret liefert uns Ellis einen äußerst unzuverlässigen Erzähler, der in der Geschichte, die er hier rückblickend rekonstruiert, so tief involviert ist, dass wir immer wieder den Wahrheitsgehalt seines Berichtes in Frage stellen müssen. Nicht zuletzt ist es die Liebe, die Kraft des Verliebtseins, die hier die Tatsachen verwischen könnte. Mit dieser Liebe aber stellt der Autor dem High-Class-Wahnsinn und seiner Verachtung für die Oberschicht ein Sujet gegenüber, welches "The Shards" letztlich zu den wohl harmlosesten Roman macht, der bisher aus Bret Easton Ellis´ Feder geflossen ist. Jedoch: Wo Rohheit, Grauen und Verachtung vom Autor zurückgehalten werden, entsteht Platz für bislang vernachlässigte Themen. Diese zu bespielen hat sich Ellis hier getraut, und damit nicht nur harmloseste, sondern zugleich das größte und nachhaltigste Buch seines Oeuvres geschrieben.


Bret Easton Ellis - "The Shards" / Kiepenheuer & Witsch / 2023 / 736 Seiten / 28 €

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