Riechen Wer hat schon das Leben, das er sich wünscht?

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Plötzlich ist die Sonne da. Die Bäume stehen noch unanständig nackt herum, aber die Menschen treten aus den Häusern, halten ihre Gesichter und Arme zum Licht hin und lächeln. So auch ich! Gehe durch den Park, ziehe Frühlingsluft durch die Nase ein und... rieche Waschmittel! Ein scharfer Geruch, Übelkeit hervorrufend und von Menschen ausgehend, die mit einigem Abstand vor mir schreiten. Fast so schlimm wie Mundgeruch! Haben die denn keine Nasen?

\"Ich will Musik, will Spiel und Tanz, will dass man sich wie toll vergnügt\", sang einmal der Barde Klaus Hoffmann und ich schließe mich ihm an. Illustration © Yvonne Kuschel

Sind ihre Sinne durch den ständigen Gebrauch von stark parfümierten Pulvern zerstört? Wenn man bedenkt, dass die füreinander bestimmten Wesen von ihrem körpereigenem Duft angezogen werden, wie soll das geschehen, wenn dieser von chemischen Dünsten dermaßen überlagert wird?

Will die Waschmittelindustrie verhindern, dass Menschen zueinander finden? Handelt sie etwa im höheren Auftrag, der die Menschheit auf diese Weise ausrotten will?

Aber vielleicht verfallen schon Kinder im Babyalter dem Waschmittelodeur, den ihre Eltern verströhmen und finden gar diesen Duft ihr Leben lang schön? Ähnlich der Vorliebe brustgestillter Kinder für Vanille?

Also wird sich die Menschheit wahrscheinlich weiter vermehren, nur ob die Paare eine dauerhafte Beziehung zustande bringen, das bezweifle ich stark. Liebe macht blind und dumm und sicher verstopft sie dem einen oder anderen auch die Nase, zumindest in den berühmten ersten drei Monaten. Anders kann ich mir das nicht erklären, wie man sich in jemanden, der so penetrant stinkt, verlieben kann.

Es ist schon lange her, da lebte ich für kurze Zeit mit zwei musizierenden Rauchern in einer Wohngemeinschaft. Einer von ihnen verliebte sich in mich und ich auch in ihn. Wahrscheinlich, weil er so vertraut nach meinem Elternhaus roch. Als er sieben Jahre später das Rauchen erfolgreich aufgegeben hatte (denn das Tuba-Spielen litt unter der Raucherei zunehmend), stellt er fest, dass er mich nicht mehr riechen mochte. Das erfreuliche an der Geschichte war, dass er seinen Geruchs- und Geschmackssinn vollends wieder erlangte. Er veränderte sein Leben und heute ist er ein gefragter Sommelier. Und Lebemann! (Mein Leben veränderte sich ebenfalls, erst zum Schlechteren, dann zum Besseren.)

Es gibt Menschen, die allergisch auf chemische Düfte reagieren, manche von ihnen sind sogar dazu verdammt, auf einsamen Inseln in der Nordsee zu wohnen, um gesundheitsgefährdenden Duftattacken ihrer Mitmenschen zu entgehen. Warum ist so viel Gestank erlaubt? Ich selbst bevorzuge geruchsfreie Kosmetika und würde mir wünschen, diese nicht immer wie eine Nadel im Heuhaufen suchen zu müssen. Das Leben wäre sicher nicht nur für mich angenehmer.

Aber wer hat schon das Leben, das er sich wünscht? Mit Wüschen sollte man eh äußerst vorsichtig umgehen. Der Zeichner TOM hat die Gefahr, die dabei lauert wunderbar in einem Touchè-Cartoon anschaulich gemacht: Einem Mann erscheint eine gute Fee und sagt “Du hast einen Wunsch frei, aber mach schnell”. Der Mann ist clever und sagt “Ich wünsche mir immerzu neue Wünsche, hähä!” Schwupp! Der Mann wurde in einen Wunschbrunnen verwandelt, sicher für den Rest seines Lebens. Für die Fee war der Job bestmöglichst erledigt, sie war natürlich auf Nimmerwiedersehen verschwunden. So kann es einem ergehen, also wollen wir zufrieden sein mit dem, was wir sind und haben, oder?

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