Fritz Honka, einer der berüchtigtsten Serienmörder Deutschlands, ist Zentrum und Ausgangspunkt von Heinz Strunks Roman „Der Goldene Handschuh“. Doch Strunk liefert kein klassisches True-Crime-Buch, sondern eine literarische Rekonstruktion des Schreckens, eingebettet in eine beklemmende Milieustudie. Die Morde erscheinen darin nicht als spektakuläre Verbrechen, sondern als beinahe logische Konsequenz eines Lebens, das von Elend, Alkohol, psychischer Verwahrlosung und sozialer Isolation geprägt ist.
Der Goldene Handschuh – Heinz Strunks literarisches Porträt eines Serienmörders und seines Milieus
Wer war Fritz Honka?
Honka führte ein unauffälliges Leben am Rand der Gesellschaft. Tagsüber Gelegenheitsarbeiter, abends stummer Gast in der heruntergekommenen Kiezkneipe „Zum Goldenen Handschuh“, nachts Serienmörder. Zwischen 1970 und 1975 tötete er vier Frauen, zerstückelte ihre Leichen und versteckte die Überreste in seiner Dachgeschosswohnung in Hamburg-Ottensen.
Der beißende Geruch aus seiner Wohnung wurde jahrelang ignoriert oder von ihm selbst mit Duftbäumchen zu überdecken versucht – ein groteskes, geradezu literarisch perfektes Detail, das zum Symbol seiner Verdrängung wurde. Erst ein Feuer brachte seine Taten ans Licht – und Honka wurde verhaftet.
Die Kneipe als Seelenlandschaft – „Der Goldene Handschuh“ als Ort und Metapher
Die titelgebende Kneipe, Strunks zentraler Schauplatz, ist ein Ort, an dem sich die letzten Reste menschlicher Gesellschaft sammeln. Alkoholikerinnen, Kriegskrüppel, vereinsamte Witwer, abgerissene Existenzen – sie alle finden im „Goldenen Handschuh“ Zuflucht. Strunk beschreibt diese Parallelwelt mit einer Intensität, die man fast riechen kann.
Die Körper stinken, die Sätze brechen ab, die Zähne fehlen. Und genau in dieser Umgebung bewegt sich Fritz Honka. Die Kneipe wird zu seinem Jagdrevier – einem Ort, an dem Frauen nicht mehr begehrt, sondern nur noch benutzt, verlassen oder vergessen werden.
Fritz Honka – Täter oder Endpunkt eines Systems?
Strunks Roman zeichnet Fritz Honka nicht als geniales Monster oder sadistischen Strippenzieher. Vielmehr zeigt er ihn als Produkt einer kalten Gesellschaft. Honka ist klein, vernarbt durch einen Unfall, sprachlich eingeschränkt, isoliert. Seine Kindheit war geprägt von Gewalt, Ablehnung und institutionellem Versagen. Seine Beziehungen – wenn man sie so nennen kann – sind von Gewalt, Ohnmacht und Alkohol geprägt.
Strunk stellt nie die Frage, ob Honka ein Opfer ist – aber er zeigt, dass er ohne seine Biografie, seine Umgebung und seine soziale Verwahrlosung nicht zu dem geworden wäre, was er war: ein Mörder, dessen Taten fast beiläufig erscheinen in einem Leben, das längst zerbrochen ist.
Lakonik als Stilmittel des Grauens
Strunks Stil ist trocken, genau, dokumentarisch. Seine Sprache untertreibt – und wirkt gerade dadurch umso brutaler. Die Dialoge sind meisterhaft komponiert, voller Taktgefühl und dramaturgischer Präzision. Dabei wirken sie niemals stilisiert – sondern als wären sie direkt einem Tonband entnommen.
Strunk trifft den Hafenarbeiter-Slang der 1970er Jahre so sicher, dass jede Figur ihre eigene sprachliche Identität bekommt. Dieses Sprachbild ist zugleich Milieuzeichnung, Psychogramm und ein weiterer Ausdruck der allgemeinen Verwahrlosung.
Die Morde – angedeutet, aber allgegenwärtig
Strunks kluge Entscheidung: Die Morde selbst treten in den Hintergrund. Es gibt keine expliziten Tötungsszenen, kein voyeuristisches Auswalzen der Gewalt. Vielmehr entsteht der Schrecken aus dem psychologischen Kontext – aus dem Gedränge, dem Alkohol, dem sich wiederholenden Sog der Hoffnungslosigkeit.
Dass die erste Leiche bereits in der Wohnung liegt, wenn die Geschichte beginnt, ist kein dramaturgischer Trick, sondern ein Statement: Die Tat war nie der Beginn, sondern eine Folge – das eigentliche Grauen liegt im Davor.
Der zweite Erzählstrang – Kontrastreiche Spiegelung
Parallel zur Hauptgeschichte um Honka erzählt Strunk von einer wohlhabenden Hamburger Reederfamilie – einer Welt, die äußerlich völlig konträr wirkt, innerlich jedoch ebenso leer, dekadent und orientierungslos erscheint.
Die Parallelführung ist literarisch geschickt: Beide Welten zerfallen – nur dass in der einen Champagner getrunken und in der anderen Fusel gekippt wird. Der moralische Verfall kennt keine Standesgrenzen.
Hörbuch & Verfilmung – Starke mediale Ergänzungen
Das von Heinz Strunk selbst eingelesene Hörbuch hebt die Wirkung der Dialoge noch einmal hervor. Der lakonische, fast emotionslose Vortrag des Autors verleiht dem Text zusätzliche Authentizität und wirkt fast wie ein dokumentarisches Protokoll.
Die Verfilmung von Fatih Akin (2019) setzt auf visuelle Drastik. Sie betont das körperlich Ekelhafte, das Obszöne – und wurde deshalb kontrovers aufgenommen. Einige Kritiker lobten die Wucht, andere warfen Akin Effekthascherei vor. Doch eines ist sicher: Der Film hat Strunks Roman wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt.
Warum True-Crime-Fans hier trotzdem richtig sind
Auch wenn Strunks Roman kein klassisches True-Crime-Buch ist – er bedient die psychologische Neugier vieler Leser:innen. Er zeigt, wie Täterbiografien entstehen, wie Gesellschaften verdrängen, wie Gewalt schleichend wird.
Strunks Stärke ist es, keine Antworten zu geben, sondern den Leser mit Fragen zurückzulassen – über Schuld, Scham, Ignoranz und soziale Kälte.
Ein Porträt des Schreckens ohne Posen
„Der Goldene Handschuh“ ist ein literarischer Schlag in die Magengrube. Strunk beschreibt nicht nur einen Serienmörder, sondern eine Gesellschaft, die ihre schwächsten Glieder ignoriert – bis sie töten.
Der Roman ist atmosphärisch dicht, sprachlich brillant, moralisch fordernd. Er ist unbequem – aber notwendig. Für Leser:innen mit Interesse an True Crime, deutscher Nachkriegsgesellschaft und sprachlich eindringlicher Literatur ein Pflichttext.
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