Leben mit der Baustelle Visuelle Entspannung

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Um die Anwohner freundlicher zu stimmen, hat der Bauherr der benachbarten Großbaustelle eine Idee gehabt, die auf den ersten Blick nicht uninteressant scheint, die Anwohner aber spaltet: in die weibliche und die männliche Fraktion.

Ein Peep-Show-Zaun wäre vielleicht angebrachter gewesen. Illustration © Yvonne Kuschel / yvonne-kuschel.de

WOW! rufen die Damen und vergessen sofort (wenn auch nur für wenige Augenblicke) den Staub, die extrem schlimme Lärmbelastung von 7 Uhr früh bis 20 Uhr am Abend und den durch die Bauarbeiten verursachten chronischen Mangel an Parkmöglichkeiten.

Plötzlich wiegen die vollen Einkaufstüten nicht mehr ganz so schwer, die nicht nur von der Hitze erschöpften Körper gewinnen an Spannung und die Hüften erinnern sich an den verführerischen Schwung, zu dem sie beim Gehen im Stande sind.

Die Männer aber sacken zusammen und schleichen in die Hauseingänge und schimpfen auf den ganzen Dreck, haben die Nasen voll und zanken mit ihren Frauen.

Was ist geschehen?

Die schrecklichste aller Baustellen engagierte einige junge, muskulöse, braungebrannte Männer, die in der vordersten Reihe (wie Zwerge im Vorgarten oder käufliche Damen in Schaufenstern des Amsterdamer Rotlicht-Milieu) nahe des immerzu verdreckten Bürgersteiges (nur durch einen Drahtzaun von den Passanten getrennt) mit nackten Oberkörpern so tun, als würden sie arbeiten. Wobei die Arbeit darin zu bestehen scheint, dass sie die Muskulatur spielen lassen und die vorbeigehenden Damen (egal welchen Alters) von der Seite wie zufällig freundlich anblicken, natürlich ohne zu pfeifen, das wäre zu vulgär.

Die Damen überfällt, einer erfrischenden Brise gleich, der Anblick der Bauarbeiter (keine Bauarbeiter wie aus dem Bilderbuch für Kinder, eher wie Models aus einem Katalog für Berufsbekleidung mit erotischen Touch) und zaubert kleine Lächeln auf ihre Lippen.

Ich stelle mir vor, wie diese Prachtexemplare gecastet wurden: die körperliche Größe war wichtig (denn die Männer sollen in einem ca 60 cm tiefen Graben agieren und dennoch gut sichtbar sein), dann die makellose Bräune, volles Haar, weiße und gesunde Zähne, gute Ausstrahlung und nicht zuletzt ein sexy Hintern, der ein Maurer-Dekoletté verträgt.

Die anderen Bauarbeiter, die wir Nachbarn seit langer Zeit in der Erde wühlen sehen, sind mittlerweile auch braun gebrannt, doch ihre Körper sehen eher verkrümmt und verbraucht aus, die Arme sind drahtig und voller Narben, manchmal tätowiert, die Bekleidung nicht sexy. Keiner von ihnen arbeitet mit bloßem Oberkörper, wegen der allzeit drohenden Verletzungsgefahr.

Die frische Brise, die sich der Bauherr für die Anwohnerinnen ausgedacht hat (oder besser gesagt der Sand, den er den Zermürbten in die Augen streut), bringt leider nur für sehr kurze Zeit eine Linderung... Zu Hause angekommen, sind die Vorzeigekerle angesichts des Baustellenlärms, der selbst bei geschlossenen Fenstern in die Wohnungen eindringt, sofort vergessen.

Mein Mann sagt, letzte Woche sah er auf dem Baugelände eine auffällige Baggerführerin, aber er erinnert sich nicht, ob sie oben ohne in der Führerkabine agierte.

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