Was passiert, wenn ein promovierter Arzt die Medizin als Bühne benutzt? Eckart von Hirschhausen beantwortet das mit „Die Leber wächst mit ihren Aufgaben – Komisches aus der Medizin“: ein pointiertes Sammelbuch aus Kolumnen, Bühnenminiaturen und Alltagsbeobachtungen, veröffentlicht bei Rowohlt. Der Band wurde 2008 zum Longseller und machte Hirschhausen zusammen mit seinem Nachfolgetitel „Glück kommt selten allein…“ zu einem der meistgelesenen deutschsprachigen Sachbuchautoren jener Jahre. Statt wissenschaftlicher Strenge liefert das Buch Alltagsphysiologie mit Cabaret-Gewürz – und erklärt ganz nebenbei, warum Humor eine ernsthafte medizinische Ressource sein kann.
„Die Leber wächst mit ihren Aufgaben – Komisches aus der Medizin“ von Eckart von Hirschhausen
Handlung von „Die Leber wächst mit ihren Aufgaben – Anekdoten, Alltagsphysik und ein „Erratum“
Das Buch ist keine lineare Abhandlung, sondern eine Sammlung: kurze Texte über Bahnfahren, Arztpraxen, Placebos, Fitnesswahn, Ernährungsmärchen, Wartezimmer-Welten und unsere neurotische Beziehung zu Gesundheit. Immer gleich gebaut: Eine alltägliche Beobachtung trifft auf den diagnostischen Blick des Arztes – und endet als Pointe mit Erkenntnisspur. Typische Beispiele sind die Idee, man müsse Kindern Gemüse „verbieten“, damit sie es lieben, oder der humorige Hinweis, dass die Löcher im Käse „dick machen“ – Wortspiele als Stachel gegen Denkfaulheit. Wichtig: Hirschhausen deklariert sein Buch nicht als Lehrwerk. Im Anhang gibt es sogar ein „Erratum“ – nachgelagerte Richtigstellungen, falls eine Pointe der Präzision im Weg stand. Der rote Faden ist also Absichtslosigkeit als Methode: medizinischer Alltag, neu beleuchtet, ohne wissenschaftlichen Anspruch auf Vollständigkeit.
Warum Humor in die Hausapotheke gehört
1) Medizin als Alltagskultur
Hirschhausen zeigt, wie medizinische Denkfiguren unser Leben strukturieren: Von Fitness-Glaubenssätzen über Ernährungsmythen bis zur Sucht nach „Optimierung“. Der Witz demontiert die Pose – und macht Selbstbeobachtungmöglich.
2) Das Placebo der guten Geschichte
Eine gut erzählte Geschichte kann Blickwinkel verschieben. Das Buch arbeitet mit metaphorischer Medizin: Der Lacher löst Spannung, öffnet kurz das Fenster – und lässt neue Gewohnheiten hinein. Nicht als Therapie, aber als kognitives Schmerzmittel.
3) Fehlerfreundlichkeit
Das vielzitierte Erratum hält eine doppelte Botschaft: (a) Humor braucht Freiheit, (b) Fakten verdienen Korrektur. Diese Kultur der selbstironischen Richtigstellung ist – gerade im Gesundheitsdiskurs – wohltuend.
4) „Die Leber wächst…“ als Leitmetapher
Der Titel ist ein Kalauer mit Kern: Organe reagieren auf Belastungen; wir verwechseln das gern mit grenzenloser Belastbarkeit. Das Buch spielt mit diesem Missverständnis – wer lacht, merkt: Anpassung ist nicht endlos, Maß ist Medizin.
Zwischen Gesundheitswahn und Gelassenheit
2008 stand das Thema „Gesund leben“ schon mit beiden Füßen im Mainstream: Diäten, Selbstoptimierung, funktionales Essen. Hirschhausen setzt eine entkrampfende Gegenstimme: weniger Dogma, mehr heiteres Körperwissen. Dass der Autor Arzt, Moderator und Kabarettist ist, macht den Ton tragfähig: Er darf lachen mit den Patienten, nicht über sie. Gleichzeitig prägte Hirschhausen den Diskurs über Humor in Pflege & Klinik (Stiftung Humor hilft Heilen, 2008), später verlagerte er Teile seines Engagements auf Klimaschutz als Gesundheitsschutz – ein Bogen, der erklärt, warum seine populären Bücher nie bloß Gag-Sammlungen sind, sondern Zugang zu größeren Zusammenhängen.
Kolumne, Kabarett, Klinikflur
Der Stil ist leichtfüßig: kurze Kapitel, viele set-up/Payoff-Momente, sprechende Bilder. Die Pointe steht im Vordergrund, doch wer hinschaut, erkennt didaktische Raffinesse: Laienverständlichkeit ohne Jargon, vereinfachend, aber selten simplifizierend. Der Sound ist der eines Bühnenmenschen, der weiß, dass Aufmerksamkeit die knappe Ressource ist. Das macht das Buch zugänglich, obgleich Puristen eine strengere Belegkultur vermissen werden – was der Autor ja selbst (im Anhang) ironisch rahmt.
Zielgruppe – Für wen eignet sich das Buch?
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Neugierige ohne medizinisches Vorwissen, die lachen wollen und hinterher klüger sind.
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Pflege-/Medizinstudierende, die erleben möchten, wie Wissensvermittlung auch klingen kann – niedrigschwellig, respektvoll, humorvoll.
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Lesekreise rund um Gesundheitsthemen: Als Einstiegstext hervorragend geeignet, weil er Debatten öffnet, statt zu moralisieren.
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Skeptiker von Selbstoptimierung: Wer an Gesundheits-Perfektionismus leidet, findet hier Gegenmittel – Humor als Entlastung.
Kritische Einschätzung – Stärken & mögliche Schwächen
Stärken
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Zugang: Medizin wird niedrigschwellig und freundlich – ideal als Türöffner in komplexe Themen.
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Erzählhandwerk: Witz mit Timing; die Kürze der Kapitel macht den Band alltagstauglich.
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Selbstkorrektur: Das Erratum zeigt intellektuelle Redlichkeit im Humor-Genre.
Schwächen
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Keine Systematik: Wer einen roten Faden oder Lehrbuchlogik erwartet, wird nicht fündig – der Autor verzichtet bewusst darauf.
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Fakten vs. Pointe: Selten verkürzt der Witz; wer Studienexegese sucht, greift zu Fachliteratur.
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Zeitkolorit: Einzelne Anspielungen sind 2000er-typisch und wirken heute wie Zeitkapseln – Charme, aber nicht immer zeitlos.
Leicht zu lesen, schwer zu unterschätzen
„Die Leber wächst mit ihren Aufgaben“ ist Humor als Gesundheitskunde: kein Ratgeber, keine Morallektion, sondern freundliche Aufklärung in Anekdotenform. Das Buch erinnert daran, dass Gelassenheit ein Gesundheitsfaktor ist – und dass Wissen besser hängen bleibt, wenn es lacht. Gerade, weil der Band keinen roten Faden behauptet, wirkt er als Spiegel: Man entdeckt die eigenen Marotten, lacht – und justiert ein wenig nach. Wer Medizin menschenfreundlicherzählt haben möchte, bekommt hier den Klassiker jener Disziplin.
Über den Autor – Eckart von Hirschhausen
Eckart von Hirschhausen (1967, Frankfurt am Main) ist Arzt, Kabarettist, Moderator und Bestsellerautor. Er verbindet seit den 1990ern medizinisches Wissen mit Bühnenhumor und schreibt für große Medien als Wissenschaftsjournalist. Seine Bücher – darunter „Die Leber wächst mit ihren Aufgaben“ (2008) und „Glück kommt selten allein…“ (2009) – führten über Monate die Sachbuch-Bestsellerlisten an. 2008 gründete er die Stiftung „Humor hilft Heilen“, die Klinikclowns und gesundheitsfördernden Humor unterstützt. In den letzten Jahren verlagerte er seinen Fokus deutlich auf Klimaschutz als Gesundheitsschutz (u. a. Initiative „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“) und hat seine Bühnentätigkeit reduziert, um sich stärker darauf zu konzentrieren.
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