Gravity Traumarbeits-Agentur

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Männliches Ego-Getue, weit ausgeschürfte Klischees, und eine nicht ganz so internationale Raumfahrt. Gerhard Bachleitner hat sich den Weltraum-Thriller "Grafitiy" noch einmal genauer angesehen. Ein Gastbeitrag. (A.d.R.)

In seinem Gastbeitrag wirft Gerhard Bachleitner einen Blick auf den mehrfach ausgezeichneten Film "Gravity". Foto: Wikipedia

Schon beim Titel fängt das Ärgernis an, denn ihn nicht mit "Gravitation" zu übersetzen, ist offensichtlich schwachsinnig. Tatsächlich bestimmt die Gravitation den ganzen Handlungsverlauf dieser Weltraumoper, die gut im Physikunterricht einsetzbar ist, um das Newton'sche Kraftgesetz anschaulich zu machen - allerdings nicht ohne korrigierenden Kommentar, denn wie man hört, wurde die Physik an der einen oder anderen Stelle doch etwas strapaziert. Spektakulär etwa der Fehler, dass die Schleusenluken im Film nach außen aufgehen und dabei Druck ausüben, während sie in Wirklichkeit natürlich nach innen aufgehen. Die Positionierung der drei erwähnten Raumstationen stimmt nicht; die Entfernung zwischen Hubble und der ISS läßt einen Flug, wie im Film gezeigt, nicht zu. Die Visualisierung der extraterrestrischen Effekte (unter nicht schwerelosen Drehbedingungen) ist immerhin das größte Verdienst dieses Films, und die Stereoskopie dürfte bei kaum einer anderen Kinoproduktion so bezwingend und atemberaubend eingesetzt worden sein. Dies dürfte einen Teil der insgesamt zu reichlich vergebenen sieben Oscars motiviert haben. Ansonsten ist die Dramaturgie in diesem "intelligenten Thriller" - so nennt man das wohl - höchst fragwürdig und schwer erträglich, wobei die Bestimmung zum Starvehikel (für G. Clooney und S. Bullock) noch die gelindeste Zumutung ist. Üblicherweise werden in einem solchen 2-Personen-Kammerspiel - auch der Weltraum kann dazu herhalten - psychische Intimität und existenzielle Tiefe angestrebt, und das ist hier nicht anders. Die Existenz steht naturgemäß fortwährend auf dem Spiel, weil der Weltraum an sich tödlich ist. Die psychische Interaktion der Protagonisten, die bei dem heterosexuellen Paar selbstverständlich erotisch durchtränkt sein muss, läßt sich als Therapiesituation auffassen und mit dem Programm oder Therapieziel zurück ins Leben beschreiben.

Auf dem Wege dorthin wird jedoch kein Klischee ausgelassen und auch die Wahrscheinlichkeit reichlich strapaziert. In die scheinbar realistische Konstellation, eine Reparatur am Hubble-Teleskop auszuführen, um danach zurückzukehren, wird ein massives Katastrophenelement gebracht: ein von Russen (in ihrer natürlichen Destruktivität) versehentlich zerstörter eigener Satellit ist fortan als Strom gefährlicher Bruchstücke unterwegs und ruiniert das für die Rückkehr nötige Raumschiff Explorer. Auch die im Außeneinsatz tätigen Astronauten Stone (Bullock) und Kowalsky (Clooney) haben größte Mühe, in dem Bombardement zu überleben. Kowalsky muss die bereits abgetriebene Stone einfangen, und das Seil zwischen ihnen figuriert als Nabelschnur. Der Mann, der auch noch die dröhnende amerikanische Flapsigkeit dick auftragen muss, den längsten Weltraumspaziergang anstreben zu wollen, erscheint in dieser Phase als Vertrauen erweckender Beherrscher der Technik, der aber auch die Gefahrendimension erkennt. Die dumme Frau hingegen, die als Medizintechnikerin doch wirklich nichts mit Maschinenbau am Weltraumteleskop zu tun haben kann, glaubte in ihrem Pflichteifer noch, ihre Arbeit regelgerecht abschließen zu sollen, und musste vom Helden gewaltsam in Sicherheit gebracht werden - ein oft wiedergekäutes Motiv.

Um den Verlust der Heimat zu visualisieren, braucht der Film pompös patriotische Motive. Wenn der dritte Astronaut, dem ein Partikel dekorativ mitten durchs Gesicht geflogen ist, als Leiche durch den Raum treibt, schwebt ein Papierbild seiner glücklichen Familie neben ihm her. Den Flug zur ISS vertreiben sich Stone und Kowalsky mit Erinnerungen an die Jugend in den USA, und Stone gibt zu, über den Unfalltod ihres Kindes nicht hinweggekommen zu sein. Kowalsky muss ihr daher Lebens- und Reproduktionswillen neu einpflanzen, was später, bei seinem endgültigen Abschied, auch seine letzte Botschaft für sie sein wird. Im Weltraum wird also das amerikanische Staatsziel Familie zelebriert.

Vor Erreichen der ISS ändert ein weiterer Teilchensturm die existenzielle Konstellation. Als irgend eine topologische Situation angeblich - physikalisch aber unzutreffend - nur einem von beiden Astronauten eine Erfolgschance lässt, löst Kowalsky das Seil, d.h. der Mann trennt sich von der Frau, um ihr das Überleben zu ermöglichen, und opfert sich. Aus der Ferne des Todgeweihten gibt er der Frau, die sich bis zum Eintritt in die Schleuse bei obligatem Sauerstoffmangel qualvoll dumm anstellt, noch Ratschläge und schickt außerdem einen absurden Kommentar zu seiner eigenen Attraktivität hinterher. In der Tat hat Sandra Bullock nach Erreichen der ISS nichts Besseres zu tun, als sich auszuziehen und in Fötus-Lage zu gehen. Dass dabei unterschlagen wird, wie sehr Astronauten auf ihren mehrstündigen "Weltraumspaziergängen" von einer akzeptablen Verrichtung ihrer Notdurft abhängig sind, also Windeln tragen müssen, zeigt, wie unrealistisch Cuarón die Handlung konstruiert und wie tendenziös sein Blick auf die Protagonistin ist.

Dann beginnt das Kapitel "Frau und Technik". Da alle anderen tot sind, muss sie selbst navigieren, ohne es gelernt zu haben, also gewissermaßen aus einem vollgestellten Parkplatz einen Ausweg finden. Als Frau braucht sie dafür naturgemäß ein dickes Handbuch mit vielen Bildern. Als ob dies nicht lächerlich genug wäre, klopft dann auch noch Kowalsky an die Scheibe, und weil die konsternierte Frau einfach keinen klaren, handlungsfähigen Kopf bekommen will, bricht er eben gewaltsam ein - etwa so, wie ein Spermium in eine Eizelle eindringt. Sofort dröhnt der Schwadroneur wieder und faselt etwas von zufällig entdeckten Batteriereserven seines Rucksackantriebs; auch ein von den Russen dankenswerterweise übriggelassener Whisky signalisiert noch einmal das männliche Ego. Auffällig rasch verschwindet er dann wieder, denn er hat als gebärunfähiger Mann seine Pflicht, die Wissensweitergabe, erfüllt. Stone setzt das dumme Geschwätz mit unsäglichen Selbstgesprächen fort, die zum Glück, von der monströsen Geräuschkulisse und der aufdringlichen Musik verdeckt, fast unverständlich bleiben.

Nach der Zerstörung der ISS bleibt nur noch eine benachbarte chinesische Raumstation als Rettungsoption, denn dort soll es eine rückkehrfähige Kapsel geben. Mit dem von Kowalsky genannten Trick, die Bremsraketen zum Vortrieb zu verwenden - worauf die unkreative Frau naturgemäß nicht verfallen konnte -, gelangt sie in die Nähe der Chinesen. Diese hatten inzwischen immerhin Funkkontakt aufgenommen, redeten aber, wie Chinesen eben sind, nur Chinesisch, und wollten die Amerikanerin in ihrer Notlage einfach nicht verstehen. Die internationale Raumfahrt ist also nicht einmal so international wie die internationale Luftfahrt. Der Funkverkehr ist darüber hinaus noch mit einem besonderen Seelentrampler gespickt, einem schreienden Kleinkind (das wohl zum Bodenpersonal gerechnet werden muss). Stone wird also an ihren Verlust erinnert und an ihre gynäkologische Verpflichtung.

Die Annäherung und Inbesitznahme der chinesischen Raumstation erfordert noch ein letztes Notmanöver. Da ein reguläres Andocken für unmöglich gehalten wird, lässt sich Stone aus ihrer Kapsel schießen und muss sich mit den wenigen verbliebenen Rückstößen aus ihrem Feuerlöscher an die Oberfläche des Raumschiffes herantasten. Man darf durchaus argwöhnen, dass das Drehbuch vorher das Feuer in der Kapsel nur deshalb inszeniert hat, um den Feuerlöscher ins Spiel zu bringen. Das chinesische Schiff ist allerdings ebenfalls erheblich zerstört und menschenleer, sodass Stone auf sich gestellt die Rückkehr versuchen muss. Dabei sind chinesische Schriftzeichen auf den Tasten zweifellos ungemein hilfreich, und das Schiff als Ganzes ist auch eine einzige Rüttelmaschine. Ob dies schon Turbulenzen beim Eintritt in die Atmosphäre sein sollen, wird nicht klar. Auffällig wird hingegen, dass dieser Eintritt von Sandra Bullock die Simulation eines Orgasmus verlangt. Nicht anders und nichts weniger als peinlich geschieht dieser Rücksturz zur Erde. Wenn man so will: sie gewinnt die zum Weiterleben motivierende sexuelle Potenz wieder. Passend dazu zeigt der Film die anderen Trümmer als glühende, leuchtende Sternchen, Illumination des Ausnahmezustandes.

Bei der erfolgreichen Wasserung wird der Frau erneut ihr mangelndes physikalisch-technisches Wissen zum Verhängnis. Sie weiß nicht, dass sie sich vor Wassereinbruch schützen muß, und geht prompt mit ihrer Kapsel unter. Natürlich wäre der Raumanzug auch als Tauchanzug zu verwenden, aber dumm wie sie ist, legt sie gerade den ab, damit der Zuschauer Sandra Bullocks Formen unter Wasser bewundern kann. Nach dem Auftauchen ist praktischerweise auch schon das Festland in Reichweite, d.h. der Zufall, gerade in Landnähe zu wassern, ist wahrhaft astronomisch. Regisseur Cuarón entblödet sich auch nicht, Sandra Bullock in der letzten Einstellung am Strand in heroischer Untersicht zu zeigen, in wiedergewonnener Standhaftigkeit gegenüber dem Leben, aber natürlich auch zwecks Ausstellung ihrer körperlichen Attraktivität. So hat man dann einerseits die Frau traditionell als begehrenswertes Sexualobjekt des Mannes inszeniert und kann andererseits den Feminismus bedienen: nur eine starke Frau überlebt und kann auch die Menschheit fortsetzen, d.h. reproduzieren.

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