Es gibt Kochbücher, die dir das Leben würzen. „Goreng: 33 urdeutsche Gerichte – ganz ohne Fremdobst, Exotik und Geschmack“ macht das Gegenteil – absichtlich. Der Titel ist Programm und Pointe zugleich: ein Angriff mit Wattebäuschen auf Küchenpatriotismus, Gewohnheitskulinarik und den hartnäckigen Glauben, früher sei alles ehrlicher(und irgendwie ungewürzter) gewesen. Das Ergebnis: eine satirische Kochbuch-Parodie, die nicht belehrt, sondern trocken serviert – und bei der man öfter lacht als beim letzten „Food-Trend“-Reel. Hier liest du, was die Satire verspricht, warum sie funktioniert, für wen sie taugt und wie du aus 33 sehr ernsten Spaßrezepten echte Mehrwert-Momente machst.
Goreng – 33 urdeutsche Gerichte von Horst Kessel – Wenn die Küche Beige trägt (und wir trotzdem lachen)
Was das Buch verspricht – und wie du das lesen solltest
Schon der Untertitel setzt den Ton: „ganz ohne Fremdobst, Exotik und Geschmack“. Das ist natürlich Übertreibung; Satire arbeitet mit Auslassung, Zuspitzung und dem guten alten Deadpan (ernste Miene bei komischem Inhalt). Erwartbar ist also kein „best of“ deutscher Kulinarik, sondern eine Persiflage auf das Sehnen nach der „guten alten Küche“, sobald Neues droht. „Goreng“ zieht das durch, indem es die Küche absichtlich klein macht: keine Gewürzexpedition, keine Fusion, keine Geschichten vom anderen Ende der Welt. Stattdessen schaut man der eigenen Essbiografie mit liebevoller Strenge beim Stolpern zu.
Wichtig: Diese Rezension stützt sich auf das Konzept, die Titelaussage und gängige Satiremechaniken; konkrete Rezepttitel werden hier nicht verraten oder erfunden. Der Witz entsteht ohnehin dort, wo du liest, nicht wo ich spoilere.
Handlung von Goreng – 33 – Inhalt, Aufbau, Running Gags
Das Format ist schnell umrissen: 33 „urdeutsche“ Gerichte, bewusst schlicht präsentiert. Der Spaß beginnt, weil die Satire alles vermeidet, was moderne Kochbücher so gerne tun: sensory overload, Superfoods, „nur hier erhältliche“ Pasten. Stattdessen lädt „Goreng“ dich auf eine kleine Bühne ein: Kartoffel, Mehl, Ei, Zwiebel – Hausmittel und Hausverstand.
Der Humor kommt in zwei Wellen:
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Die Idee hinter jedem Gericht – die Behauptung, Authentizität entstehe durch Abwesenheit von Geschmack.
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Die Art, wie es gesagt wird – knochentrocken, mit Randbemerkungen, die den Dogmatismus der „echten Küche“ liebevoll entlarven (Stichwort: „Pfeffer nur ansehen“).
Du musst das nicht als Kochbuch benutzen (kannst du aber, wenn du den Mut hast). Es ist Lesestoff für den Couchtisch, Running-Gag-Lieferant für WG-Küchen und eine Spiegelübung: Man lacht – und merkt nebenbei, wie eigen die eigenen Küchenrituale sind.
Küche als Identität, Nostalgie als Gewürz
1) Küchenidentität.
„Urdeutsch“ ist ein großes Wort. Das Buch fragt: Was soll das heißen? Regionen kochen verschieden; Familien noch mehr. Der Reiz liegt darin, das Etikett „urdeutsch“ so eng zu tragen, dass es kneift – und dadurch sichtbar zu machen, wie willkürlich kulinarische Identität oft konstruiert wird.
2) Nostalgie vs. Neugier.
Die Pointe „ohne Exotik“ trifft die Nostalgienerven: Sobald etwas fremd wirkt, nennen wir es gern „Mode“, während „früher“ als moralisch sauber gilt. Die Satire dreht den Spiegel, ohne zu verhöhnen: Neugier ist kein Verrat, sondern Würze.
3) Politik des Tellers.
Essen ist nie nur satt werden. Es entscheidet Zugehörigkeit, Rituale, Festtage. „Goreng“ zeigt im Kleinen, wie schnell aus „so machen wir das“ eine Grenze wird. Und wie befreiend es ist, darüber zu lachen.
4) Das Paradox des Purismus.
Wer „rein“ kochen will, vergisst oft, dass Küchen schon immer Fusionslabore waren: Kartoffeln kamen nicht mit der Störchexpress, Tomaten auch nicht. Die Satire lässt das unangetastet – und macht es genau dadurch unübersehbar.
Stil & Sprache – Deadpan, Understatement, Kantinen-Kabarett
Satire kann schrill sein. „Goreng“ ist das Gegenteil: Understatement ist die Hauptzutat. Der Tonfall erinnert an jene Kantinenansage, die niemals fragt, ob dir das schmeckt – und dich damit genau zum Lachen bringt. Formale Tricks, mit denen du rechnen kannst:
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Kurze Kapitel: Jede Seite ein Set-up, jede Pointe eine Gerätehaube gegen Pathos.
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Randnotizen: Mini-Kommentare, die die „Regeln“ der urdeutschen Küche mit Augenbrauenhumorkommentieren.
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Bild- oder Layout-Gags (je nach Ausgabe): weniger Foodporn, mehr Absicht.
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Konsequente Wortwahl: Begriffe wie „Fremdobst“ sind bewusst anachronistisch – man lacht über das Wort und mit dem Buch.
Der Sog entsteht, weil die Texte kurz sind, die Gags nah – und weil die Satire sich nicht über Menschen, sondern über Mechanismen lustig macht.
Für wen eignet sich „Goreng“?
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Geschenkjäger: Geburtstage, Wichteln, Einweihungen, Kollegenküche – sicherer Lacher mit Gesprächswert.
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Foodies mit Humor: Wer für Ferment, Fusion und Foraged-Greens brennt, darf über die Anti-Fusion noch lauter lachen.
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Küchenminimalist:innen: Wer „fünf Zutaten“ eher als Obergrenze versteht, fühlt sich hier wohlig gesehen.
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Buchclubs & WG-Runden: Lautes Vorlesen funktioniert – jedes Kapitel eine Mini-Nummer.
Stärken & (kleine) Schwächen
Stärken
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Konzeptklarheit: Der Titel ist die Pointe – und das Buch zieht sie durch.
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Humor ohne Häme: Keine Abwertung von Menschen; Mechanismen werden adressiert, nicht Personen.
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Niedrige Einstiegshürde: Kurze Kapitel, hohe Zitatfähigkeit, ideal für Social Snacks (Vorlesen, Screenshots, Küchenschrank-Memes).
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Gespräche statt Grabenkämpfe: Statt „richtig vs. falsch“: lachend ins Gespräch kommen.
Mögliche Schwächen
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Ein-Thema-Risiko: 33 Variationen desselben Witzes können für manche Leser monothematisch wirken – am besten dosiert lesen.
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Kein Kochbuch im klassischen Sinn: Wer echte Rezeptentwicklung oder Warenkunde erwartet, ist hier falsch – die Satire tut so, als wolle sie nicht schmecken.
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Layout-Humor Geschmackssache: Reduzierte Food-Fotos (falls enthalten) und viel Beige sind Pointenträger – nicht jeder mag das.
Warum diese Satire jetzt passt
Wir leben in einer Zeit, in der Küchen zwei Sprachen sprechen: Hyperglobal (Yuzu, Gochujang, Tahina every day) und Hyperlokal (Regionalkiste, Oma-Rezept, Sauerteig ums Eck). Beides hat Charme, beides kann dogmatisch werden. „Goreng“ sticht die Blase des „So war’s früher“ zärtlich an – und hilft, Neugier wieder als kulinarische Tugend zu sehen. Es ist ein Buch gegen den seriösen Ernst des Tellers und für die freundliche Ironie, die am Ende sogar besserkochen lässt.
Fazit – Das kleine Buch, das große Gespräche auslöst
„Goreng“ ist die Pfeffermühle in Buchform: Du drehst einmal, lachst – und plötzlich schmeckt dein Küchenalltag anders. Als Satire funktioniert es, weil es konsequent ist: keine Exotik, kein Fremdobst, kein Geschmacksfeuerwerk – nur Pointe. Als Geschenk funktioniert es, weil es anschlussfähig ist: Jeder hat Küchenrituale, jeder erkennt sich irgendwo. Und als stiller Küchencoach funktioniert es, weil es uns lockerer macht: Einfach kochen ist erlaubt; neugierigsein erst recht.
Wenn du ein Buch suchst, das nicht schreit, wie du zu leben hast, sondern grinst, während es dir einen Spiegel hinhält – nimm „Goreng“. Und leg beim nächsten Mal ruhig doch eine Prise Fremdobst drauf. Nur so, zum Spaß.
Über den Autor – Horst Kessel
Horst Kessel zeichnet als Autor von „Goreng: 33 urdeutsche Gerichte – ganz ohne Fremdobst, Exotik und Geschmack“ verantwortlich – und er macht etwas, das in Kochbüchern selten ist: Er tritt einen Schritt zurück, damit die Idee nach vorn kann. Kessel inszeniert keine Chefkoch-Persona, keine Gewürz-Pilgerreise, keine Ego-Show. Stattdessen nutzt er ein strenges, fast asketisches Konzept als Humorvehikel: Minimalrezepte, maximaler Deadpan.
Sein Stil ist trocken wie Zwieback – pointierte Sätze, Understatement, Randbemerkungen, die erst mit halber Verzögerung zünden. Kessel nimmt nicht Menschen aufs Korn, sondern Mechanismen: Küchen-Patriotismus, Nostalgie, das reflexhafte „Früher war’s ehrlicher“. Er arbeitet mit Wiederholungen (Regeln, Verbote, beige Bilderwelt), weil Wiederholung zeigt, wie brüchig Dogmen werden, sobald man sie konsequent zu Ende denkt.
Inhaltlich verortet sich Kessel zwischen Kolumnen-Humor und Parodie-Sachbuch: Er schreibt über Essen, aber eigentlich über Identität, Rituale und den Wunsch, dass die Welt bitte überschaubar bleibt. Gerade dadurch hat „Goreng“ mehr als Gag-Wert: Es ist ein Gesprächsöffner über das, was wir „urdeutsch“ nennen – und warum das auf dem Teller oft Gewohnheit meint, nicht Wahrheit.
Kurz: Horst Kessel ist weniger die Figur im Rampenlicht als der Regisseur des Set-ups. Seine Handschrift erkennt man an drei Dingen: Lakonik, Konsequenz und einer freundlichen Ironie, die am Ende sogar Lust auf eine Prise Fremdobstmacht.
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