Mit „Aufsteiger“ legt Peter Huth seinen zweiten Gesellschaftsroman vor – und man könnte fast sagen: seine private Inventur einer Generation, die einst an Fortschritt glaubte und heute im postironischen Scherbenhaufen ihrer Ambitionen sitzt. Der Journalist Felix Licht, Huths Hauptfigur, gehört zu jenen Aufstiegswilligen, die den Preis für ihren Ehrgeiz längst bezahlt haben – mit Beziehung, Kindheit der eigenen Tochter, Freundschaften. Doch als ihm der letzte Karriereschritt verwehrt wird, fällt sein sorgfältig konstruiertes Leben in sich zusammen. Und mit ihm gleich ein ganzer Mikrokosmos aus medialen Widersprüchen, ideologischen Fallstricken und sozialer Selbstdemontage.
Felix Licht und der Absturz des Alpha-Journalisten
Felix Licht steht am Zenit seiner Laufbahn – oder zumindest kurz davor. Alles ist vorbereitet: die unzähligen Überstunden, die Familienopfer, die strategischen Allianzen, das unnachgiebige Streben nach Sichtbarkeit. Als ihn der Verleger Christian Berg jedoch übergeht und stattdessen Zoe Rauch zur neuen Chefredakteurin ernennt – jung, ambitioniert, gesellschaftlich sensibel –, kippt seine Welt. Und nicht nur wegen der Position: Zoe ist für Felix mehr als eine Kollegin. Sie ist ein Fragment seiner Vergangenheit, eine nie vernarbte Wunde, ein nie gestillter Wunsch.
Von hier an entwickelt sich die Geschichte nicht nur als Porträt eines Mannes, der im eigenen System kollabiert, sondern als Sittenbild einer Branche, die sich mit ihren Werten selbst entkernt. Zwischen Fake News und moralischer Selbstüberhöhung, zwischen neoliberaler Entfremdung und identitätspolitischen Grabenkämpfen entfaltet sich eine Tragödie, die weit mehr ist als individuelles Scheitern.
Ein Roman über das Absurde des Ernstgemeinten
Huths „Aufsteiger“ ist ein Roman der Spiegelungen – nicht nur jener inneren Widersprüche, die seine Figuren plagen, sondern auch der gesellschaftlichen Reflexe, die sich unkontrolliert verselbstständigen. Die Medienwelt, in der Felix Licht agiert, ist kein neutraler Boden, sondern eine durchideologisierte Bühne, auf der jede Entscheidung politisch aufgeladen, jeder Fehltritt existenziell gedeutet wird.
Was Huth mit viel erzählerischer Klarheit und einem Hauch bitterer Ironie zeigt, ist die Implosion des klassischen Aufsteiger-Narrativs. Felix Licht, dieser Prototyp des bildungsbürgerlichen Karrieristen, merkt zu spät, dass der Aufstieg längst durch andere Mechanismen geregelt wird. Moralische Korrektheit, digitale Sichtbarkeit, emotionale Intelligenz – in dieser neuen Welt zählt nicht mehr, wer am meisten leistet, sondern wer am besten performt. Wer die besseren Geschichten erzählt – nicht die besseren Artikel schreibt.
Besonders eindrücklich gelingt Huth dabei die Darstellung des Verlegers Christian Berg – ein Mann, der mit den rechten Rändern flirtete, sich reinwäscht und nun als ironisch überhöhter Retter der Pressefreiheit inszeniert. Dass Huth ihn zur eigenen Lieblingsfigur erklärt, überrascht nicht: Berg ist kein Zyniker, sondern ein tragischer Idealist, dessen Scheitern exemplarisch für das Dilemma jener Männer steht, die alles richtig machen wollen – und alles falsch machen müssen.
Die zerstörte Idylle als Leitmotiv
Wie schon in Der Honigmann spielt Huth mit der Idee einer zunächst intakten Welt, die schlagartig ins Wanken gerät. Der Moment des Kipppunktes – das Scheitern als strukturelles, nicht individuelles Phänomen – wird hier zur existenziellen Erfahrung. Die Idylle, so Huth im Interview, sei für seine Generation kein nettes Bild, sondern ein „ernstgenommenes Versprechen des Lebens“. Dass dieses Versprechen gebrochen wurde, ist der eigentliche Kern der Tragödie, die Aufsteigererzählt.
Huths Figuren handeln selten aus Bosheit, häufiger aus Überzeugung – und scheitern doch an der Welt, die sie selbst mitgeformt haben. Besonders deutlich wird das in den Szenen, in denen Zoe Rauch zur Projektionsfläche gleich mehrerer Diskurse wird: jung, progressiv, weiblich – aber eben auch ambivalent, verletzlich und keineswegs klischeefrei gezeichnet.
Klar, pointiert, gelegentlich böse
Peter Huth schreibt mit journalistischer Präzision und erzählerischem Gespür. Seine Sprache ist schnörkellos, aber nicht trocken – sie erlaubt Ironie, wo sie angebracht ist, und verweigert Pathos, wo es verführerisch wäre. Die Szenen sind dicht komponiert, die Dialoge geschliffen, die Figuren oft schmerzhaft gut beobachtet. Vor allem aber verzichtet der Text auf billige Sympathielenkung: Der Leser darf urteilen, aber nicht bequem.
Im Kapitel „Schmetterlinge“, das Huth im Interview selbst als besondere Herausforderung beschreibt, wagt er sich an die Darstellung von Zoes Transformation – eine Szene, die zeigt, dass Empathie und kritische Distanz sich nicht ausschließen müssen. Es ist ein literarischer Balanceakt, der gelingt.
Ein scharfer auf unserer Gesellschaft
„Aufsteiger“ ist kein medienkritischer Roman im klassischen Sinne – er ist ein Roman über Menschen, die im System der Medien leben und daran zerbrechen. Huth gelingt es, gesellschaftliche Themen wie Identität, Aufstieg, Scheitern und Wahrheit nicht als Diskursbausteine zu verhandeln, sondern sie in erzählerische Konflikte zu übersetzen. Dabei entsteht ein Roman, der sowohl als Spiegel der Gegenwart als auch als literarisches Psychogramm funktioniert.
Wer sich für die blinden Flecken des Erfolgs, die Widersprüche der politischen Moral und die Fallhöhe moderner Eitelkeiten interessiert, wird hier fündig. Und vielleicht sogar ein wenig erschüttert.
Über den Autor Peter Huth
Peter Huth, geboren in Kleve, arbeitete nach dem Mauerfall als Journalist in Halle, Köln, Hamburg, Warschau und Berlin. 2003 debütierte er mit Infarkt und erhielt ein Jahr später den Hamburger Förderpreis für Literatur. Neben seiner Tätigkeit als Unternehmenssprecher bei Axel Springer schreibt er Romane. Aufsteiger erscheint 2025 bei Droemer, nach dem erfolgreichen Vorgänger Der Honigmann (2024). Huth lebt mit seiner Familie in Berlin.
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