Mit „Not Quite Dead Yet“ wagt sich Holly Jackson, bekannt durch ihre Erfolgsreihe A Good Girl’s Guide to Murder, erstmals ins Terrain der Erwachsenenliteratur. Doch wer einen düsteren, psychologisch komplexen Thriller erwartet, wird überrascht sein – vielleicht auch irritiert. Denn Jackson bleibt ihrem Stil treu: jugendnah, schnell, mit einer starken, oft sperrigen Protagonistin, deren Überleben zur dringlichen Detektivarbeit wird.
„Not Quite Dead Yet“ von Holly Jackson: Temporeicher Thriller über eine junge Frau mit Todesdiagnose, die ihren eigenen Mörder jagt
Worum gehts in „Not Quite Dead Yet“?
Margaret „Jet“ Mason ist 27 Jahre alt, Tochter einer schwerreichen Familie, und lebt ein Leben, das sich irgendwo zwischen Orientierungslosigkeit und Selbstverleugnung abspielt. Bis zu jener Halloween-Nacht, in der sie brutal niedergeschlagen wird. Im Krankenhaus die Diagnose: Ein Aneurysma im Kopf, ausgelöst durch die Verletzung, wird sie innerhalb einer Woche töten. Was andere in Schockstarre versetzen würde, setzt bei Jet einen radikalen Überlebensmodus in Gang.
Statt sich der Situation zu ergeben, will sie wissen, wer sie umbringen wollte. Unterstützt wird sie dabei von Billy, einem alten Freund aus Kindertagen, der ihr nicht nur bei der Recherche hilft, sondern auch emotional den Boden unter den Füßen sichert. Gemeinsam graben sie sich durch ein Dickicht aus Lügen, Schweigen und familiären Verstrickungen. Dabei geraten vor allem Jets Vater, ein mächtiger Unternehmer, und ihr Bruder ins Visier. Doch während die Zeit erbarmungslos verrinnt, gerät nicht nur Jet an ihre körperlichen Grenzen, sondern auch an emotionale Bruchstellen, die weit über die Kriminalhandlung hinausweisen.
Kritik: Zwischen Thriller-Plot und Coming-of-Age – ein Spagat mit Bruchstellen
Jacksons Roman lebt von seiner Grundidee – und leidet gleichzeitig an ihr. Die Vorstellung, nur noch sieben Tage zu haben, verleiht dem Plot eine fast klassische Dramenstruktur. Doch an manchen Stellen gerät der Thriller aus dem Takt: Die medizinischen Details wirken unrealistisch, viele Szenen tragen eher Züge eines Thrillers für Jugendliche. Der Stil – jugendlich, flapsig, stellenweise ruppig – harmoniert nicht immer mit der Dringlichkeit der Geschichte.
Trotz der wirklich soliden Übersetzung durch Rainer Schumacher bleibt das Erzählte stellenweise flach – nett gesagt. Die Sprache hält das Tempo, transportiert aber selten Tiefe. Gerade in ruhigeren Momenten fehlt es an sprachlicher Dichte und emotionaler Resonanz. Die Dialoge wirken pointiert, aber manchmal auch schlicht – eine Übersetzung, die sich dem Original treu unterordnet, ohne es wirklich zu veredeln.
Auch die Figurenzeichnung zeigt sich ambivalent: Jet ist eine Protagonistin, an der man sich reiben kann – stur, egozentrisch, sarkastisch, aber in ihrer Verletzlichkeit glaubhaft. Ihre Wandlung von der ziellosen Einzelgängerin zur entschlossenen Wahrheitssucherin wird vielschichtig erzählt. Billy dagegen bleibt der leise Fels in der Brandung – sympathisch, etwas unbeholfen, mit tragischer Tiefe. Ihre Dynamik, zwischen Vertrautheit und Verdrängung, ist glaubwürdig und emotional aufgeladen, ohne in Kitsch zu kippen.
Problematisch wird es dort, wo Jackson auf Überzeichnung setzt: Jets Familie wirkt klischeehaft – die hysterische Mutter, der aalglatte Bruder, die biestige Schwägerin. Auch der Spannungsbogen schwächelt stellenweise. Während die ersten Kapitel verwirrend und überladen sind, plätschern andere Passagen dahin, bevor der Roman gegen Ende deutlich an Fahrt aufnimmt. Das Finale überrascht, ja erschüttert – und rettet gewissermaßen die dramaturgische Bilanz.
Viel Tempo, wenig Tiefe – jedoch Unterhaltung mit düsterem Unterton
Not Quite Dead Yet ist kein perfekter Thriller – aber ein unterhaltsamer. Wer sich an Logiklücken, jugendlichem Tonfall und überspitzten Nebenfiguren nicht stört, wird mit einem temporeichen Mystery-Roman belohnt, der emotional tiefer geht als zunächst vermutet. Holly Jackson bleibt sich treu – und liefert statt klassischer Thriller-Kost eine düstere Coming-of-Age-Geschichte mit Todesuhr. Für Fans der Autorin ein Muss, für Neulinge ein Einblick in ein sehr eigenes Erzähluniversum.
Autorin: Holly Jackson – zwischen True Crime und fiktionalem Nervenkitzel
Holly Jackson begann schon im Teenageralter mit dem Schreiben. Ihren ersten Roman schloss sie mit 15 Jahren ab – laut eigener Aussage kein Meisterwerk, aber der Anfang. Mit A Good Girl’s Guide to Murder wurde sie international bekannt, die Reihe wurde von Netflix adaptiert. Jackson lebt in London, liebt Videospiele und True Crime – was ihren Büchern deutlich anzumerken ist. Auf Social Media findet man sie unter @HoJay92.
Erschienen bei: Lübbe, 17. Juli 2025
Originaltitel: Not Quite Dead Yet (Electric Monkey, 2024)
Übersetzung: Rainer Schumacher