Es beginnt wie ein Satirestück, aber niemand lacht mehr: Steven Spielberg, Regielegende mit Hang zum Pathos, coacht den mächtigsten Mann der Welt für ein TV-Duell. Joe Biden, einst Verfassungsjurist, nun fragiler Rentner mit atomaren Codes, lässt sich vor dem finalen Auftritt gegen Donald Trump inszenieren wie ein Präsident im Nachdreh. Und Hollywood spielt mit.
Jake Tapper und Alex Thompson, beide bestens vernetzt im Zentrum der Macht, haben dieses tragikomische Drama minutiös dokumentiert. Hybris. Verfall, Vertuschung und Joe Bidens verhängnisvolle Entscheidung erscheint am 20. Mai 2025 in der deutschen Übersetzung von Klaus-Dieter Schmidt bei der dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. Das Original trägt den schlichten, aber gewichtigen Titel Original Sin. Was Tapper, CNN-Gesicht, und Thompson, Axios-Korrespondent, hier vorlegen, ist keine Enthüllung mehr – es ist ein politisches Obduktionsprotokoll.
Vom Wanken und Schweigen
Die Geschichte beginnt nicht mit dem Fall – der war längst im Gange –, sondern mit der Entscheidung, es trotzdem noch einmal wissen zu wollen. 2024. Biden kündigt an, wieder zu kandidieren. Alle wissen, er sollte es nicht tun. Keiner sagt es ihm. Die Diagnose: Hybris. Die Symptome: Aussetzer, Namensverwechslungen, Zitate Verstorbener, vergessene Allianzen, peinliche Begegnungen. George Clooney wird nicht erkannt, Kohl und Mitterrand treten aus dem Jenseits hervor. Das Weiße Haus wird zur Pflegeeinrichtung mit diplomatischem Briefpapier.
Die Autoren zitieren Weggefährten, die eine Regierung beschreiben, in der „fünf Leute das Land führten, und Joe Biden war, wenn überhaupt, der Seniorchef dieses Gremiums“. Die New York Times nennt das Buch passenderweise „explosiv“ - wobei die Explosion beängstigend leise verlief.
Die Kunst der politischen Leichenbedeckung
„Hervorragend recherchiert… liest sich wie ein Shakespeare-Drama auf Steroiden“, urteilt die Los Angeles Times über dieses Buch, das in seiner literarischen Wucht die Mechanik einer politisch-medialen Selbsthypnose seziert. In dieser Tragödie gibt es viele Claudius-Figuren, aber keinen Hamlet, der endlich ruft: Der König ist nackt!
Das sogenannte Politbüro – ironisch benannt, aber erschreckend real – kontrolliert die Informationen, schirmt den Präsidenten ab, reicht gefilterte Realität weiter wie warme Milch zum Einschlafen. Selbst negative Umfragen verschwinden im Papierkorb. Jill Biden wird zur Letzten, die noch an den Mythos glaubt – oder glauben will. Die Öffentlichkeit? Wird mit steifen Gangbildern und ärztlichen Beruhigungspillen abgespeist. „Der Gang hat sich gegenüber dem letzten Jahr nicht verschlechtert“, schreibt sein Arzt. Auf den Gedanken, dass auch ein stürzender Präsident irgendwann auf dem Boden der Tatsachen ankommt, kommt niemand.
Journalismus am Rande der Selbsthilfegruppe
The Atlantic spricht von „dem bisher bedeutendsten Buch über Bidens kognitiven Verfall“. Was nicht nur über Biden etwas aussagt, sondern über eine Medienlandschaft, die sich lieber in Accessoires der Macht suhlt als den Gesundheitszustand des Präsidenten zu hinterfragen. Jake Tapper, selbst CNN-Moderator, kennt die Branche – und spart nicht mit Selbstkritik. Vielleicht zu spät, aber immerhin. Die Autoren liefern ein Buch, das nicht nur berichtet, sondern beichtet.
Politico wiederum meint, es gäbe „kaum ein anderes Buch, das in den letzten Jahren die politische Landschaft so stark beeinflusst hat“. Mag sein. Die politische Landschaft jedenfalls sieht seither aus wie ein Golfplatz nach einem Tsunami – gepflegt, aber unbespielbar.
„Märchenschmutz“ und andere Vermeidungen
Dass ausgerechnet Naomi Biden, die Enkelin des Präsidenten, das Buch als „politischen Märchenschmutz“ bezeichnet, ist vielleicht der ehrlichste Satz in diesem Theater. Märchen trifft es, wenn man unter Märchen das versteht, was niemand hören will, weil es zu wahr ist. Schmutz? Wohl eher der Staub, der sich auf jede Wahrheit legt, wenn man sie zu lange unter dem Teppich lässt.
Demokratie in Restlaufzeit
Was bleibt, ist ein Lehrstück über die Unsichtbarkeit des Offensichtlichen. Biden war zu alt, zu krank, zu allein. Seine Partei zu feige, zu berechnend, zu erschöpft. Hybris ist kein Nachruf. Es ist ein medizinischer Befund im Mantel des Journalismus, eine Tragödie über die Langsamkeit des Scheiterns. Die Würde? War irgendwo im Westflügel verloren gegangen, zwischen Teleprompter und Personenschutz.
Und das Publikum? Es sah zu. Klatschte vielleicht sogar. Wie in einem Film.