Lenn Kudrjawizki ist ein Schauspieler mit russisch-weißrussisch-ukrainischen Wurzeln. Die "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ) sprach mit Kudrjawizki über seine schwierige Beziehung zu seinen russischen Freunden und die Sorge im seine Verwandten in der ukrainischen Stadt Charkiw. Zum Jahrestag des Kriegsausbruchs beschreibt er die Situation in der Ukraine.
"Es ist ein kaum zu ertragendes Gefühl. Abgesehen davon, dass für mich jeder Krieg jeglicher Logik entbehrt, hat dieser Krieg mir ein Stück weit Identität und Seele geraubt, mit denen ich groß geworden bin und die für mich Wurzeln bedeuten. Es zerreißt mir das Herz", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ).
"Für mich war es immer eine Welt aus vielen Völkern, die Sowjetunion hieß, als ich ein Kind war", fuhr Kudrjawizki fort. "Ich habe nicht zwischen Russland und Ukraine unterschieden, mir war es egal, ob mein Vater in der Ukraine geboren wurde und meine Mutter in Russland. Für mich war es ein russischsprachiger Kosmos. Dass das jetzt zwei unabhängige souveräne Staaten sind, ändert nichts an meiner Erinnerung aus der Kindheit."
Auf den Einwand, dass die Sichtweise des russischen Präsidenten Putin ähnlich sei, sagte der 47-Jährige: "Richtig - allerdings hat sich die Welt mit der Wende verändert, und es gab bestimmte Entscheidungen mit neuen Grenzen und Staaten, die man respektieren muss. Russland, Weißrussland und die Ukraine waren für mich immer die Welt meiner Vorfahren."
Noch immer seien Verwandte von ihm in der schwer umkämpften Stadt Charkiw, berichtete der Schauspieler weiter: "Sie leben noch - in Angst und Schrecken. Und sie erzählen uns, wie das Nachbarhaus getroffen wurde und wie sie beten, dass ihr Haus nicht auch von Raketen getroffen wird. Auf der anderen Seite haben wir russische Freunde, deren Gedanken von der Propaganda so verdreht sind, dass man mit ihnen kaum noch reden kann."
"Bezogen auf den Konflikt, versteht der Westen nicht die Opferungsbereitschaft des russischen Systems", sagte Kudrjawizki weiter. Es gebe in Russland wahrscheinlich keine einzige Familie, die nicht wenigstens ein Opfer hat, das in der stalinistischen Vergangenheit durch die eigene Regierung ums Leben gekommen ist. Allein Stalin habe Millionen seiner eigenen Leute umbringen lassen.
"Das Volk hat die genetische Information in sich, wenn du den Mund aufmachst und auf die Straße gehst, macht die Regierung wahr, was sie dir angedroht hat", sagte der Schauspieler. "Du glaubst das, weil deine Vorfahren es erlebt haben. Es gibt keine demokratische Tradition mit Demonstrationen und allem anderen, was dazugehört. Auf der anderen Seite sehe ich die Künstler, die den Mund aufmachen und weg sind aus dem Land. Filmproduzenten, die mich auf Whatsapp anschreiben und sich nicht trauen, das Wort Krieg zu benutzen."
Seine Autobiografie "Familienband" erscheint am 23.2.. Das Leben von Lenn Kudrjawizki ist aufregend und abwechslungsreich. Als Kommissar im Kroatien-Krimi begeistert er ein Millionenpublikum, er spielt mit im oscarprämierten Film »Die Fälscher«, mit Kevin Costner macht er während der Drehpausen in seinem Wohnwagen Musik. Doch es ist so viel mehr als eine reine Schauspielerbiografie. Es ist die Geschichte eines Jungen, der mit seinem Vater durch die wilde Landschaft des Kaukasus streift und von den Schicksalen seiner jüdischen Vorfahren erfährt. Eines Teenagers, der in der DDR eine familiäre Achterbahn durchlebt und mit 19 von seinem geliebten Vater Abschied nehmen muss. Eines jungen Mannes, der sich um der Trauer zu entfliehen in die Arbeit stürzt und dabei fast selbst verliert. Lenn Kudrjawizki zeigt, wie schwer es ist, loszulassen und sich mit Menschen und Erlebnissen zu versöhnen. Doch es ist der einzige Weg, der zur Heilung führt.
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