Festivalsponsor in Kritik Wie viel Nationalsozialismus steckt im Klaus-Michael Kühne-Preis?

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Auch in diesem Jahr soll im Rahmen des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg der Klaus-Michael Kühne-Preis für das beste literarische Debüt des Jahres verliehen werden. Doch einige der nominierten Autoren schauen skeptisch auf den Preis, dessen Namensgeber zugleich Sponsor des Festivals und Mitinhaber des Logistik-Unternehmens Kühne + Nagel ist, welches, gelinde gesagt, bisher recht zurückhaltend auf seine Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus blickte. Zwei Autoren haben ihre Teilnahme am Wettbewerb bereits abgesagt. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung, so der Gedanke hinter den Absagen, verweist auf düstere Zeiten.

Zwei Nachwuchs-Autoren haben ihre Teilnahme beim diesjährigen Wettbewerb um den Klaus-Michael-Kühne-Preis abgesagt. Grund ist die NS-Vergangenheit der Kühne-Stiftung, die als Sponsor des Festivals auftritt, in dessen Rahmen der Literaturpreis vergeben wird. (Auf dem Bild: Die Firmenzentrale (linkes Gebäude) des Unternehmens Kühne + Nagel in Bremen - von 1909 bis ca. 1944) Bild: Wikipedia

Der Schriftsteller Sven Pfizenmaier machte den Anfang. Mit seinem zu Beginn der Woche bekanntgegebenen Entschluss, die Teilnahme am Wettbewerb um den Klaus-Michael Kühne-Preis abzusagen, hat er eine Debatte angestoßen, die nun auch unter den anderen Nominierten heftig diskutiert wird. Die Kernfrage lautet dabei: Ist es moralisch vertretbar, an einem Wettbewerb teilzunehmen, hinter dessen Preis und Preisgeber eine tiefdunkle Vergangenheit liegt? Sven Pfizenmaier sagt dazu: "Da sich Klaus-Michael Kühne aktiv dagegen wehrt, die NS-Historie seines Unternehmens aufzuarbeiten, möchte ich meinen Text nicht in einen Wettbewerb um sein Geld und eine Auszeichnung mit seinem Namen stellen." Die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen, betont Pfizenmaier. Auf keinen Fall will er seine Absage als Kritik an den mitnominierten Autorinnen und Autoren verstanden wissen.

Auch Franziska Gänsler zog Teilnahme zurück

Die Entscheidung des Schriftstellers sowie die damit einhergehenden Beweggründe ließen die Mitnominierten allerdings alles andere als kalt. Kurze Zeit später hatte sich auch die Autorin Franziska Gänsler entschieden, ihre Teilnahme abzusagen. Damit fehlen dem Wettbewerb nun zwei von acht Nominierten. In ihrer Stellungnahme erklärt Gänsler, es hätte nach der Absage Pfizenmaiers einen öffentlichen Diskurs gebraucht, "der ein Ernstnehmen seiner Kritik erkennbar macht und zeigt, dass es das Anliegen der Stiftung ist, genau das zu fördern – kritische literarische Stimmen." Die Reaktion zeige, dass dies nicht gegeben sei, so Gänsler.

Von privatem Kapital abhängig

Eine ähnliche, aber doch anders nuancierte Stimme ist die des Autors Domenico Müllensiefen, der sich auf Anfrage von ZEIT ONLINE ebenfalls zur Debatte äußerte. Natürlich sei es falsch, dass Kühne die Nazi-Vergangenheit seiner Firma nicht aufarbeitet. Müllensiefen fragt sich drüber hinaus aber, warum es in unserer Gesellschaft überhaupt möglich ist, dass sich Milliardäre wie Kühne so verhalten können. "Der Mann lebt in der Schweiz, zahlt praktisch keine Steuern in Deutschland. Das erscheint mir problematischer, als dass er seinen Namen auf einen Preis schreiben und diesen, wohlgemerkt sehr professionell, organisieren lässt."

Damit verweist Müllensiefen auf ein nahezu allgegenwärtiges Problem, auf einen Umstand, den die ebenfalls nominierte Autorin Annika Büsing ZEIT ONLINE gegenüber pointiert auf den Punkt bringt: "Öffentliche Stellen haben sich über Jahre und Jahrzehnte von privatem Kapital abhängig gemacht. Und nun stellt man fest, dass es moralisch-ideologische Konflikte gibt, die sich nicht auflösen lassen."

Vorwürfe gegen Kühne + Nagel

Die Absage Sven Pfizenmaiers ist auf eine Mail zurückzuführen, die von dem linken Onlinemagazin untiefen.org ausging, und an alle Nominierten verschickt wurde. Darin heißt es, Klaus-Michael Kühne sei auf Grundlange von Nazi-Raubgut zu einem der reichsten Menschen der Welt geworden. Das Onlinemagazin wollte von den Autorinnen und Autoren wissen, wie sie mit diesem problematischen Hintergrund des Preises und seines Stifters umzugehen gedenken. Pfizenmaier sagte ab, Gänsler folgte. Andere AutorInnen halten sich bisher zurück.

Dass das Logistik-Unternehmen Kühne + Nagel einige Probleme mit der Aufarbeitung beziehungsweise mit dem Aufarbeiten-Lassen der eigenen betrieblichen Vergangenheit hat, ist keineswegs eine Neuigkeit. So hatte der Konzern zu seinem 125 Jubiläum etwa zwei Infocontainer aufgestellt, in denen die Zeit zwischen 1933 und 1945 dezent weggelassen wurde.

Tatsächlich spielte das Unternehmen Kühne + Nagel eine Schlüsselrolle bei der sogenannten "M-Aktion" des NS-Regimes zu. Bis August 1944 wurden im Zuge dieser Aktion die Einrichtungen von rund 65.000 Wohnungen (aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Luxemburg) abtransportiert. An der Umsetzung dieser Transporte - für die 500 Frachtkräne und 674 Züge nötig waren - war das Unternehmen maßgeblich beteiligt.

Reaktion auftue Absagen

Das Festival bedauerte die Absage der Autoren und zeigte Verständnis für die Beweggründe. Man sehe Diskussionsbedarf in der Angelegenheit, heißt es auf der Internetseite des Harbour Front Literaturfestival. Der Debütantensalon soll dennoch wie geplant stattfinden. "Vor allem aber besteht unsere Aufgabe jetzt darin, das Festival und insbesondere den Debütantensalon durchzuführen, um Autorinnen und Autoren das Forum zu bieten, das ihnen zusteht."

Die Kühne-Stiftung distanziert sich von den Vorwürfen. Die Förderleistungen hätten keine Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus, eine Zeit, "die weit zurück liegt und zu der ganz andere Verhältnisse herrschten". Diesbezüglich Zusammenhänge herzustellen, würde man als bewusste Schädigung der rein philanthropischen Unterstützung betrachten, die die Stiftung dem Harbour Front Literaturfestival zukommen lässt.

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