Neugier auf die Welt. Warum es sich lohnt zu reisen Die Weltrevolution von Fellbach-Süd

Vorlesen
- 5 Seiten -

Meine literarische Karriere begann, als ich neun war. Wochenlang schrieb ich Tierbücher ab und schmückte die Texte mit Abenteuern aus, die davon handelten, wie ich mit Delfinen um die Wette schwamm, in einem Löwenrudel aufwuchs und die traurigen Adler aus dem Zoo befreite. Die Angestellten der örtlichen Bücherei kannten mich beim Namen. Ich bin in Fellbach aufgewachsen, einem Vorort von Stuttgart, der bis ich achtzehn war kein Kino aufzuweisen hatte, dafür aber über fünf Altersheime. Knapp die Hälfte der Fellbacher war über fünfzig, und manchmal fragte ich mich, wo sich die andere Hälfte versteckte. Um der Langeweile zu entfliehen, diskutierte ich nächtelang mit Freunden. Wir entwarfen schillernde Gegenwelten und erträumten uns die Ereignisse, an denen es uns mangelte. Auf dem Höhepunkt der Pubertät trug ich feuerrote Haare, zog mich so antibürgerlich wie möglich an und erzählte allen Leuten vom bevorstehenden Zusammenbruch des Systems. Doch bevor ich von Fellbach-Süd aus die Weltrevolution anzetteln konnte, geschah etwas, auf das ich nicht vorbereitet war: Das moderne Leben begann mir zu gefallen. Vielleicht habe ich einfach länger als andere gebraucht, bis ich die Spielregeln durchschaut hatte. Der Einzigartigkeitsfetischismus, das wahnwitzige Überangebot an Möglichkeiten und die Flüchtigkeit einer Gesellschaft, deren Mitglieder im Überfluss leben, aber allesamt meinen, dass das Leben gerade sie besonders schlimm erwischt habe – all das stellt uns eine Aufgabe: eigene Maßstäbe zu entwickeln und Raum für echte Leidenschaft zu öffnen.

Wohin aber richtet man seinen inneren Kompass aus? Wie spinnt man seinen Lebensfaden, statt Futter für die Bedürfnisindustrie zu sein? Wie findet man heraus, wer man sein möchte? Manche gründen eine Firma, andere malen Bilder oder unterrichten Yoga. Ich habe meine Antworten unterwegs gefunden. Zwischen den Orten fühle ich mich leicht. Besonders gut geht es mir, wenn ich draußen bin, mich bewege und mir niemand – kein Vorgesetzter und kein Terminplan – sagt, was ich tun soll.


Gefällt mir
1
 

Weitere Freie Texte

Aktuelles