International agierende Online-Anbieter, insbesondere der Quasi-Monopolist Amazon, bedrohen den lokalen Einzelhändler immer stärker. Auch Buchhandlungen müssen längst ums Überleben kämpfen. Wie geht es weiter, nachdem Pandemie und Lockdown dafür gesorgt haben, dass der Onlinehandel noch kräftigeren Aufwind bekommen hat? Wir sollten versuchen, die Angebotsvielfalt, die Amazon bietet, aufs Städtebild zu übertragen, sagt der Thalia-CEO Michael Busch.
Wie ein Damoklesschwert schweben große Online-Anbieter wie Amazon über dem stationären Handel. Sollten Bund und Ländern in den kommenden Jahren keine einschneidenden Entscheidungen treffen, um solchen Quasi-Monopolen Einhalt zu gebieten, wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der lokale Einzelhandel aus den Städten verschwindet, und mit ihm wichtige, sozial bindende Begegnungsstätte verloren gehen. Diese ohnehin bereits kaum aufzuhaltende Dynamik wurde im vergangenen Jahr von der Pandemie und den Lockdowns weiter angeheizt. Die Gewinnenden haben weiter gewonnen, die Verlierenden weiter verloren. Während Amazon seinen Umsatz verdreifachte, mussten Einzelhändler um ihre Existenz kämpfen. Nicht wenige verloren.
"unbarmherzig", "unerbittlich", "gnadenlos": Amazon als Onlinebuchhandlung
Dass insbesondere Buchhandlungen von dem Onlinehandel-Monopolisten Amazon gefährdet sind, sollte mit Blick auf die Geschichte des Unternehmens wenig verwunderlich sein. Bekanntermaßen startete Amazon-Chef Jeff Bezos sein Unternehmen 1994 zunächst als Onlinebuchhandlung. Als Unternehmensname schwebte Bezos damals übrigens noch Relentless ("unbarmherzig", "unerbittlich", "gnadenlos") vor, was wohl, wie man aus der Distanz sagen muss, der passendere Name gewesen wäre. Freunde sollen ihm letztlich davon abgebracht haben, das Unternehmen so zu nennen, wie es bereits in seiner Idee war.
Heute bietet die Plattform nach eigenen Angaben die weltweit größte Auswahl an Büchern, CDs und Videos an. In keinem Geschäftsfeld aber, hat Amazon so viel Marktmacht wie im Buchverkauf. Eine Studie der Universität St. Gallen kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass Amazon an jedem fünften weltweit verkauften Buch mitverdient. Ziel ist es - und daraus hat Bezos niemals einen Hehl gemacht - den gesamten Buchmarkt zu dominieren, vom Verlag bis zum Verkauf. So ist es Kundinnen und Kunden über Kindle Direct Publishing möglich, Bücher im Selbstverlag zu veröffentlichen, und als E-Books über Amazon zu verkaufen. Geht das Buch durch die Decke, kassiert das Unternehmen im Schnitt etwa 30 % des Umsatzes; will es niemand lesen, gibt es kaum Verluste.
Von Amazon lernen?
Wie können sich ständische Buchhandlungen in diesem Kampf behaupten? Der Thalia-CEO Michael Busch regte in einem Interview mit dem Handelsmagazin "Stores + Shops" an, die "Mikrologistik vor Ort auszubauen". Es komme darauf an, so Busch, die "über viele Geschäfte verteilten Waren so auf einer Plattform zu bündeln, dass sie über die Summe der Geschäfte eine ähnliche Vielfalt abbilden, wie es Amazon auf seiner Plattform vermag." Die große Herausforderung sei es nun, die Stadt als Plattform abzubilden und im Bewusstsein der Kunden zu verankern.
Ohne Unterstützung des Staates wird dies nicht funktionieren. "Die notwendige Logistikinfrastruktur für die Abholung und Verteilung der Waren müssen Kommunen und Handel mit finanzieller Unterstützung von Bund und Ländern im Zusammenspiel schaffen. Gelingt dies, bleibt die Wertschöpfung in der Stadt“, so Busch im Interview.
Lust- und Bedarfsweckung
Doch auch wenn Buschs Vision vielversprechend und anregend klingt, muss man doch berücksichtigen, dass Amazons Geschäft ja nicht erst dort beginnt, wo ein Buch über den virtuellen Ladentisch wandert. Eines der wichtigsten Segmente im Onlinehandel ist die Lust- und Bedarfsweckung. Anhand der von den Nutzern hinterlassenen Daten kann Amazon nachvollziehen, welche Kunden am liebsten Romane, welche Sachbücher lesen. Man weiß, wie lang wer in welchem Buch auf welchen Seiten verharrte. Man kann die Spuren der Nutzer nachverfolgen, Kaufinteressen simulieren, man weiß, was Kunden kaufen werden, bevor es die Kunden selber wissen. Man leitet die sich in Freiheit Glaubenden durch die bunt ausgeschmückte Zelle, stellt sie vor 5-Sterne-Bewertungen und positiven Kommentaren und züchtet so Menschen heran, die wohl stärker als jemals zuvor davon überzeugt sind, Freiheit sei Wahlfreiheit. Wir haben es also mit der bewussten Kunden-Gestaltung zu tun, mit einem Züchten der - aus Sicht des Unternehmens - idealen Käufer. Es wäre zu fragen, wie weit diese Zucht bereits vorangetrieben wurde.
Michael Buschs Konzept der Plattformisierung der Innenstädte könnte in jedem Falle dazu beitragen, dass der Warentausch wieder eher mit einem Gespräch als mit einem Klick einhergeht. Als Teil eines gemeinschaftlichen Netzwerks hätten kleine und mittlere Einzelhändler wesentlich bessere Überlebenschancen. Auch gesellschaftlich wäre das Überleben solcher Begegnungsstätte von hoher Relevanz. Bleibt zu hoffen, dass das Gespräch selbst nicht längst schon als Überflüssiges vom Kauf abgetrennt wurde. Im Sinne Amazons wäre diese Trennung jedenfalls; denn Kunden die reden, kaufen nicht.
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